«Für die Hersteller ist die Diesel-Hetze ein Segen»
Diesel-Fahrzeuge gelten aktuell als die grössten Umweltsünder. Dabei seien moderne Benziner viel gefährlicher für die Gesundheit, sagt Experte Andreas Mayer.
Veröffentlicht am 10. April 2018 - 14:43 Uhr,
aktualisiert am 12. April 2018 - 14:16 Uhr
Beobachter: Die aktuelle Diskussion über Schadstoffe zielt auf den Diesel. Zu Recht?
Andreas Mayer: Diese Fokussierung ist grundfalsch, wenn es wirklich um Gesundheitsfragen gehen soll. Denn von den zwei wichtigen Schadstoffen heutiger Verbrennungsmotoren – den Partikeln und Stickoxiden – sind die Partikel viel gefährlicher. . Zugespitzt kann man sagen: Heute reinigen die Diesel mit Filtern die Luft in den Städten von den Partikeln, die die Benziner erzeugen.
Beobachter: Wie gefährlich sind denn die Partikel im Vergleich zu den Stickoxiden?
Mayer: Sie sind sehr viel gefährlicher. Aber ein Vergleich ist schwierig und schief: Man kann einen krebserzeugenden Stoff nicht mit einer Substanz vergleichen, die erst ab einer bestimmten Konzentration gewisse Reizwirkungen auslöst. Was man vergleichen könnte, ist die kritische Dosis. Statistisch tritt Lungenkrebs durch ultrafeine Kohlenstoffpartikel bei einer Konzentration ab 0,01 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf. Bedenken Sie, dass ein Mikrogramm ein Tausendstel eines Tausendstels eines Gramms ist. Stickoxide lösen bei Asthmatikern erst ab 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft Atemwegsbeschwerden aus.
Andreas Mayer entwickelte Verfahren zur Abgasreinigung. Die Suva erliess gestützt darauf ein Obligatorium für Partikelfilter bei Dieselmotoren im Tunnelbau. Seine Forschungen dienten als Basis für die Festsetzung der Euronormen. Mayer berät Regierungsgremien im In- und Ausland. Für seine Forschungen wurde er mehrfach geehrt, unter anderem mit dem Anerkennungspreis der Schweizerischen Krebsliga.
Beobachter: Wie misst man die Giftigkeit von Feinstaub und Stickoxiden?
Mayer: Die Toxizität wird primär aus der riesigen Fülle der Beobachtungen von Ärzten in der klinischen Praxis abgeleitet. Wenn sich ein Verdacht verdichtet, beginnt man mit systematischen Untersuchungen an Patientengruppen und Vergleichsgruppen. Erst dann kommt die systematische Biologie und Chemie zum Einsatz. Das alles dauert unglaublich lange. Die krebsauslösende Wirkung von Asbest
entdeckte man 1936. Doch erst nach 50 Jahren hat die Schweiz als erstes Land Vorschriften eingeführt. Dass Russpartikel krebserzeugend sind, weiss man seit den Forschungen von Sir Percivall Pott im Jahre 1775. Er hat damals die auffallende Häufigkeit von
Hodenkrebs bei Kaminfegern entdeckt und ist dadurch zum Begründer der Epidemiologie geworden.
Beobachter: Was sind Ihre Forderungen?
Mayer: Die Grenzwerte für Feinstaub sind viel zu hoch. Zudem ist das, was unsere Schweizer Behörden heute in der Atemluft mit PM10 begrenzen, ein ziemlich grober Staub. Man nennt ihn nur politisch beschönigend Feinstaub. Begrenzt ist nämlich die Masse von Partikeln, die kleiner sind als 10 Mikrometer. Das hat überhaupt nichts zu tun mit den ultrafeinen Partikeln, die nur in den Organismus eindringen, wenn sie kleiner sind als 0,5 Mikrometer. Wir nehmen also viele Krebsfälle in Kauf, die vermeidbar wären, weil unsere Grenzwerte falsch definiert und viel zu hoch angesetzt sind. Für alle Verbrennungsmotoren muss eine Filterpflicht eingeführt werden. Dazu gehören unbedingt auch Gasmotoren und die Kraftwerke, die den Strom für die E-Mobile liefern.
Beobachter: Und was ist mit den Stickoxiden?
Mayer: Im Gegensatz zum Feinstaub sind die Grenzwerte bei den Stickoxiden mit einem sinnvollen Sicherheitsabstand zu den Symptomgrenzen formuliert. Das sollte aus Rücksicht auf empfindliche Menschen, insbesondere Kinder, eigentlich immer so sein. In der Schweiz werden die Grenzwerte eingehalten, in Deutschland noch ein bisschen überschritten. An Stickoxid-Konzentrationen in diesem Bereich stirbt niemand, und von einem Krebsrisiko ist gar keine Rede. Auch die Reizrisiken für Asthmatiker sind nicht mehr gegeben.
«Die Diesel mit Filter reinigen heute in den Städten die Luft von den Partikeln, die Benziner erzeugt haben.»
Andreas Mayer, diplomierter Maschinenbauingenieur und Inhaber des Ingenieurbüros TTM.
Beobachter: Die Autohersteller senden unterschiedliche Signale aus: Volvo und Toyota erklären die Dieseltechnologie für obsolet und steigen aus. Volkswagen dagegen glaubt an die Zukunft des Diesels. Und der französische Herstellerkonzern PSA präsentierte am Autosalon in Genf sogar neue, ultrasaubere Selbstzündermotoren. Wie passt das alles zusammen?
Mayer: Für die Hersteller ist diese ganze Diesel-Hexenjagd ein Segen. Denn wenn der Diesel schlechtgeredet wird, kaufen die Leute Benziner. Sie wechseln ihre Autos früher als geplant, um noch einen guten Eintauschpreis zu erzielen. Die Gesamtverkaufszahlen sind ja seit dem VW-Skandal sehr hübsch gestiegen, wenn auch die Zahl der Dieselverkäufe gesunken ist. Konsequenterweise sind die CO2-Emissionen gestiegen. Wollen wir das? Bei Gelegenheit kann man das wieder umdrehen oder auf die E-Mobile anwenden. Die Hersteller haben immer alle Varianten im Angebot. So sorgt die Politik für stetig steigende Umsätze. Vielleicht hat das alles ja ein schlauer VW-Marketingmanager erfunden.
Beobachter: Soll man Elektroautos fördern?
Mayer: Die Diskussion um die Elektromobilität wird ideologisch geführt und nicht durch sachliche Argumente gestützt. Das wird sich rächen. Elektroautos tragen erheblich zur Feinstaubproblematik bei. Wegen der Batterie sind sie bis zu einem Viertel schwerer. Durch den höheren Reifen- und Strassenabrieb produzieren sie mehr Feinpartikel als vergleichbare Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb. Richtig grün wären sie nur, wenn auch der Strom richtig grün wäre. Doch das wird er, wie alle wissen, noch sehr lange nicht sein. Schon gar nicht in China. Der ökologische Fussabdruck der Elektromobile bereitet vielen Forschern Kopfschmerzen.
Beobachter: Was kann man mit der bestehenden Flotte tun?
Mayer: Man könnte wie vielerorts im Ausland Nutzfahrzeuge mit Entstickungseinrichtungen und Partikelfiltern nachrüsten.
Bei hoher Feinstaubbelastung sollten Asthmatiker und Lungenkranke viel befahrene Strassen meiden. Auch kleine Kinder und Schwangere reagieren empfindlich.
Doch schon wenige Strassenzüge von den Hotspots entfernt sinkt die Belastung deutlich. Sportler brauchen sich kaum einzuschränken. Die positiven Aspekte des Sports überwiegen meist die vermehrte Aufnahme von Schadstoffen. Wenn Fussgänger, Jogger und Velofahrer auf Nebenstrassen ausweichen, sind sie auf der sicheren Seite.
Andere Belastungen, denen wir uns mitunter bewusst aussetzen, wirken deutlich schlimmer. Der Rauch einer einzigen Zigarette erzeugt so viel Feinstaub wie ein im Leerlauf drehender Euro-3-
Dieselmotor in eineinhalb Stunden. Wer am Grill steht, setzt sich einer ungleich höheren Feinstaubbelastung aus als an einer viel befahrenen Strasse.