Dieser Hund sagt dem Abfall den Kampf an
Der Einzige, der sich über Abfall freut, ist Labrador Pepe. Er sammelt im St. Galler Rheintal alles, was die Landschaft zumüllt.
Veröffentlicht am 20. September 2022 - 10:16 Uhr
Wusch, springt Pepe aus dem Busch und präsentiert Frauchen schwanzwedelnd seine Beute. In der Schnauze hält er ein vergammeltes Küchentuch.
«Pfui!», würden die meisten sagen. Ein Hund soll nichts vom Boden aufnehmen. Esther Baumgartner sieht das anders. Sie findet toll, was Pepe macht. «Super!», lobt sie ihren siebenjährigen Foxred Labrador und schmeisst ein Leckerli in die Luft. Pepe schnappt es, schon springt er zurück ins Gebüsch. Wusch, jetzt bringt er ein Stück Styropor. Es folgen: ein «St. Galler Tagblatt» vom Vortag, eine halbe Krücke mit gelbem Griff, ein alter Turnschuh Grösse 41, ein leeres Päckli Marlboro Light, PET-Flaschen, eine Maske und viele Plastikverpackungen.
Einen ganzen Sack voll
«So, räumt ihr wieder auf?», grüsst ein älteres Paar im Vorbeigehen. Pepe leistet ganze Arbeit. Nach einer halben Stunde ist der Abfallsack prallvoll.
Eigentlich war Pepe nur ein Punkt auf der Liste von Dingen, die Esther Baumgartner in ihrem Leben unbedingt noch abhaken wollte: ein eigener Hund. Jetzt hat sie einen Anti-Littering-Hund. Wenn sie ihm sein neongelbes Abfalljagd-Geschirr anzieht, ist er im Element. Schwanz oben, Nase unten. Manchmal bringt er zwar nur ein Stück Schwemmholz. «Für ihn ist alles ein Spiel.»
«Pepe hat eines Tages eine PET-Flasche angeschleppt, und ich habe ihn dafür gelobt», sagt Esther Baumgartner. Mit der Zeit brachte sie ihm immer mehr Kommandos bei: «Gang go luege!», «Gangs go hole!», «Brings!». Und Pepe machts.
Pepe inspiriert
Pepe ist Baumgartners erster Hund – und er werde auch ihr letzter sein, sagt die 59-Jährige aus Kriessern SG. «Ich würde vermutlich alle, die nach ihm kommen, ständig mit ihm vergleichen.» Aber Pepe ist unvergleichlich und mittlerweile sogar prominent. Der für den Unterhalt und Hochwasserschutz der Rheindämme zuständige Betrieb hat sich öffentlich bei Baumgartner und ihrem «Wow-Wau» bedankt. In ihrer Wohngemeinde sei das Rheinufer kaum mehr vermüllt, sagt sie.
Pepe habe andere inspiriert. «Ich kenne ein paar Leute, die das ihrem Hund ebenfalls beigebracht haben. Vermutlich ist es deshalb bei uns so sauber.» Mit Pepe fährt Baumgartner jeweils nordwärts dem Rhein entlang. Dorthin, wo es noch Güsel hat.
Jugendliche sehen es tendenziell weniger eng mit dem Güsel. Aber im Schutz der Nacht littern auch Erwachsene leichter.
Die Schweiz bräuchte viele Pepes, um ihr Littering-Problem in den Griff zu bekommen. Allein entlang von Gewässern liegt laut dem Bundesamt für Umwelt richtig viel Abfall: pro 100 Meter Uferabschnitt im Schnitt 200 Abfallobjekte. Jedes vierte ist Litter-Abfall, den die Leute achtlos wegwerfen oder einfach liegen lassen und nicht in einem Kübel entsorgen.
Güsel tötet
Das Amt hat auch nachgerechnet, wie teuer das die Allgemeinheit zu stehen kommt: Rund 200 Millionen Franken pro Jahr – so viel geben Gemeinden und ÖV-Unternehmen für das Einsammeln von Litter aus. Am häufigsten landen Zigarettenstummel am Boden, gefolgt von Take-away-Verpackungen und Flaschen aller Art.
Nicht berücksichtigt in der Rechnung sind die Kosten, die die Vermüllung der Landwirtschaft verursacht. Immer wieder erkranken oder sterben Tiere am Güsel auf den Weiden. Diesen Sommer traf es etwa eine trächtige Mutterkuh in Rüti im Zürcher Oberland. Sie hatte Teile einer Getränkedose gefressen. Wie vielen Tieren es so ergeht, weiss niemand. Oft bleibe es beim Verdacht, heisst es beim Bauernverband. Wer letzte Gewissheit über die Todesursache will, müsste für eine teure Obduktion selbst aufkommen.
Auch für Pepe, den Abfalljäger mit Schnauze, ist die Abfallsuche nicht ganz ungefährlich. «Er hat sich auch schon an Scherben verletzt, als er beim normalen Spazieren in einem Bach auf eine zerbrochene Flasche stand», sagt Esther Baumgartner. Am Strand in den Ferien sei er mal mit einer Qualle angerannt gekommen und habe sich den Gaumen verbrannt. Deshalb seien ihre Kommandos so wichtig: «Ich lasse ihn nichts holen, was ihm gefährlich werden könnte.» Manchmal schleppe er aber von sich aus Sachen an, ausser Dienst sozusagen. Typisch Labrador, sagt die Hundehalterin. Die Rasse wurde zum Apportieren bei der Jagd gezüchtet.
Ein Rätsel bleibt, warum überhaupt so viel Güsel herumliegt. Die meisten regen sich darüber auf. Und doch liegt er da. Eine Studie kam zum Schluss: Es gibt in der Schweiz zwar eine starke soziale Norm, nicht zu littern. Wie stark sie wirkt, hängt aber ab von Alter, Ort, Zeit, Umständen und sogar von der Art des Abfalls.
Jugendliche sehen es tendenziell weniger eng mit dem Güsel. Aber im Schutz der Nacht littern auch Erwachsene leichter. Am Stadtfest passiert es eher als auf dem Wanderweg in den Bergen. Allgemein herrscht die Meinung vor, es sei weniger schlimm, eine Zigarette auf den Boden zu schnippen, als eine leere Dose ins Gebüsch zu schmeissen.
Nicht schlimmer geworden
Plakate, Abfallunterricht an Schulen, Aufräumtage und Raumpatenschaften, Bussen – es gibt zahlreiche Versuche, das Littering in Grenzen zu halten. Gelöst wurde das Problem noch nicht. Immerhin: Schlimmer geworden ist es in den letzten Jahren nicht. Das denken zumindest jene 2600 Passanten, die von der Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt 2021 zuletzt dazu befragt wurden. Die Umfrage wird jährlich durchgeführt, die letzten Resultate geben Anlass zur Hoffnung. Man hatte wegen der Corona-Pandemie eine Zunahme befürchtet, weil sich die Leute vermehrt draussen trafen.
Dass es nicht schlimmer geworden ist, könnte auch daran liegen, dass viele Gemeinden die Reinigung hochgefahren haben – gerade weil es schlimmer geworden ist. Abfalljäger Pepe jedenfalls fand plötzlich überall hellblaue Lappen mit Ohrenbändeln an den Seiten. Inzwischen kommt das aber nur noch selten vor.
Pflatsch macht es – mit einem grossen Satz ist Pepe ins Wasser gesprungen. Am Ufer wartet Frauchen, gespannt, was er wohl als Nächstes anschleppt.
Abfall: Das wird am häufigsten liegen gelassen
Dieser Abfall liegt am häufigsten am Ufer
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