«Eigentlich bin ich gar kein richtiger Sammler», sagt Martin Nauer, zieht genüsslich an seinem Stumpen und wirkt so freundlich wie seine rund 200 Gartenzwerge. Sie flankieren den akkurat getrimmten Rasen hinter seinem Einfamilienhaus, sie stehen am Holzzaun hinter dem Gemüsebeet, als wären sie Leibwachen der Queen, sie lugen aus Hecken und hinter Steinen hervor. Überall rote Zipfelmützen. Ländlermusik dringt vom Haus zum Sitzplatz unter der Laube. Ein Zwerg in Badehose steht auf dem Rand eines hohen Topfs, der nicht mit Wasser gefüllt ist, sondern mit Hauswurzarten, die Martin Nauer züchtet. Seinen ersten Gartenzwerg fand der Schwyzer in einer Brockenstube, als er auf der Suche nach etwas anderem war.

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Die meisten Sammlungen beginnen mit einem Zufall. «Es ist wie bei der Liebe auf den ersten Blick. Ein Sammler kann nicht sagen, wieso ihn ein Gegenstand anspricht», sagt Markus Rubli, Verleger und Redaktor des Schweizer Magazins «Sammler-Anzeiger». Auch Martin Nauer ging es so: «Der Gartenzwerg mit der Handorgel gefiel mir einfach. Ich dachte, er passt zu mir.» Etwa 20 Jahre sei das nun her, und seither «hat es einfach immer mehr gegeben». Die Mützen leuchten allesamt, der 62-Jährige frischt seine Gartenzwerge regelmässig mit Farbe auf, die unter der Sonne über Siebnen schnell wieder verblasst. Es gibt einen Metzgerzwerg mit Würsten, einen Kaminfeger, einen Jäger, einen Pilzsammler; manche reichen Martin Nauer fast bis zur Hüfte. «Die kleineren dort zwischen den Hauswurzpflanzen, die gab es zum halben Preis. Da hab ich gleich zehn Stück auf einmal gekauft.» Aber nein, ein Sammler sei er dennoch nicht. Immerhin habe er die meisten Gartenzwerge geschenkt bekommen. Die sieben auf dem Fenstersims seien von weiblichen Fans. Martin Nauer ist professioneller Handorgelspieler und seit bald 40 Jahren mit Carlo Brunners Ländlerkapelle unterwegs.

Feilschen und fachsimpeln

Menschen sammeln. Nicht Nahrung wie früher, sondern Federn, Münzen, Tierfiguren, Fossilien, Steine. Sie bohren Nadeln durch Schmetterlinge, bewahren Kotztüten aus Flugzeugen auf, stöbern bei Tauschbörsen nach der einen Briefmarke, die in ihrer Sammlung noch fehlt, oder sie suchen im Internet nach einem limitierten Turnschuhmodell. Sie feilschen und fachsimpeln mit Gleichgesinnten in der Kakteen-Gesellschaft, im «Sammlerclub historischer Büromaschinen» oder im Verein der Sammler von Brauereiartikeln.

Jeder Dritte sammelt, fast jeder Zweite hat es früher einmal getan – und es sind überwiegend Männer. Das konnten Jens Kleine und Maximilian Jolmes von der Steinbeis-Hochschule Berlin zeigen, die im Juli die erste repräsentative Studie zum Thema Sammeln in Deutschland veröffentlicht haben. Nur bei Kuriositäten- und Nippessammlern ist der Frauenanteil mit 67 Prozent höher als der der Männer. Bei Antiquitäten, Büchern und Kunst fallen die Frauen- und Männeranteile ähnlich aus. Überall sonst sind die Männer in der Überzahl: Bei den Uhrensammlern beträgt deren Anteil 61 Prozent, bei den Münzensammlern 68 Prozent und bei den Briefmarkensammlern 69 Prozent.

Das ist erstaunlich. Zwar waren auch in der Steinzeit die Rollen nicht ausschliesslich geschlechtsspezifisch verteilt, doch «noch zu Beginn der modernen Menschheit sammelten tatsächlich vorwiegend Frauen», bestätigt der österreichische Soziologe Justin Stagl. Männer waren alleine schon wegen ihres Körperbaus besser gerüstet für die Strapazen der Jagd.

«Sammler sind glückliche Menschen»

Was ist geschehen? Wie wurden die Jäger zu Sammlern? Warum dominieren sie heute die einst weibliche Domäne? Ist ihnen der Jagdinstinkt abhandengekommen? Evolutionsgeschichtlich lassen sich diese Fragen nicht beantworten, empirische Belege fehlen. Zudem ist das Sammeln aus Überlebensgründen nicht eins zu eins vergleichbar mit dem Sammeln aus Spass.

Dass Männer häufiger sammeln als Frauen, schreibt Justin Stagl unter anderem ihrem ausgeprägteren Egoismus und einem gewissen Mass an Aggressivität zu – Eigenschaften, die für den Sammelerfolg nötig seien. Sammler entziehen ihrem Umfeld eine Menge Zeit, Aufmerksamkeit und oft auch Geld, um diese Ressourcen in den Aufbau ihrer Sammlung zu investieren. «Frauen nehmen sich diese Freiheit weniger heraus als Männer.»

Männer sammeln aber auch anders als Frauen. Erklärungen liefert die Steinzeit: Das Sammeln für das Überleben sei wichtiger gewesen als die weniger verlässliche Jagd, sagt Stagl. Dennoch war die Jagd angesehener. Weil Fleisch nicht konserviert werden konnte, wurde es verteilt. Das Teilen der Beute nach bestimmten Prinzipien war wichtig für die Ordnung und den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Es symbolisierte die gesellschaftliche Einheit, und die erfolgreichen Jäger bekräftigten mit diesem Ritual ihren Status. «Den Männern ging es seit Anfang der Menschheitsgeschichte weniger um den materiellen Wert der Beute – oder eben des Sammelobjekts – als vielmehr um den Zeichencharakter, also um den symbolischen Wert», sagt Stagl.

«Sammler sind glückliche Menschen», soll Goethe einst gesagt haben, und Schopenhauer empfahl das Sammeln als mögliche Beschäftigung für ein intellektuelles Leben, das ohne Leidenschaften langweilig und fad sei. Laut der Studie von Jens Kleine und Maximilian Jolmes halten Sammler sich für aufgeschlossen und kommunikativ und verfügen über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Als Motiv geben die meisten den Spass am Hobby an und die Freude an der Ästhetik.

Die Psychologie hingegen findet nur wenig schmeichelhafte Erklärungen für den Sammeltrieb: Sammler seien Narzissten und wollten bewundert werden. Sie seien vom Alltag überforderte Menschen, die sich in eine überschaubare Welt flüchteten, die ein Bedürfnis nach Kontrolle und Absicherung hätten oder soziale oder sexuelle Bedürfnisse kompensieren wollten.

Sind das eher männliche Mankos als weibliche? Gibt es also statt einer evolutionären eine psychologische Erklärung dafür, dass Männer mehr sammeln als Frauen? Der Psychologe Dietrich Dörner erörterte diese Frage in einem Interview mit Radio SRF 2 und sagte unter anderem, dass Männer es mehr als Frauen liebten, Einfluss und Macht auszuüben: «Wenn wir dem Sammeln die Eigenschaft ‹Macht haben über etwas› zuordnen, so wird verständlich, dass Männer am Sammeln mehr Spass haben als Frauen.»

Nichtsammler stehen vor einem Rätsel

Jens Kleine und Maximilian Jolmes haben vier Sammlerkategorien identifiziert: den Hobbysammler (79 Prozent), den Investor (26 Prozent), den Egozentriker (9 Prozent) und den Ästheten (7 Prozent). Die meisten Sammler können mehreren Kategorien zugeordnet werden.

«Sicher ist, dass es Sammler gibt und Nichtsammler, und beide Typen begreifen den Charakter des anderen eher nicht», sagt Markus Rubli vom «Sammler-Anzeiger». Tatsächlich gelingt es Nichtsammlern oft nicht, die Begeisterung für das Horten scheinbar nutzloser Dinge nachzuvollziehen. Leidenschaftliche Sammler werden oft belächelt. Martin Nauer wurde nie mit negativen Reaktionen auf seine Gartenzwergsammlung konfrontiert: «Viele Leute reagieren positiv, vor allem Kinder. Alle, die meinen Garten betreten, staunen, auch diejenigen, die Gartenzwerge nicht mögen. Sie sagen: ‹Heieiei, das ist ja wie im Paradies!›» Auch deswegen habe er so viele Gartenzwerge aufgestellt.

Eine beeindruckende Sammlung kann Bewunderung wecken. Bis zum ausgehenden Mittelalter waren es Adlige, die ihre Besitztümer zur Schau stellten, später begannen vor allem Gelehrte damit, Kunst zu sammeln. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist das Sammeln in der breiten Masse angekommen. Die Menschen haben mehr Zeit und sind bereit, für eine Leidenschaft Geld auszugeben. Martin Nauer sagt, er bewahre alles auf, bevor er es wegwerfe. Darum stehen auf seinem Grundstück «etwa sieben Gartenhäuschen», die mit allerhand Souvenirs geschmückt sind: Elefanten aus Holz, Laurel und Hardy aus Kunststoff, Jesus aus Stein. Gartenzwerge will Nauer sich keine mehr zulegen. «Ausser ich sehe einen, der mir ‹verreckt› gut gefällt.»

Leidenschaften

Die wichtigsten Sammelobjekte der Männer
1. Bücher
2. Münzen
3. Briefmarken
4. Modellautos
5. Uhren

Die wichtigsten Sammelobjekte der Frauen
1. Bücher
2. Münzen
3. Nippes
4. Mineralien, Fossilien, Steine
5. Uhren

Gründe für das Sammeln
1.  Interesse am Sammelgebiet
2. Durch Geschenke aufs Sammeln gekommen
3. Zeitvertreib
4. Gefallen am Besitz, an der Nutzung
5. Durch Freunde, Bekannte aufs
Sammeln gekommen

Gründe, das Sammeln aufzugeben

1. Interesse am Sammeln verloren
2. Sammeln nie ernsthaft betrieben
3. Platzmangel
4. Zeitliche Gründe
5. Finanzielle Gründe

Quelle: Jens Kleine und Maximilian Jolmes: «Sammeln: Im Spannungsfeld zwischen Leidenschaft und Kapitalanlage»; Steinbeis-Hochschule Berlin, 2014