«Eine Deponie ist wie ein Sechser im Lotto»
Mit Bauabfalldeponien verdienen Firmen und Gemeinden gutes Geld – auf Kosten des Recyclings. Oft wird dafür auch Wald geopfert.
Veröffentlicht am 10. Dezember 2019 - 17:34 Uhr
Im Baselbiet dürften bald wieder die Motorsägen kreischen. Wald muss neuen Deponien weichen. Denn die wichtigste regionale Deponie, die Höli in Liestal, ist bald voll – und das 25 Jahre früher als geplant. Der Regierungsrat spricht von einer «Fehlentwicklung». Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hätten die Betreiber eine Steuerung der Abfallmenge und der «Auffüllgeschwindigkeit» abgelehnt. Die Behörden mussten tatenlos zusehen.
Die Deponie war in einem Naherholungsgebiet gebaut worden, ihr wurde wertvoller Mischwald geopfert. Für die Betreiber ein lukratives Geschäft. Allein die Mehrheitsaktionärin, die Bürgergemeinde Liestal, kassiert bis zu 6 Millionen Franken Gewinn pro Jahr. Die anderen Eigentümer, drei Transport- und Baufirmen, machen nicht nur Profit, sie können auch den eigenen Abfall zu Tiefstpreisen entsorgen. Umweltschützer sprechen von Preisdumping und Abfalltourismus.
Auch in der Ostschweiz und im Bernischen herrscht Deponienotstand. Geeignete Standorte zu finden, ist eine ziemlich zähe Angelegenheit. Die Bewilligungsverfahren sind langwierig, mancherorts gibt es heftigen Widerstand. Verantwortlich für den grossen Bedarf ist die Bauwirtschaft. Sie produziert jährlich gut 70 Millionen Tonnen Aushub- und Abbruchmaterial, mehr als vier Fünftel des gesamten Schweizer Abfalls.
Selbst wenn der Bauabfall mehrheitlich sauber ist, muss er entsorgt werden. Dafür sind die Baufirmen selber verantwortlich. Deshalb betreiben sie in eigener Regie Deponien. Dabei gebe es grosse Unterschiede, heisst es beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). «Fortschrittliche Unternehmen verstehen das Recycling als Chance zur Schonung von Deponieraum» – und könnten dafür die Deponien länger betreiben. Andere hätten eine weniger langfristige Planungssicht: «Hier steht das kurzfristige Auffüllen im Vordergrund.»
Genau das befürchten Deponiegegner in Ermenswil SG. Hier soll eine Kiesgrube erweitert und in eine Deponie verwandelt werden. 3 Hektaren Wald müssen weichen. Die Lokalzeitung berichtet von «vielen Ungereimtheiten». (Artikel kostenpflichtig) Es gebe geeignetere Standorte, moniert der VCS und befürchtet einen ausufernden Abfalltourismus, nur um der lokalen Baufirma «ein möglichst lukratives Geschäft zu bescheren».
Bauabfälle in ehemaligen Ton- oder Kiesgruben zu deponieren, ist naheliegend. Sie müssen ohnehin wieder aufgefüllt werden. Doch das Ganze ist zum Geschäft geworden.
«Der Betrieb einer Deponie ist für Baufirmen wie ein Sechser im Lotto», sagt Robin Quartier, Geschäftsführer des Verbands der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen. «In der Regel haben Deponiebetreiber ein regionales Monopol, können ihren Mitbewerbern den Preis diktieren und selber günstig entsorgen.» Dieses private Entsorgungssystem führe zu «grosser Marktverzerrung». Laut Robin Quartier ist «mehr staatliche Lenkung notwendig». Ähnlich wie beim Hausmüll , dessen Entsorgung die öffentliche Hand organisiert.
Abfalldeponierung sollte Staatssache sein, sagt auch Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Die Schweiz gehe nicht nachhaltig mit ihren Ressourcen um. «Den Firmen geht es darum, den Bauaushub möglichst rasch zu entsorgen – auf Kosten der Umwelt.» Rodewalds Rezept dagegen: mehr Recycling.
Inzwischen werden zwei Drittel des Abbruchmaterials wiederverwendet , etwa Beton und Backsteine. Vom Aushub aber landet der allergrösste Teil in Deponien.
Gemäss Abfallverordnung müssen Bauabfälle zwar «möglichst vollständig» verwertet werden. Doch in der Praxis gibt es gemäss dem Bundesamt für Umwelt einigen Spielraum. Das Problem ist der Preis: Recycling-Baustoffe sind zwar von guter Qualität– da neuer Kies in der Regel aber günstiger ist, fehlt der Anreiz, Recycling-Material einzusetzen.
Auch weil so wenig Aushub wiederverwertet wird, müssen laufend neue Deponien her – und das immer öfter in Wäldern oder Naturschutzgebieten . Laut Landschaftsschützer Raimund Rodewald sei der Widerstand gegen Abholzung meist gering. Der Grund: Der Wald gehöre meist öffentlichen Körperschaften, etwa Bürgergemeinden, Gemeinden oder Kantonen. Und für den Bau von Deponien werden sie finanziell entschädigt.
«Weil der Wald keine politische Lobby hat, wird er als schwächstes Glied geopfert. Dabei ist Rodung gesetzlich verboten», sagt Rodewald. Ausnahmen seien nur bei wichtigen Gründen erlaubt. Auf diese würden sich die Behörden immer häufiger berufen und so das Waldgesetz aufweichen.
«In Airolo wird die Autobahn mit Abbruchmaterial aus dem Gotthardtunnel überdeckt. Die Kosten sind hoch, aber am Schluss entsteht über der Strasse neue Grünfläche.»
Robin Quartier, Abfallexperte
Pro Jahr werden heute landesweit rund 20 Hektaren Wald «für Entsorgungszwecke» gerodet. Im Kanton Zürich sind aktuell zwei neue Walddeponien geplant, in Basel-Landschaft je eine in einem Wald und in einem Naturschutzgebiet. Umweltverbände werden sich gegen diese Pläne wehren. Im Zürcher Oberland war der Widerstand bereits erfolgreich: Die Deponie Tägernauer Holz wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Damit bleiben 10 Hektaren Wald erhalten.
Abfallexperte Robin Quartier hätte ein Rezept gegen die Zerstörung der Landschaft. Man könnte Deponien auf verkehrsreichen Strassenabschnitten errichten, die überdacht werden. Meint er das ernst? «Ja. In Airolo wird die Autobahn mit Abbruchmaterial aus dem Gotthardtunnel überdeckt. Die Kosten sind hoch, aber am Schluss entsteht über der Strasse neue Grünfläche.»