Kommentar
10 Jahre nach Fukushima: Zu wenig gelernt
Die Atomkatastrophe von Fukushima hat die Schweizer Strompolitik verändert. Doch die gross angekündigte Energiewende ist ins Stocken geraten. Ein Kommentar.
Veröffentlicht am 11. März 2021 - 09:35 Uhr
Es gibt Ereignisse, die sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen. Der 11. März 2011 brachte ein solches Ereignis. Ein Erdbeben und der anschliessende Tsunami führten zu einer der grössten Atomkatastrophen der Geschichte: der Explosion des Reaktors von Fukushima. In der Schweiz reagierte man ungewöhnlich schnell auf die dystopischen Bilder aus dem fernen Japan.
Nur drei Tage nach dem Unglück sistierte die damalige Energieministerin Doris Leuthard sämtliche Gesuche für den Bau neuer AKW. Zweieinhalb Monate nach dem Unglück war der Atom-Ausstieg im Grundsatz besiegelt, wobei der Bundesrat den AKW-Betreibern weit entgegenkam. Ihre Meiler dürfen in Betrieb bleiben, solange die Sicherheit gewährleistet ist. Somit laufen auch die beiden Reaktoren von Beznau weiter, die mittlerweile ältesten der Welt – Abschaltdatum unbekannt.
Für das AKW Mühleberg hingegen bedeutete Fukushima das Aus. Dabei war die wiedererwachte Skepsis gegenüber der Nukleartechnologie nur ein Nebenaspekt. Den Ausschlag gaben letztlich wirtschaftliche Überlegungen.
Schub für erneuerbare Energien
Fukushima hat uns zum Nachdenken gebracht. Es gibt durchaus Positives zu vermelden: Zahlreiche Kantone haben Energiegesetze erlassen, die erneuerbare Energien zur Selbstverständlichkeit machen sollen. Sie subventionieren den Ersatz von Ölheizungen und energetische Sanierungen von Liegenschaften.
Der Gesamtenergieverbrauch wie auch der Stromverbrauch pro Kopf sind in den zehn Jahren seit der Atomkatastrophe gesunken. Strom aus Solar- und Windkraftanlagen ist auch dank grösserer Nachfrage deutlich billiger geworden.
«Wir verbrauchen nach wie vor viel zu viel Energie. Ob nun ‹saubere› oder aus fossilen Quellen.»
Thomas Angeli, Beobachter-Redaktor
Die sogenannte Energiewende, die in den Wochen und Monaten nach der Atomkatastrophe in aller Munde war, ist das allerdings noch nicht. Noch lebt die Schweiz quasi vom Ersparten. Dank der über Jahrzehnte ausgebauten Wasserkraft und langfristigen Stromimportverträgen können wir so tun, als wäre unser Lebensstil eine Selbstverständlichkeit.
Das wird sich aber ändern – ändern müssen. Denn der heilsame Schock, den Fukushima in Sachen Elektrizität brachte, hat sich noch nicht auf unseren täglichen Umgang mit Energie niedergeschlagen. Wir verbrauchen nach wie vor viel zu viel Energie – ob nun «saubere» oder aus fossilen Quellen. Und wir verhalten uns immer noch so, als ginge uns der von uns verursachte Klimawandel nichts an.
Schöne Worte für die Zukunft
In den Energieperspektiven 2050 des Bundes ist zu lesen, was es zur Lösung des Problems braucht: «Wir gehen weg von den fossilen Energien, werden dafür aber mehr Strom brauchen.» Und: «Die Energieversorgung 2050 besteht fast vollständig aus inländisch produzierter, erneuerbarer Energie.»
Das sind vorerst nicht viel mehr als schöne Worte. Denn allen Fortschritten zum Trotz stecken die erneuerbaren Energien in der Schweiz immer noch in den Kinderschuhen. Bis 2050 sollen gemäss den Energieperspektiven 33,6 Terawattstunden Strom von Schweizer Fotovoltaikanlagen kommen – 2019 waren es gerade mal 2,2 Terawattstunden.
Grosses Potenzial ortet das Bundesamt für Energie auch bei der Energieeffizienz. Weil Geräte und Maschinen immer weniger Strom brauchen, lasse sich auch da sparen. Dem technischen Fortschritt kommt jedoch nur allzu oft eine üble menschliche Angewohnheit in die Quere: Wir nutzen zwar sparsamere Maschinen, dafür einfach mehr davon. Oder wie viele Geräte besitzen Sie, mit denen Sie zum Beispiel fernsehen können? Eben.
Fukushima hat uns aufgeschreckt und zum Nachdenken gebracht. Eine Atomkatastrophe wünscht sich niemand mehr. Aber ein kräftiger Tritt in den Hintern täte uns nach zehn Jahren mit unzureichenden Fortschritten vielleicht wieder einmal gut.
8 Kommentare
Das Wichtigste in diesem Artikel wurde hier nicht erwähnt: Die anhaltende Massenzuwanderung von Energiekonsumenten aus aller Welt in die Schweiz. Alle Jahre wird eine Bevölkerung einer Großstadt Luzern importiert. Diese Menschen verbrauchen Energie. Da helfen gut gemeinte Massnahmen weder in Fragen der Energie- oder Ökobilanz. Die Katze beisst sich selber in den Schwanz.
Zu Fukushima muss man wissen:
Das war kein Restrisiko, sondern bewusst in Kauf genommenes Risiko:
1. Das Kraftwerk wurde aus wirtschaftlichen Gründen 25m tiefer gebaut (um Energie für die Kühlwasserpumpen zu sparen). Die Tsunami-Wellen waren ca. 13m hoch. Die Schweizer KKW sind gegen Überflutung gerüstet.
2. Aus wirtschaftlichen Gründen verfügte keine der 4 Anlagen über eine überflutungssichere Notstromversorgung, welche die Kernschmelzen verhindert hätten (bei Schweizer KKW vorhanden).
3. Weitere bewährte Schutzsysteme (Wasserstoffrekombinatoren, Zündsysteme zur kontrollierten Zündung von Knallgas, gefilterte Druckentlastung hätten die Katastrophe zusätzlich verhindern oder mildern können.
Die schweizerischen KKW sind verpflichtet, aus internationaler Erfahrung zu lernen und wo nötig, die Anlagen sicherheitstechnisch nachzurüsten.
Wäre dies auch in Japan berücksichtigt worden, würde heute im Westen kaum jemand Fukushima kennen.
Genau, und die Pointe ist, dass es in der Nähe von Fukushima und anderswo, Strassen gibt, wo überall Markierungen zu sehen sind, die anzeigen, wann welcher Tsunami wie hoch hinauf kam und zahlreiche dieser Markierungen sind höher als die Höhe, wo die absolut kritischen Kühlwasserpumpen standen. Einfach unfassbar diese bodenlose Dummheit bzw. Grobfahrlässigkeit.
Ähnlich lief es in Tschernobyl, wo das Personal in Verletzungen zahlreicher Vorschriften mit einem Reaktor "spielten".
Das schlimmste an Fukushima ist, dass es betreffend Energiestrategie in einigen Ländern panikartig (wir leben im Zeitalter von Panik und Hysterien) zu einer katastrophalen Änderung gekommen ist. Auf Grund von zwei grossen Katastrophen (zusammen mit Tschernobyl), beide grobfahrlässig verursacht, aber längst nicht mit den Auswirkungen, wie es viele prophezeiten bzw. immer noch wahrhaben wollen, wird auf eine der saubersten Energiequellen leichtsinnig verzichtet, die am besten helfen würde, nicht erneuerbare Ressourcen zu schonen (mindestens heute und in den nächsten Jahrzehnten). Wir haben nun die schizophrene Situation, dass alle danach schreien, weniger CO2 zu produzieren (ob's dem Klima hilft sei mal dahingestellt), in Tat und Wahrheit geschieht aber genau das Gegenteil. Mit den explodierenden Verkäufen von E-Autos (noch schlimmer sind die H-Autos) müssen die Kohlekraftwerke noch länger am Netz bleiben, bzw. es müssen sogar noch neue gebaut werden, damit der zusätzliche Bedarf an Strom gedeckt werden kann. Dabei ist die Menge an CO2 grösser, die ein Kohlekraftwerk produziert um die Anzahl kWh für ein E-Auto herzustellen, als was ein sparsamer Benziner bei der gleichen Anzahl km an CO2 generiert. Vergleichbar ist dies, wie wenn nach einigen schweren Eisenbahnkatastrophen (oder vielleicht sogar wegen Corona), die Verkehrsstrategie dahingehend geändert würde, dass der ganze ÖV auf Privatautos umgestellt wird. Wenn auf E-Autos umgestellt werden soll, was grundsätzlich zu begrüssen ist, dann zuerst die Kohlekraftwerke vollständig ablösen und dann umstellen und nicht umgekehrt.
Die Parallelen zu Corona sind bei der Energiewende unübersehbar. Was bei Corona die angeblich wirkungslosen Masken, waren bei der Energiewende die abstimmungsbedingt vorgegaukelten Mehrkosten von jährlich lediglich Franken 40.- je Haushalt. Bis 2050 sollen nun 33,6 Terawattstunden Strom von Schweizer Fotovoltaikanlagen kommen. Das entspricht einer Panelfläche von gegen 200 km2 oder um 40 m2 je Haushalt. Bei einem kaum je erreichbaren, betriebsbereiten Quadratmeterpreis von Fr. 200.- wären folglich alle 20 bis 30 Jahre mit Kosten von zirka Fr. 8‘000.- zu rechnen – Unterhalt, Entsorgung, Winterspeicherung und Überschussverwertung von entsprechend der Volllastleistung von etwa 30 AKW Typ Gösgen während sonnigen Sommertagen nicht eingerechnet.
Im Fall von Corona wird das Durchwursteln mit Blick auf die Impfung in absehbarer Zeit ein Ende haben. Bei der Klimarettung könnte die Impfung sinngemäss und fatalerweise die Atomkraft sein.
Wahrscheinlich theoretisch alles richtig, nur boxen Sie mal 200'000'000 m2 Solarzellen durch alle Einsprachen von Nachbarn, Heimat-, Natur-, etc. Schutz durch alle Instanzen, wo fast jedes Dach mit Solarpanel und jedes Windrad zu heftigsten Proteststürmen führt. Ganz abgesehen davon, wo nehmen Sie die Produktionskapazität und die Rohstoffe her, um so eine gigantische Fläche an Solarzellen in nützlicher Frist produzieren zu können und was machen Sie, wenn mal zwei Wochen lang kein Sonnenstrahl den grössten Teil der Schweiz erreicht? Aber träumen darf man ja, auch wenn diese Träume über kurz oder lang zu einem Alptraum führen werden und wir dann froh sein müssen, aus dem Ausland noch etwas Strom aus Schrott-AKWs und Kohlekraftwerken zu erhalten, worauf wir heute ja schon angewiesen sind, obwohl ausser Mühleberg noch alle CH-AKWs voll produzieren.