Es stinkt nach Bschiss
Ökolabels seien eine PR-Masche, um den Verkauf zu fördern, sagen Kritiker. Der Umwelt schadeten sie mehr, als sie nützten.
Veröffentlicht am 4. Juni 2018 - 17:05 Uhr,
aktualisiert am 7. Juni 2018 - 16:15 Uhr
«Wir behalten Fisch im Auge», heisst es beim Marine Stewardship Council (MSC). «Denn nachhaltige Fischerei ist viel besser für unsere Meere.» Und die Macher des Palmölsiegels RSPO garantieren, dass auf den Palmölplantagen sogar mehr für Naturschutz und Menschenrechte getan wird als gesetzlich vorgeschrieben . Nur, stimmt das auch?
Beide Labels stehen in der Kritik. Sie seien reine PR-Mittel, um den Produzenten ein umweltfreundliches Image zu verleihen. Jetzt erhalten die Kritiker Unterstützung durch eine Studie der niederländischen Stiftung Changing Markets. Ökolabels mit laschen Auflagen richten demnach mehr Schaden an, als sie nützen. Unter dem Siegel der Nachhaltigkeit werde eine zerstörerische Produktion fortgesetzt. Die Konsumenten griffen vermehrt zu, im Glauben, ein ökologisch wertvolles Produkt zu kaufen – und zahlten dafür auch noch einen höheren Preis.
Das Palmölzertifikat Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) sei ein typischer Fall von Etikettenschwindel, heisst es bei Greenpeace. Regenwaldrodungen, ungehemmter Einsatz von Pestiziden, Anbau auf Torfböden – all das sei erlaubt. Mehr noch: «Bei RSPO kontrolliert sich die Industrie selbst. Transparenz und Nachhaltigkeit sieht anders aus», so Yves Zenger von Greenpeace.
Die Umweltorganisation PanEco machte anfänglich bei RSPO mit. Sie spricht von einer «nachhaltigen Fassade». «Im Januar reichten zwei indonesische Dörfer Klage gegen einen zertifizierten Palmölproduzenten ein. Er vertrieb ganze Siedlungen für seine Palmölplantagen und ist Mitglied bei RSPO.» Bei der Firma handle es sich noch dazu um das Tochterunternehmen eines Gründungsmitglieds. Der Fall zeige, wie schwach das Kontrollorgan von RSPO sei.
Schlechte Labels behindern Organisationen und Forscher, die die Produktion nachhaltiger machen wollen, zeigt die Changing-Markets-Studie. Greenpeace kritisiert das Fischlabel MSC als «absolut nicht vertrauenswürdig», als reine Marketingmasche, um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben. Es kurble den Fischkonsum – und dadurch die Überfischung – weiter an.
«Zudem verenden in den Fischnetzen Delfine, der Meeresboden wird von Schleppnetzen umgepflügt», so Yves Zenger von Greenpeace. Davon hätten Konsumenten keine Ahnung, sie gingen MSC ins Netz und kauften mehr Fisch. Wirklich nachhaltig wäre es, den Fischkonsum zu senken.
Migros und Coop verkaufen MSC-Fisch und RSPO-Palmölprodukte. Dass diese Labels Schaden anrichteten, glauben die Detailhändler nicht. Im Gegenteil: MSC und RSPO hätten in der Vergangenheit für mehr Nachhaltigkeit gesorgt.
Die Kritik nehmen beide Detailhändler aber ernst. «Wir sind uns der Problematik seit längerem bewusst», sagt Migros-Sprecherin Alexandra Kunz. Man habe mit den Verantwortlichen von MSC vor rund zwei Monaten Verbesserungen diskutiert. Das Vorgehen sei nachhaltiger als der Verzicht auf MSC-Fisch. Seit 2016 werde das Fischsortiment zusätzlich jährlich vom WWF geprüft. «Alle Fische und Meeresfrüchte müssen unabhängig vom Label als akzeptabel oder empfehlenswert eingestuft werden.» Man habe die Kontrollen noch verschärft. MSC sei heute der strengste Standard für nachhaltigen Wildfang.
Coop geht ähnlich vor und steht in engem Kontakt mit dem WWF und den Länderverantwortlichen von MSC. Was bei diesen Verhandlungen konkret erreicht wurde, wollen aber weder Migros noch Coop verraten.
Ob der Druck der Detailhändler etwas bewirkt, ist fraglich. «Wir stellen keine nachhaltigen Verbesserungen fest», so Greenpeace-Sprecher Zenger. Die wären dringend nötig, sind 66 Umweltorganisationen und Forscher überzeugt. Im Januar haben sie in einem offenen Brief an die MSC-Führung strengere Auflagen gefordert.
Obwohl weder Migros noch Coop mit dem RSPO-Label zufrieden sind, wollen sie es behalten. Eigene Zusatzauflagen sollen die Nachhaltigkeit von Palmöl garantieren. Ab 2019 wird es bei den Coop-Eigenmarken nur noch mit Bio-Knospe zertifiziertes Palmöl geben. Wie lange die Umstellung dauert, kann Sprecherin Alena Kress nicht sagen. Markenprodukte werden nach wie vor konventionelles Palmöl enthalten.
Unabhängig von Labels stellt die Migros höhere Anforderungen an ihre Produzenten: Verzicht auf kritische Pestizide , Brandrodungen und den Anbau auf Torfböden. Für 98 Prozent der verkauften Lebensmittel könne man das Palmöl bis zur Plantage zurückverfolgen. Zudem habe man die unabhängige Organisation The Forest Trust mit einer Zweitkontrolle beauftragt.
«Labels und Zertifizierungen sind zwar wichtig. Aber die Standards müssen auch halten, was sie versprechen.»
Alexandra Kunz, Migros-Sprecherin
PanEco begrüsst die strengeren Kontrollen der Migros, warnt aber: «Ohne Druck von aussen ändern Palmölproduzenten wenig an ihren Methoden.» Auch Nestlé habe versprochen, nur Palmöl von Produzenten zu beziehen, die keine Regenwälder abholzen – aber genau diese Hersteller wurden von Greenpeace bei grossflächigen Rodungen erwischt.
Die Umweltorganisation PanEco bezweifelt ausserdem, dass die Detailhändler beim RSPO-Label wirksame Verbesserungen erreichen werden. «Rund 93 Prozent der RSPO-Mitglieder sind Vertreter der Palmölindustrie», sagt Sprecher Fabian Freuler. Er hält die Verhandlungsmacht der NGOs und Detailhändler für «sehr gering».
Migros-Sprecherin Kunz sagt, man prüfe eine Teilumstellung auf den strengeren Standard POIG. PanEco begrüsst das. «Labels und Zertifizierungen sind zwar wichtig. Aber die Standards müssen auch halten, was sie versprechen.»