Petition mit über 125’000 Unterschriften übergeben

Das dramatische Ausmass des Insektensterbens hat viele aufgeschreckt – und führt nun zu politischen Forderungen: Im September 2018 lancierten die Naturfreunde Schweiz NFS, der Schweizer Bauernverband SBV, der Dachverband der Schweizer Imker apisuisse sowie Dark-Sky Switzerland gemeinsam eine Petition. Darin fordern sie Bundesrat und Parlament dazu auf, die Ursachen und die Tragweite des Insektensterbens in der Schweiz wissenschaftlich fundiert aufzuzeigen und umgehend Massnahmen zu ergreifen sowie die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. 

Innert kürzester Zeit hat die Koalition über 125’000 Unterschriften gesammelt – das ursprüngliche Ziel von 50’000 wurde damit deutlich überschritten. Die Petition soll noch im Laufe der aktuellen Wintersession dem Parlament übergeben werden. Danach müssen die zuständigen Kommissionen beider Räte sowie das entsprechende Departement des Bundesrates entscheiden, ob sie der Petition Folge geben und das Anliegen aufnehmen.

 

(Update vom 3.12.2018)

Seit zwei Jahren versucht Förster August Erni, den Lauf der Zeit aufzuhalten. Dafür geht er immer wieder zum Waldrand hoch und entfernt Bäume und Sträucher. Nur eine Pflanze lässt er stehen: den Schwarzdorn, eine Heilpflanze aus der Familie der Rosengewächse. Sie ist der Lieblingsplatz eines kleinen, unscheinbaren Schmetterlings: des Pflaumen-Zipfelfalters. Er ist so selten geworden, dass er auf der Roten Liste der Tagfalter steht.

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Erni ist im Auftrag der Gemeinde Opfikon ZH unterwegs, die Knochenarbeit machen Teilnehmer eines Arbeitsintegrationsprogramms der Plattform Glattal. Um den Falter zu retten, müssen sie verhindern, dass alles zuwächst. Denn im dichten Wald fühlen sich Pflaumen-Zipfelfalter nicht wohl – sie verschwänden, vielleicht für immer.

Immer mehr Arten gefährdet

Wie dem Pflaumen-Zipfelfalter geht es vielen Artgenossen. In der Schweiz werden 226 Schmetterlingsarten regelmässig beobachtet. Jede dritte Art ist gefährdet, einzelne sind bereits ausgestorben. 44 weitere Arten gelten als potenziell gefährdet.

Nicht besser geht es anderen Insektenarten. Ob Bienen, Fliegen, Schnaken, Käfer, Heuschrecken oder Libellen: Die Roten Listen werden länger. In der Schweiz gibt es insgesamt rund 16'600 bekannte Insektenarten, knapp 2500 werden beobachtet. Von ihnen gelten über 40 Prozent als gefährdet.

Unbezahlbar für Mensch und Natur

In Deutschland wies eine Studie letzten Sommer ein Massensterben von Insekten nach. Insektenkundler haben in verschiedenen Naturschutzgebieten 27 Jahre lang Insekten gefangen. Sie haben gezählt, bestimmt, gewogen – und festgestellt, dass die Biomasse dieser Tiere um über 75 Prozent abgenommen hat.

Für die Schweiz gibt es keine vergleichbaren Daten. Dass es auch bei uns viel weniger Insekten gibt als noch vor 30 Jahren, bezweifelt aber kaum ein Insektenexperte. Auch Hannes Baur nicht. Der Kurator für Insekten am Naturhistorischen Museum Bern sucht seit fast 30 Jahren immer wieder die gleichen Wiesen ab und fängt Erzwespen ein. «Es bleiben immer weniger Tiere im Netz hängen.» Man müsse davon ausgehen, dass sich die Daten aus Deutschland auf die Schweiz übertragen lassen, zumindest aufs Mittelland. 

Das wäre nicht weiter tragisch, wenn die Tierchen einfach nur lästig wären. Tatsächlich leisten sie aber unbezahlbare Dienste für Mensch und Natur. Insekten zersetzen tote Pflanzenteile und Tiere und halten so den Boden fruchtbar. Sie bestäuben Blüten und sorgen für gute Ernten. Sie fressen einander und übernehmen so die Schädlingskontrolle. Sie sind Nahrungsgrundlage für andere Tiere.

 

«Wenn es keine Insekten gäbe, könnte ich einpacken.»

Stefan Anderes, Obstbauer

 

Fakt ist: Ohne Insekten ginge nichts. Der Mensch würde verhungern. Wie viel die Sechsbeiner wert sind, hat das Forschungsinstitut Agroscope berechnet. Honig- und Wildbienen etwa erwirtschaften in der Schweiz rund 342 Millionen Franken pro Jahr – gratis und franko.

«Wenn es keine Insekten gäbe, könnte ich einpacken», sagt Stefan Anderes. Der 36-jährige Obstbauer aus Egnach TG tippt mit dem Finger an eine kleine Schachtel. Sie enthält erdfarbene Krümel: Mauerbienen in ihren Kokons. Es ist Mitte Februar, noch schlafen die Bienen. Später werden sie auf Anderes’ Apfelplantage dafür sorgen, dass viele Früchte heranreifen. Gut 300 Tonnen Tafelobst produziert der dreifache Familienvater pro Jahr. «Ich halte meine Bienen nicht, weil ich sie unbedingt brauche, aber sie sind eine willkommene Unterstützung», sagt er.

Ausgerechnet die Landwirtschaft hat vieles zerstört

Die Obstbauern spüren als Erste, was es heisst, wenn Insekten fehlen. Spätestens seit die Honigbiene darbt, kaufen oder mieten viele im Frühling gezielt Hummeln oder Wildbienen dazu. Naturschützer sehen das nicht gern, für sie ist das blosse Symptombekämpfung. Denn eine der Hauptursachen für das Insektensterben ist ausgerechnet – die Landwirtschaft.

Die intensive Bewirtschaftung der Böden hat vieles zerstört, was für die Tiere wichtig ist. So brauchen zahlreiche Insektenarten Wiesen mit verschiedenen Blumen, die zu verschiedenen Zeiten blühen. Doch artenreiche Trockenwiesen gibt es immer weniger, ihre Fläche ist seit 1900 um ganze 95 Prozent geschrumpft. Bauern schneiden Grasflächen zu früh und zu oft, bis zu achtmal im Jahr. Manche Pflanzen schaffen es so gar nie zur Blüte.

Auch viele Feuchtgebiete – die Heimat zahlreicher Gewässerinsekten – sind trockengelegt. Und die Böden sind oft überdüngt. So wachsen einzelne Pflanzen gar nicht, andere dagegen so schnell, dass die kleineren keine Chance haben. Das Resultat sind kräftig grüne Wiesen voll gelb leuchtendem Löwenzahn. Für das menschliche Auge vielleicht ein Genuss – für Falter, Fliegen, Bienen und Konsorten eine Wüste.

Grossflächig verschwunden sind auch Hecken am Rand der Felder. Dort hausen naturgemäss viele Insekten. Ohne solche Gehölze können sie sich nicht fortpflanzen.

2000 Tonnen Pestizide pro Jahr

Und dann sind da noch die Pestizide. Die Gifte töten Insekten entweder direkt, weil sie genau dafür gemacht sind, oder indirekt über die Nahrungskette, sozusagen als Kollateralschaden. 2000 Tonnen Pestizide landen jedes Jahr auf Schweizer Feldern.

Auch Obstbauer Stefan Anderes greift regelmässig zur Spritze. «Aber nur wenn es unbedingt nötig ist», sagt er. Jede Fahrt durch die Plantage verdichte den Boden. «Ich würde mir ins eigene Fleisch schneiden, wenn ich ständig am Spritzen wäre.» Aber ohne Pflanzenschutz könne man nicht gesunde und zugleich günstige Früchte produzieren. «Internationale Konkurrenzfähigkeit und rigorose ökologische Vorschriften, das passt einfach nicht zusammen.»

Seine Lösung: Er übernimmt diejenigen Methoden aus der Biolandwirtschaft, die er für sinnvoll hält. So hängen etwa Filzstreifen in seinen Bäumen. Sie locken Raubmilben an, die dann die Spinnmilben fressen. Ohrwürmer nisten sich in Tontöpfen mit Holzwolle ein und vertilgen Blattläuse und Birnblattsauger.

Hobbygärtner ohne Kontrolle

Biologische Pflanzenschutzmittel sind für Anderes aber nur teilweise eine Option. «Oft sind sie weniger lang wirksam. Man muss öfter spritzen und beansprucht damit den Boden.» Seine Wildbienen seien der Beweis, dass sein Pflanzenschutz insektenschonend sei. «Das Bild vom wahllos Gift versprühenden und Insekten killenden Bauern stimmt nicht.»

Ähnlich tönt es beim Schweizer Bauernverband. «Selbst wenn alle biologisch produzieren würden, hätten wir keine pestizidfreie Landwirtschaft», sagt Fabienne Thomas, Expertin für Produktion, Märkte und Ökologie. Das in der Biolandwirtschaft zulässige Kupfer etwa bleibe für immer im Boden. «Auch viele Hobbygärtner setzen Dünger und Pestizide ein. Sie werden nicht kontrolliert.» Wenn es immer weniger Insekten gebe, seien nicht nur die Bauern schuld.

Tatsächlich gibt es noch andere Gründe. Täglich werden Wiesen zugebaut. Neue Strassen und Siedlungen zerschneiden die Lebensräume von Insekten. Das beschränkt ihre Möglichkeiten, sich fortzupflanzen.

Tödliches Licht

Und dann das Licht. Unzählige Insekten sterben nachts bei Laternen und Lampen: aus Erschöpfung, nachdem sie stundenlang ums Licht geschwirrt sind, oder weil sie an der heissen Birne verbrutzeln. Im Mittelland gibt es heute keinen Quadratkilometer mehr, wo nachts absolute Dunkelheit herrscht. Das wirkt sich auf die Bestäubung aus, denn viele Insekten arbeiten nachts.

In einem Experiment hat Biologin Eva Knop mit ihrem Team von der Uni Bern Wiesen im Diemtigtal beleuchtet und die Blütenbesuche nachtaktiver Insekten beobachtet. Fazit: Die Blüten erhalten seltener Besuch. Bei den Kohldisteln sank der Ertrag der Früchte um 13 Prozent.

Helle Nächte sind für die Insekten tödlich

Künstliche Lichtquellen haben in den letzten Jahrzehnten schweizweit zugenommen. Das wird nachtaktiven Insekten oft zum Verhängnis.

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Dem Insektensterben könne man theoretisch mit Zuchtbienen begegnen und die Nutzpflanzen ausschliesslich so bestäuben, sagt Knop. Aber: «Das Problem ist, dass man auch dafür biologische Vielfalt braucht. Wenn beispielsweise eine Krankheit die Bienen dahinrafft, braucht es einen Plan B.» Je mehr unterschiedliche Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten es gibt, desto eher ist das Aussterben einer Art verkraftbar. Das Zauberwort lautet deshalb Biodiversität, Vielfalt auf allen Ebenen.

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Es gibt unzählige Massnahmen, Verordnungen, Vorschriften und Empfehlungen, mit denen man die biologische Vielfalt allgemein oder bestimmte bedrohte Arten gezielt fördern will. Das Projekt in Opfikon ist nur ein Beispiel. Ämter erheben Daten, führen Listen, schaffen Inventare. Die Direktzahlungen in der Landwirtschaft sind an ökologische Auflagen geknüpft. Für Ökowiesen, die über mehrere Jahre nur beschränkt oder gar nicht gedüngt und gemäht werden dürfen, gibt es Geld. Und der Einsatz von Pestiziden ist reglementiert – nach dem Motto: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Nach fast zehnjähriger Arbeit liegt nun auch ein Aktionsplan zur Biodiversität vor. Für Sofortmassnahmen wurden immerhin 135 Millionen Franken gesprochen.

Manchmal sendet das Bundeshaus aber auch widersprüchliche Botschaften aus. So sollen beim Gewässerschutz die Grenzwerte fast aller Pestizide teils massiv erhöht werden. «Die Werte werden an die effektive Gefährlichkeit der Stoffe angepasst, um diejenigen zu identifizieren, die für das Insektensterben in unseren Gewässern mitverantwortlich sind», sagt dazu Franziska Schwarz, Vizedirektorin des Bundesamts für Umwelt (Bafu). An den Regeln zum Einsatz von Pestiziden aber ändere sich nichts.

Es gibt keinen Grund für Optimismus

Unter dem Strich bleibt die Bilanz düster. Die Landwirtschaft verfehlt die meisten Umweltziele. Ökowiesen halten in Bezug auf die Artenvielfalt oft nicht, was sie versprechen. «Die gut klingenden Massnahmen greifen nicht, wir tun viel zu wenig», konstatiert Urs Tester von Pro Natura Schweiz. Ein Beispiel: Um die letzten Trockenwiesen zu erhalten, habe man sie zwar inventarisiert – aber man dürfe sie weiterhin mit Kreiselmähern mähen. «Bei jedem Schnitt stirbt ein Drittel der Insekten.» Insgesamt gelten heute 36 Prozent aller Tier-, Pflanzen-, Flechten- und Pilzarten als gefährdet.

Das Rad der Zeit lasse sich nicht zurückdrehen, sagt Franziska Schwarz vom Bafu. «Umso wichtiger sind Anstrengungen aller zugunsten der Biodiversität. Aber die Natur braucht Zeit. Und die demokratischen Prozesse auch.»

Die Zeit anhalten, das immerhin scheint zu klappen. Wenigstens in Opfikon. Wenigstens für eine Weile. Doch Insektenkundler Hannes Baur ist nicht sehr zuversichtlich: «Ich befürchte, wir können die Entwicklung nicht mehr stoppen. Insekten haben einfach keine Lobby.» 

Länder im Vergleich

Ein Vergleich aktueller Roter Listen zeigt: In Frankreich und Italien geht es mancher Insektengruppe besser.

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Das leistet der Springschwanz

Der Springschwanz ist ein bis fünf Millimeter gross und zerkleinert totes Pflanzen- und Tiermaterial. Er bildet so Humus und sorgt dafür, dass der Boden fruchtbar bleibt. Springschwänze leben vor allem im Boden, manche Arten auch im Wasser. In Mitteleuropa gibt es etwa 450 Arten.

Springschwanz

Quelle: Andrea Klaiber
Das leistet die Gemeine Sandbiene

Die Gemeine Sandbiene ist eine von rund 600 Wildbienenarten in der Schweiz. Sie bestäubt zahlreiche Arten von Wild- und Nutzpflanzen. Sie lebt an Waldrändern, bei Sandgruben, in Gärten und legt ihre Eier im Boden ab. In Mitteleuropa gibt es 150 Sandbienenarten, die Gemeine Sandbiene ist eine davon.

Die Gemeine Sandbiene

Quelle: Andrea Klaiber
Das leistet die Florfliegenlarve

Die Florfliegenlarve wird auch Blattlauslöwe genannt. Sie frisst mit Vorliebe Blattläuse und wird deshalb zur biologischen Schädlingsbekämpfung gezüchtet. Die Larven leben überall, wo es Blattläuse gibt. Die Fliegen ernähren sich ebenfalls von Blattläusen und von Pollen. In Mitteleuropa gibt es ungefähr 35 Arten.

Florfliegenlarve

Florfliegenlarve

Quelle: Andrea Klaiber
Helfen Sie den Insekten mit kunterbuntem Chaos

Insekten lieben Abwechslung, buntes Chaos statt grüne Wüste ist deshalb angesagt. Wer im eigenen Garten etwas für sie tun will, greift zu einer Wiesenmischung aus einheimischen Wildblumen, legt Staudenbeete an und lässt den Rasenmäher so oft wie möglich links liegen.

Die Stauden wählt man so aus, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten blühen. Schwebfliegen und Wildbienen lieben vier Pflanzen besonders: Rainfarn, Färberkamille, Weissen Gänsefuss und Schafgarbe.

Insekten brauchen Rückzugsorte wie Astbeigen, Laub- oder Steinhaufen. Wer Sandbienen anlocken will, legt an einem sonnigen, ungestörten Ort einen kleinen Sandhügel an. Darin bauen sie ihre Nester. Andere Wildbienen freuen sich über ein Insektenhotel. Beim Kauf oder beim Eigenbau muss man auf saubere Bohrlöcher achten, Splitter können die Flügel der Tiere verletzen. Sie beziehen das Hotel auch auf einem Balkon, wenns genug Futterpflanzen in der Nähe hat.

Insektizide und Kunstdünger haben in einem insektenfreundlichen Garten nichts verloren. Genauso wenig wie fremde Pflanzen, die einheimische verdrängen.

Ein insektenfreundlicher Garten hat auch im Herbst Vorteile: Verblühte Stauden lässt man einfach stehen. Sie bieten Insekten ein ideales Plätzchen zum Überwintern.

 

Ideen und Merkblätter

 

Neophyten

EU verbietet drei Insektengifte

Ein EU-Ausschuss verbietet den Einsatz dreier Pflanzenschutzmittel auf Neonicotinoid-Basis. Die Insektizide können Pflanzen vor Schädlingen schützen, beeinträchtigen jedoch Wild- und Honigbienen in ihrer Orientierungsfähigkeit bis hin zum Tod. Das Verbot betrifft die Insektizide Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam als Saatgut und Spritzmittel auf dem Freilandacker. Weiterhin erlaubt sind die Mittel im Gewächshaus.

Auch die Schweiz zieht mit einem Verbotsentscheid nach. «Anwendungen im Freiland werden ab Ende 2018 verboten», schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft BLW in einer Mitteilung. Wie in der EU sind die Pflanzenschutzmittel im Gewächshaus weiterhin erlaubt. Trotz Verbot der drei genannten Nicotinoide bleibt jedoch das umstrittene Pestizid Glyphosat weiterhin erlaubt.

(Update vom 27.04.2018)

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