Die Schweiz hat ein massives Plastikproblem – und kritisiert lieber andere
Eine NGO prangert den Schweizer Umgang mit Plastik an. Stossend sei insbesondere, dass die Schweiz international mehr fordert, als sie national umsetzt.
Veröffentlicht am 12. Januar 2023 - 09:29 Uhr
«Die Schweiz hat ein Plastikproblem», sagt Fabienne McLellan, Geschäftsführerin von Oceancare. Die NGO hat kürzlich einen Bericht zur Plastikverschmutzung in der Schweiz publiziert. Sie analysiert darin verschiedene Studien und Daten des Bundesamts für Umwelt. Der Bericht kratzt am Image der Schweiz als Vorbild in Sachen Sauberkeit und Recycling.
Die grössten Probleme im Überblick
1. Hoher Plastikverbrauch
Laut Oceancare werden in der Schweiz pro Kopf und pro Jahr 127 Kilogramm Plastik verbraucht. 95 Kilogramm davon sind Abfall. Anders ausgedrückt heisst das: In der Schweiz schmeisst jede Person pro Jahr Plastikmüll weg, was dem Gewicht von etwa 7300 PET-Fläschli entspricht. «Damit gehört die Schweiz zu den europäischen Spitzenreitern», sagt McLellan. Eine hohe Kaufkraft und die Mobilität führten zum Verbrauch von viel Verpackungsmaterial und Take-away-Geschirr. «Wir produzieren Wohlstandsmüll.»
McLellan illustriert dies am Beispiel eines Plastiksacks: «Ein Plastiksack wird mit Rohöl und Erdgas hergestellt. In Gebrauch ist er dann im Schnitt aber nur etwa 20 Minuten, bevor er wieder weggeworfen und verbrannt wird. Das ergibt keinen Sinn und ist eine riesige Ressourcenverschwendung.»
2. Viel Plastik in der Umwelt
Der hohe Verbrauch von Plastik führt dazu, dass davon viel in der Umwelt landet. 14’000 Tonnen Makro- und Mikroplastik gelangten jährlich in die Schweizer Umwelt, schreibt Oceancare. Makroplastik sind Kunststoffteile, die grösser als 5 Millimeter sind. Kleinere Kunststoffteile werden als Mikroplastik bezeichnet.
Von den 14’000 Tonnen macht der Reifenabrieb von Fahrzeugen 8900 Tonnen aus. «Wo Strassen nahe an Seen vorbeigehen, wie zum Beispiel am Genfer- und Zürichsee, ist ein besonders hohes Aufkommen von Mikroplastik in den Seen nachweisbar», sagt McLellan. Der zweitgrösste Anteil macht Littering mit 2700 Tonnen aus. Dabei werden Zigarettenstummel und Verpackungen am meisten gelittert.
«Unsere Plastiksäcke selbst landen kaum als Ganzes im Meer, unser Mikroplastik aber schon.»
Fabienne McLellan, Geschäftsführerin Oceancare
Plastik gelangt in Böden, ins Wasser, in Sedimente, in Schnee und sogar in den menschlichen Körper. Am Beispiel des Plastiksacks bedeutet das: Wird er nicht entsorgt, gelangt er beispielsweise in einen Fluss. Wahrscheinlich wird er, bevor er im Meer landen würde, von einem Rechen aufgehalten, herausgefischt und verbrannt. In der Zeit, in der er sich in der Umwelt befindet, wird er aber bereits von der Witterung, der Sonne und dem Wasser zersetzt und zerfällt in kleinere Teile, die vom Boden aufgenommen werden und ins Grundwasser gelangen. «Unsere Plastiksäcke selbst landen kaum als Ganzes im Meer, unser Mikroplastik aber schon», sagt McLellan.
3. Schlechtes Recycling
Ein weiterer Punkt, den Oceancare als Teil des Plastikproblems der Schweiz aufführt, ist das Recycling . In der Schweiz würden nur 10 Prozent des Plastiks überhaupt recycelt. Dies liege zum einen daran, dass nur recycelt werden kann, was zuvor gesammelt wurde. Mikroplastik könne jedoch nicht gesammelt werden und bleibe für Jahrhunderte in der Umwelt.
Weiter sei ein komplett geschlossener Recycling-Kreislauf bei Plastik kaum möglich. «Plastikrecycling ist immer ein Downcycling. Man muss aktuell immer noch viel Neuplastik beimischen», sagt McLellan. Die Technologie zur hundertprozentigen Nutzung sei noch nicht marktreif.
Wie weiter?
«Das Problem der Plastikverschmutzung in der Schweiz ist viel grösser, als die Öffentlichkeit gemeinhin wahrnimmt», fasst der Bericht von Oceancare zusammen. Obwohl die Lösung eigentlich klar sei: klare Regulierungen, damit weniger Plastik produziert und verbraucht wird. «Das ist nicht illusorisch, sondern in vielen Ländern ist es bereits Realität. Die Schweiz ist Schlusslicht in Europa, was die Massnahmen gegen Einwegplastik angeht», sagt McLellan.
«Es ist auffällig, dass die Schweiz international zwar nach vorne zieht, gleichzeitig der Bundesrat aber auf nationaler Ebene immer wieder bremst.»
Fabienne McLellan, Geschäftsführerin Oceancare
Die rechtlichen Grundlagen, den Plastikverbrauch mit Verboten einzuschränken, seien laut Oceancare schon da. Mit Artikel 30a des Umweltschutzgesetzes kann der Bundesrat unnötiges Einwegplastik verbieten. Und laut Artikel 26 könnte die Beimischung von Mikroplastik in Kosmetikprodukten verboten werden. Doch der Bundesrat zögere bei der Umsetzung und bestehe auf Freiwilligkeit, kritisiert McLellan.
Für Oceancare besonders stossend: International engagiert sich die Schweiz stark für einen nachhaltigen Umgang mit Plastik. Im Uno-Umweltprogramm setzt sie sich für ein ambitioniertes Plastikabkommen ein, das Plastikabfall eindämmen soll. «Es ist auffällig, dass die Schweiz international zwar nach vorne zieht, gleichzeitig der Bundesrat aber auf nationaler Ebene immer wieder bremst und das Umweltschutzgesetz nicht anwenden will», sagt McLellan. Die Schweiz müsse sich ihrer Verantwortung endlich stellen.
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1 Kommentar
Natürlich hat die Schweiz (Industrien, Wirtschaft, industrialisierte Landwirtschaft, Konsumenten/Konsumentinnen)seit vielen Jahren verschiedenste Umwelt-Probleme (selber er-geschaffen)!
Wo KEINE Einsicht, da KEINE Verbesserungen möglich! Das gilt für jede einzelne Person (Konsumverhalten)!
Zudem scheinen Bundesrat, Parlament, Zuständige/Verantwortliche von Behörden, Ämtern.... anderweitig abgelenkt zu sein (Eigen-Interessen-Probleme)! Soviel zu ganzheitlicher, umsichtiger Volks-Politik!?