«Wir steuern in eine Nahrungsmittelkrise»
Die Schweizer Agronomin Marianne Bänziger züchtet Nutzpflanzen, die auch in den immer trockeneren Gebieten Afrikas gedeihen. Damit will die Forscherin die drohende Nahrungsmittelkrise abwenden.
Veröffentlicht am 6. September 2010 - 09:01 Uhr
Die Agronomin Marianne Bänziger, aufgewachsen in Goldach SG, doktorierte 1992 an der ETH und forscht seither mit dem Ziel, die Nahrungsmittelproduktion für die Ärmsten zu verbessern. Für die Fortschritte in der Trockenheitstoleranzzüchtung erhielten Bänziger und ihr Team 2006 den angesehenen Preis der internationalen landwirtschaftlichen Forschung, den King Baudouin Award. Als Forschungsleitern des International Maize and Wheat Improvement Center (CIMMYT) mit Sitz in Mexiko koordiniert sie die internationale Mais und Weizenforschung. Das CIMMYT wird von mehreren Geberländern, unter anderem auch von der Schweiz, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), unterstützt.
Marianne Bänziger ist die heimliche Heldin im Dokumentarfilm «Seed Warriors». Der Film von Mirjam von Arx kreist um die zentrale Frage, wie wir – angesichts von Klimawandel und Bevölkerungswachstum – die Menschheit künftig ernähren können. Zu Wort kommen Politiker, Agronomen und Klimatologen, aber auch afrikanische Kleinbauern – diejenigen, die von der Klimaveränderung am stärksten betroffen sein werden.
BeobachterNatur: Wie sind Sie als Schweizer Agronomin auf Afrika und den Mais gekommen?
Bänziger: Nach meiner Doktorarbeit an der ETH suchte ich eine neue Herausforderung. In der Schweiz war das Hauptproblem damals, in den 90igern, die Überproduktion. Darum habe ich in Mexiko mit Trockenheitstoleranzforschung angefangen und sie später für den Mais in Afrika aufgebaut – dort, wo die Erkenntnisse gebraucht werden.
BeobachterNatur: Sie versuchen, Sorten zu züchten, die Trockenheit ertragen, auf stickstoffarmen Böden wachsen und dennoch gute Erträge bringen. Ist das nicht ein Ding der Unmöglichkeit?
Bänziger: Es ist tatsächlich schwierig (lacht). Gleich gute Erträge wie unter günstigen Bedingungen lassen sich natürlich nicht erzielen. Aber wenn eine gezüchtete Sorte auch bei wenig Regen einigen Ertrag bringt und sich damit ein völliger Ernteausfall vermeiden lässt, ist das für die Bauern entscheidend, ja überlebenswichtig.
Wir haben Sorten entwickelt, die auf dem Feld 30 bis 50 Prozent mehr Ertrag bringen in einer Region, wo der der Durchschnittsertrag nur ein- bis eineinhalb Tonnen pro Hektare ist. Das ist zehnmal weniger als Bauern in der Schweiz erzielen. Kombiniert mit Anbaumassnahmen die die Bodenfruchtbarkeit erhöhen, können wichtige Unterschiede erzielt werden.
BeobachterNatur: Ist das Potential von Mais damit ausgeschöpft?
Bänziger: Nein, der Plafond ist noch lange nicht erreicht. Die Biodiversität bei Mais ist sehr gross, allein an unserem Forschungszentrum arbeiten wir mit 25'000 Landsorten. Das Ziel ist, Sorten zu züchten, die für die verschiedenen Regionen der Welt noch besser geeignet sind. Das braucht seine Zeit: Bis eine neue Sorte ausgetestet und marktreif ist, vergehen in der Regel fünf bis acht Jahre.
BeobachterNatur: Sie arbeiten vor allem mit konventionellen Methoden. Wäre der Einsatz von Gentechnologie nicht erfolgversprechender?
Bänziger: Wir haben andere Projekte, bei denen wir Gentechnologie einsetzen; wir suchen uns die jeweils beste Methode aus. Mit Gentechnologie lässt sich nicht alles erreichen; oft ist konvenzionelle Züchtung der kürzere, bessere und billigere Weg. Kommt dazu, dass viele afrikanische Länder ihre Gesetzgebung für gentechnisch veränderte Organismen erst aufbauen. Wichtig ist, dass die Länder und Bauern selber entscheiden können, welche Sorten sie anpflanzen wollen.
BeobachterNatur: Grosse Agrarflächen und Monokulturen sind schlecht für die Umwelt, für die Artenvielfalt. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?
Bänziger: Die Umweltbelastung ist zwar eine Bedrohung, aber nicht die grösste, die die Welt zu meistern hat, sondern vielleicht die hundertste. Die Hysterie um die Saatgut-Monopolisten ist übertrieben. In der Praxis sieht es anders aus, ausser vielleicht in Lateinamerika, wo die Monopolisierung ausgeprägter ist. Asien zum Beispiel hat über 400 lokale Saatgutfirmen, und in Afrika gibt es heute fünfmal mehr lokale Saatgutfirmen als noch vor zehn Jahren. Das Problem ist vielmehr, dass neue Sorten mit ungenügender Information angeboten werden oder dass der Markt zu klein ist, als dass mehrere Firmen ihre Produkte anbieten würden. Wir müssen versuchen, die Kleinbauern besser über neue Sorten und Anbautechniken zu informieren. Ihr Wissensdurst ist enorm, und sie treffen in der Regel gute Entscheidungen.
BeobachterNatur: Welche Rolle spielt der Klimawandel für Ihre Arbeit?
Bänziger: Die Klimaerwärmung wird in Afrika und Südasien, den ärmsten Regionen der Welt, die am stärksten von der Landwirtschaft abhängig sind, die grössten Auswirkungen haben. Im südlichen Afrika rechnet man bis 2050 mit 25 Prozent weniger Ertrag beim Hauptnahrungsmittel Mais. Nach neusten Berechnungen von David Lobell von der Stanford Universität in Kalifornien könnte sich auch die Anbauzeit in Afrika stark verkürzen; dieser Aspekt ist bisher noch nicht berücksichtigt worden. In Südasien (Indien, Pakistan) wird die Weizenproduktion bis 2050 klimabedingt um 40 Prozent zurückgehen; die Nachfrage jedoch um 40 Prozent steigen. Das heisst, wir haben ein Defizit von 80 Prozent. Das ist unvorstellbar für eine Region, in der ein Siebtel der Weltbevölkerung lebt und die politisch ein Pulverfass darstellt.
BeobachterNatur: Das heisst, der steigende Nahrungsmittelbedarf ist, neben dem Klimawandel, das grösste Problem?
Bänziger: Aus meiner Sicht: ja. Bis 2050 müsste die Welt auf der gleichen Fläche das Doppelte produzieren. Ausdehnen können wir die Anbauflächen nicht, sonst müssten wir Wälder abholzen, und das können wir uns aus Klimaschutzgründen nicht leisten. Das bedeutet, wir müssen unsere Erträge steigern, trotz knapper werdender Ressourcen wie Wasser und Düngemittel. Phosphor, Kalium und Stickstoff sind limitierte, respektive teurer werdende Rohstoffe, ohne die es in der Nahrungsmittelproduktion nicht geht.
BeobachterNatur: Das bedeutet, Nahrungsmittel werden künftig knapper und teurer werden?
Bänziger: Szenarien gehen davon aus, dass mit dem Rückgang der verfügbaren Düngevorräte und mit steigenden Energiekosten die Nahrungsmittelpreise explodieren werden. Die globale Nahrungsmittelproduktion ist proportional abhängig von der eingesetzten Düngermenge: Werden Dünger teurer, werden auch die Nahrungsmittel teurer.
Höhere Lebensmittelpreise können bis zu zwei Milliarden Menschen, die heute zwischen ein und zwei Dollar pro Tag verdienen, wieder in die Armut zurücktreiben. Ganz zu schweigen von der einen Milliarde Menschen, die heute schon hungert. Wenn wir den Preis für Nahrungsmittel tief halten wollen, müssen wir die Erträge steigern, wie zum Beispiel durch effizientere Sorten und bessere Ausbildung von Kleinbauern.
BeobachterNatur: Können Sie angesichts dieser drohenden Nahrungsmittelkrise noch ruhig schlafen?
Bänziger: Die Aussichten sind tatsächlich beängstigend. Falls wir jetzt keine längerfristigen Massnahmen treffen, steuern wir mitten in eine Nahrungsmittelkrise hinein, wird die Welt 2025 eine andere sein. Die Zustände werden chaotisch sein, es wird einen verzweifelten Kampf um Ressourcen geben, wie man es vor zwei Jahren bereits in Kenia gesehen hat. Menschen in Afrika und Asien, die von der Landwirtschaft abhängig sind, werden keine andere Möglichkeit haben als die Migration und auch nach Europa zu kommen. Wir müssten alles daran setzen, die lokale Produktion in diesen Ländern wirtschaftlicher machen. Je länger wir zuwarten, desto schwieriger wird es, diese Entwicklung zu stoppen.
Gleichzeitig wird viel zu wenig in die internationale landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung investiert – halb so viel wie noch 1990. Dabei bekräftigen Weltbank und G-20-Politiker seit Jahren, dass wir umdenken müssen. Wir sind sehr spät dran, 15 Jahre sind in der Forschung eine kurze Zeit, und es gibt immer noch eine Limite: den biologischen Rhythmus. Die Wachstumszyklen können wir nicht beschleunigen. Ausserdem wäre es naiv zu glauben, eine bessere Sorten alleine könne die Welt verändern. Dazu braucht es mehrere Ansätze.
BeobachterNatur: Der Westen steckt seit Jahrzehnten Milliarden in die Entwicklungshilfe. Getan hat sich jedoch wenig.
Bänziger: Das sehe ich anders. In den 14 Jahren sah ich grosse Veränderungen in Afrika. Die allermeisten Menschen sind keine Schmarotzer, sie arbeiten hart, wollen sich entwickeln. Wir hören aber immer nur die negativen Nachrichten, somalische Piraten sind eben interessanter als die kleinen Fortschritte im täglichen Leben. Afrika hat einen schlechteren Ruf, als es verdient hat. Wir müssen bedenken, dass in Entwicklungsländern für Verbesserungen der Infrastruktur 100- bis 400-mal weniger Geld zur Verfügung steht als bei uns.
BeobachterNatur: Müsste man nicht auch das weltweite Bevölkerungswachstum in den Griff kriegen statt immer noch mehr Nahrungsmittel produzieren zu wollen?
Bänziger: Die einzige Möglichkeit, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen, ist die Reduktion der Armut. Das Problem ist, dass reichere Menschen, in China und Indien betrifft das derzeit eine Milliarde Menschen, veränderte Bedürfnisse haben, mehr Ressourcen brauchen, mehr Korn, mehr Fleisch. Die Frage, die sich der Weltgemeinschaft stellt, muss lauten: Wie gehen wir mit den limitierten Ressourcen um?
BeobachterNatur: Einige Tonnen Ihrer Mais- und Weizensamen lagern sicher im norwegischen Permafrost, in der internationalen Saatgut-Datenbank. Beruhigt Sie dieser Gedanke?
Bänziger: Die Samenbank in Spitzbergen ist ein wichtiges Back-up. Bei einer Katastrophe – Brand, Erdbeben, Stromausfall – bedeutet sie die letzte Sicherheit. Allerdings sind dort nur kleine Mengen an Saatgut eingelagert. Müssten wir daraus Sorten vermehren, käme das sehr teuer zu stehen: Allein die Vermehrung de 25'000 Maissorten würden 25 bis 50 Millionen Dollar kosten, fast unser gesamtes Jahresbudget. Die Frage ist, ob wir uns das in Zukunft leisten können. Auch unser Institut ist von der Finanzkrise betroffen. Verschlimmert sich die wirtschaftliche Situation weiter, kommen über unsere Geberländer weniger Gelder herein. Dabei müssten wir den Etat verdoppeln, um die die anstehenden Probleme zu lösen. Die dringliche Frage, die sich uns Forschern stellt, lautet: Wer investiert auf globaler Ebene in die Nahrungsmittelsicherheit?
BeobachterNatur: Wäre der Verzicht auf Fleisch ein möglicher Ansatz, um die Ernährungskrise abzuwenden? Anders gefragt: Ist der Fleischkonsum heute ökologisch noch vertretbar?
Bänziger: Global gesehen ist der steigende Bedarf an Fleisch augenblicklich die grössere Bedrohung als der Bedarf an Biotreibstoff. Der Bedarf an Mais steigt hauptsächlich aufgrund des zunehmenden Fleisch- und Milchkonsums. Fleisch und Milch verbrauchen ein Mehrfaches an Ressourcen als pflanzliche Lebensmittel. Von daher sollten wir unseren Fleischkonsum, wo er in direkter Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion steht, einschränken.
BeobachterNatur: Wo müsste man Ihrer Meinung nach ansetzen, um den drohenden Welthunger zu bekämpfen?
Bänziger: Es kann nicht nur darum gehen, neue Nutzpflanzen und genügend Dünger zur Verfügung zu stellen, es braucht eine ganzheitliche Unterstützung. Wir müssen die Rahmenbedingungen der Kleinbauern verbessern, Infrastrukturen schaffen, ihnen dabei helfen, neue Märkte zu erschliessen. In Afrika finden Lebensmittel oft nicht einmal den Weg aus dem Dorf in die Stadt: der Transport ist zu teuer, es gibt keine Strassen. Da müsste man ansetzen.
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