Stromsparen und dafür gratis zum Coiffeur
Viele Gemeinden schaffen es nicht, die Bevölkerung zu mehr Umweltbewusstsein zu motivieren. Deshalb schlagen Arosa und Diessenhofen unkonventionelle Wege ein.
Veröffentlicht am 14. November 2022 - 15:12 Uhr
Ein paar verwaiste Ratschläge auf der Website der Gemeinde, nicht beachtete Infoflyer in den Hausfluren. Wenn es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger zum Energiesparen zu motivieren, sprühen die Schweizer Gemeinden nicht gerade vor Kreativität. Doch es gibt Ausnahmen.
Im Gewinnspiel dank Sparversprechen
Zum Beispiel Arosa: Wer im beschaulichen Graubündner Ferienort lebt, zehrt vom Tourismus. Strommangellagen schaden dem Geschäft. Seilbahnen, Flutlichter, Hotels und Restaurants sind auf Strom angewiesen. Um ihre Bürgerinnen und Bürger zum Sparen zu motivieren, hat Gemeindepräsidentin Yvonne Altmann Mitte Oktober einen Stromsparwettbewerb lanciert. «Die Leute können zu uns kommen und ein Sparversprechen abgeben – etwa die Heizung runterdrehen oder halb so lange duschen – damit qualifizieren sie sich für den Wettbewerb», sagt sie.
Den Gewinnerinnen und Gewinnern winken Preise wie etwa Saisonkarten für die Bergbahnen oder das Bärenland. Zusätzlich zum Wettbewerb hat die Gemeinde Energiespar-Flyer und kostenlose Thermometer verteilt.
Nach wenigen Wochen zieht Gemeindepräsidentin Yvonne Altmann positive Bilanz: «In den letzten 20 Tagen haben sich bereits 200 Leute zur Teilnahme am Wettbewerb gemeldet. Täglich trudeln neue Sparversprechen ein.» Und auch die Thermometer seien so schnell vergriffen gewesen, dass man schon nachbestellen musste. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen die Sache ernst, so Altmann.
Letztlich bleibt der Wettbewerb aber eine symbolische Geste, denn die Preise werden per Zufallsprinzip ausgelost. Es sei schwierig, zu überprüfen, welcher Haushalt tatsächlich am wenigsten Strom verbraucht hat. Altmann ist trotzdem überzeugt von der Wirkung. Beim Abendspaziergang sei ihr aufgefallen, dass die Beleuchtung in den Schaufenstern jetzt schon merklich reduziert ist.
Diessenhofen motiviert mit Gutscheinen
Ebenfalls etwas einfallen lassen hat sich die Thurgauer Kleinstadt Diessenhofen. Für Stadtpräsident Markus Birk ist klar: «Sparen ja, Verbote nein!» Jedes Kilowatt weniger könne man in Form von Gasreserven und Stauseen speichern – und in einer Mangellage nutzen.
Birk will nicht verbieten, sondern positiv motivieren. «Wir beschenken jene, die prozentual am meisten einsparen. Das wirkt und ist kein Riesenaufwand», so der Stadtpräsident. Die Idee: Wer in der ersten Abrechnungsperiode 2023 im Vergleich zu 2022 besonders wenig Energie verbraucht, kann gewinnen. Anmeldungen braucht es nicht. In Diessenhofen winken Topsparern Gutscheine für das regionale Gewerbe – Coiffeur-Salons, Restaurants, Bekleidung und so weiter. So bleibt das Geld in der Region.
Anfang November hat Birk den Wettbewerb in der Gemeindeversammlung vorgestellt. Er sei sehr positiv bei der Bevölkerung aufgenommen worden. Genauere Teilnahmebedingungen erfahren die Leute mit der kommenden Abrechnung.
Verhaltensökonomin setzt auf Gemeinschaftsgefühl
Doch was bringen diese Anreize? Die Verhaltensökonomin Frauke von Bieberstein gibt sich vorsichtig optimistisch. «Der Fokus wird klar auf Energiesparen gelenkt – stärker als beim blossen Sparappell.» Studien hätten gezeigt, dass Wettbewerbe helfen können – gerade bei Menschen, die ihre Leistung gerne mit anderen messen.
Wer bisher wenige Sparmassnahmen getroffen habe, könne mit Anpassungen viel erreichen. Auf der anderen Seite könnten Wettkampfsituationen ein Gefühl der Konkurrenz schüren. Einige Menschen fühlten sich davon abgeschreckt.
Weniger leistungsorientiert ist der Ansatz in Arosa. Dort zählt nicht der Erfolg, sondern das Zufallsprinzip nach Los. Auch das könne Wirkung zeigen, so die Verhaltensökonomin. Die meisten Leute würden sich ihren Worten entsprechend verhalten wollen. Das blosse Versprechen kann also zum Sparen anregen.
Doch gibt es Alternativen zu Wettkämpfen? Von Bieberstein appelliert ans Gemeinschaftsgefühl: «Die Gemeinde kann sich gemeinsam ein Ziel stecken, zum Beispiel zehn Prozent Strom zu sparen. Erreicht sie ihr Ziel, veranstaltet sie etwa ein Sommerfest, um alle Bürgerinnen und Bürger zu belohnen.» Es sei wirkungsvoll, zusammen auf etwas hinzuarbeiten.
- Einen Anfang finden: Die schiere Menge an Energiespartipps kann überfordern. Überlegen Sie sich, in welchem Bereich Sie mit wenig Aufwand am meisten bewirken können. Auf den Websites von Stromversorgern finden Sie dazu nützliche Tipps. Sie können dort auch nach einer Energieberatung fragen. Eine Fachperson identifiziert dann Ihre Stromfresser – häufig die Spülmaschine oder der Herd. Konzentrieren Sie sich auf höchstens drei Problemzonen.
- Verbrauch direkt erfahrbar machen: Der Energieverbrauch ist sehr abstrakt. Darum ist es schwer, das eigene Verhalten zu ändern. Um ihn unmittelbar messbar zu machen, können elektronische Gadgets helfen – etwa kreative Wasserzähler, schlaue Thermostate oder intelligente Steckerleisten.
- Gemeinschaftlich handeln: Wir neigen dazu, uns mit anderen zu vergleichen. Gemeinsame Sparziele können dabei helfen, diese auch zu erreichen. Ausserdem können wir so Erfahrungen miteinander austauschen.
- Gewohnheitseffekt nutzen: Anders duschen, anders kochen, anders waschen – das strengt an. Nehmen Sie sich darum ein Ziel nach dem anderen vor. Die Chancen stehen gut, dass Sie sich nach wenigen Wochen daran gewöhnt haben, das Wasser beim Einseifen abzustellen oder einen Deckel auf den Topf zu legen. Dann können Sie sich dem nächsten Sparziel widmen.
Schon gewusst? Kleine Sparerfolge steigern die Motivation für ökologisches Verhalten. Wer erfolgreich Wasser spart – mit Strahlreglern oder Sparzielen – verhält sich gemäss Studien auch in anderen Bereichen ökologisch. Beispielsweise beim Heizen.
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