Irgendwann platzte selbst den Zement-Kantonen Aargau und Graubünden der Kragen. Sie hatten sich in Bern für strengere Vorschriften eingesetzt – ohne jeden Erfolg. Das Amt für Natur und Umwelt Graubünden reagierte konsterniert, als der Bund 2016 die hohen Gift-Grenzwerte festlegte. Man musste nach Jahren die Bemühungen stoppen, die Emissionen im Werk Untervaz zu senken, «aus Gründen der Gleichbehandlung».

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«Das Bundesamt für Umwelt ist auf die Zementbranche angewiesen – für die Entsorgung bestimmter Abfälle», sagt ein Bundeshaus-Insider. «Die Branche droht, keine Abfälle mehr zu entsorgen, wenn die Rahmenbedingungen zu streng werden.» Sie sitze am längeren Hebel, könne Verschärfungen der Grenzwerte blockieren und sogar Lockerungen durchsetzen.

«Noch giftigere Abgasschleudern» 

So soll nun auch der Grenzwert für das krebserregende Benzo(a)pyren im Rohmaterial auf das Dreifache erhöht werden. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt ist das «ohne Auswirkungen auf Luftschadstoffemissionen». Ganz anderer Meinung sind die Ärzte für Umweltschutz: Die Zementwerke würden so zu «noch giftigeren Abgasschleudern».

Schweizer Zementwerke sind gegenüber der internationalen Konkurrenz schon lange im Vorteil. Die Vorschriften für den Ausstoss von Luftschadstoffen sind lasch. Der Grenzwert für Schwefeldioxid ist in der Schweiz zehnmal so hoch wie in der EU, für krebserregende organische Verbindungen achtmal.

«Eine Schande» sei das, sagt Josef Waltisberg, der mehr als 30 Jahre lang im Umweltbereich des Zementriesen Holcim gearbeitet hat. Schadstoffe liessen sich bei der Zementproduktion kaum verhindern. Ein Teil löst sich aus den Rohmaterialien Kalkstein und Mergel. Daher könne man die Zementwerke nicht mit Abfallverbrennungsanlagen vergleichen, die als recht sauber gelten – nicht zuletzt dank viel strengeren Grenzwerten.

Auch die Zementindustrie benutzt Abfall als Brennmaterial. Rund zwei Drittel des Brennstoffs sind Plastik , Lösemittel oder Pneus. Damit kann man Kohle ersetzen und kassiert erst noch: für eine Tonne Abfall um die 100 Franken, für Materialien, die mit Giften belastet sind, ein Vielfaches.

Verschiedene Abfälle werden auch als «Rohstoff» verwendet. Das sei problematisch, sagt Experte Waltisberg. «Auch Materialien, die sehr toxische Verbindungen wie polychlorierte Biphenyle enthalten, also PCB PCB Das Gift, das man vergessen möchte , dürfen beigemischt werden.» In andern Ländern ist das verboten. Das Problem: Diese Gifte werden im Ofen nicht zersetzt, sondern verdampft und gelangen über den Kamin in die Luft.

Was im Zement landet – und was in der Luft

Infografik: Was bei der Herstellung im Zement landet – und was in der Luft

5,4 Millionen Tonnen Rohstoffe wurden 2018 in der Schweiz zu Zement gebrannt. In der Kritik stehen vor allem die giftigen Abgase.

Quelle: Cemsuisse [Daten 2018 / gerundet] · Mengen Kohle/Koks: BAFU «Treibhausgasinventar 2017»/Josef Waltisberg – Infografik: Anne Seeger und Andrea Klaiber
Benzol und Dioxin

Verschiedene Werke haben ihre Emissionen nicht im Griff. In Wildegg AG und Untervaz GR etwa wurden gemäss dem Magazin «Saldo» 2015 deutlich zu viel Benzol und Dioxin ausgestossen. Beide Stoffe sind krebserregend und hoch giftig. Josef Waltisberg kritisiert die Behörden scharf: «Sie verstossen gegen das Minimierungsgebot der Luftreinhalteverordnung. Sie sind verpflichtet, den Ausstoss krebserregender Substanzen zu verhindern oder zu reduzieren.»

Der Schadstoff, der bei der Zementherstellungam meisten anfällt, sind Stickoxide (NOx). Die Branche ist für rund fünf Prozent der Gesamtemissionen in der Schweiz verantwortlich. Stickoxide schädigen die Atemwege und tragen zur Ozonbildung bei. Schweizer Werke dürfen 500 Milligramm pro Kubikmeter Abluft ausstossen, deutsche nur 200 Milligramm.

SP-Nationalrat Philipp Hadorn forderte 2016 in einer Motion, dass in der Schweiz der gleiche NOx-Grenzwert gelten soll wie in Deutschland – erfolglos. Bessere Reinigungsanlagen für die Zementöfen seien «nicht Stand der Technik», erklärte das Bundesamt für Umwelt. Das sei «vorauseilender Gehorsam», kritisiert Hadorn.

Mittlerweile erarbeitet das Bundesamt «gemeinsam mit der Branche» einen Bericht zum Stand der Technik und will den NOx-Grenzwert «einer Prüfung unterziehen». Der mittlere Ausstoss pro Werk beträgt laut Branchenverband Cemsuisse 367 Milligramm pro Kubikmeter.

«Zweistelliger Millionenbetrag»

Der weltgrösste Zementkonzern LafargeHolcim, der in der Schweiz drei der sechs Zementwerke betreibt, könnte problemlos viel sauberer produzieren, sagen Kritiker. Allerdings: «Eine moderne Rauchgasreinigungsanlage kostet einen zweistelligen Millionenbetrag», sagt Cemsuisse-Direktor Stefan Vannoni. «Die Branche tätigt viele Umweltinvestitionen, steht aber in einem intensiven internationalen Wettbewerb.» Die Kosten spielten eine wichtige Rolle, auch weil in vier der sechs Werke die Rohstoffzufuhr mittelfristig nicht gesichert sei.

Dass in den Zementöfen Abfälle verbrannt werden, ergibt gemäss Bundesamt für Umwelt Sinn, wenn man die Ressourcen gesamtheitlich betrachte. «Die Abfälle werden vollständig verbrannt respektive im Zement gebunden. So entstehen keine Schlacken, die man zu Lasten späterer Generationen deponieren muss», sagt Branchenvertreter Vannoni. Der Anteil der Zementbranche sei zudem bei vielen Schweizer Luftschadstoffen gering. Anders beim CO2 – das gesetzlich kein Schadstoff ist.

Die Verflechtungen der Branche im Bundeshaus sind eng. Der Leiter des Abfallbereichs beim Bund ist Ex-Holcim-Mitarbeiter. Der Präsident des Zementverbands, Beat Vonlanthen, sitzt im Ständerat. Der CVP-Mann soll wie schon sein Vorgänger Urs Schwaller einen direkten Draht zur früheren Umweltministerin Doris Leuthard gehabt haben.

Für Schlagzeilen sorgte das Lobbying des Zementverbands vor zwei Jahren. Cemsuisse lud 100 Gäste zur Jahresversammlung ins Berner Nobelhotel Bellevue – inklusive Übernachtung für 390 Franken. Unter den Geladenen waren gut 20 Parlamentarier.

Abfall ist der wichtigste Brennstoff

Infografik: Welche Brennstoffe zur Herstellung von Zement eingesetzt werden

Die Öfen zur Herstellung von Zement werden auf 2000 Grad geheizt. Als Brennstoff werden deutlich mehr Abfälle als fossile Materialien eingesetzt. Sie liefern nahezu zwei Drittel der benötigten Energie.

Quelle: Cemsuisse [Daten 2018 / gerundet] · Mengen Kohle/Koks: BAFU «Treibhausgasinventar 2017»/Josef Waltisberg – Infografik: Anne Seeger und Andrea Klaiber
Der Zement und das CO₂

Die Zementbranche ist für gut fünf Prozent der Schweizer Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, vor allem in Form von CO2. Davon werden rund 60 Prozent prozessbedingt aus dem Gestein gelöst. Sie lassen sich nicht einfach reduzieren. 40 Prozent stammen vom Heizen des Ofens.

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