Zwischen Kohleproblemen und Klimazielen
Gut 40’000 Teilnehmende, fast 200 Staaten, 13 Tage: Im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh ist die COP27 in vollem Gange. Was macht die Schweiz? Sechs Erkenntnisse.
Veröffentlicht am 9. November 2022 - 14:49 Uhr
Am Sonntag hat in der ägyptischen Stadt Sharm el-Sheikh die 27. Weltklimakonferenz begonnen. Präsidentinnen, Diplomaten, Politikerinnen, Industrievertreter und Aktivistinnen aus rund 200 Staaten debattieren zwei Wochen lang, wie die Erderwärmung auf ein erträgliches Mass eingedämmt werden kann.
Die Konferenz wird überschattet vom Krieg in der Ukraine und von der Energiekrise. Klimaschutz steht seitdem an zweiter Stelle. Dennoch betonte der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis in seiner Ansprache zum Auftakt der Konferenz, dass das 1,5-Grad-Ziel beibehalten werden müsse. Er vertritt – zusammen mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Chefunterhändler Franz Perrez – die Schweiz auf der COP27.
Der englische Begriff COP steht für «Konferenz der Parteien», also die Staaten, die die Klima-Rahmenkonvention unterschrieben haben. Sie findet dieses Jahr zum 27. Mal statt.
1. Cassis möchte an den Klimazielen des Pariser Abkommens festhalten
Ignazio Cassis gab an, trotz der Energiekrise an den Klimazielen des Pariser Abkommens festzuhalten. Demnach wolle die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um die Hälfte reduzieren und bis spätestens 2050 Klimaneutralität erreichen. Der Bundespräsident sagte während seines Auftritts auf der COP27: «Der Klimawandel lässt sich in den Griff kriegen, wenn der Wille vorhanden ist. Die Schweiz ist bereit dazu.»
Der jüngste Bericht der UNO-Klimaagentur bietet derweil wenig Grund zur Hoffnung auf eine globale Lösung. Mit den derzeitigen Klimaversprechen der Länder steuern wir auf eine Klimaerwärmung von 2,5 Grad zu, heisst es. Drastische Reduktionen des CO2-Ausstosses per sofort seien unwahrscheinlich.
2. Die Schweizer Delegation setzt sich für ein konkretes Arbeitsprogramm ein
Um die – im Pariser Abkommen gesteckten – Klimaziele dennoch zu erreichen, will die Schweizer Delegation ein Arbeitsprogramm auf den Weg bringen, das zu konkreten Beschlüssen für den Klimaschutz führt. Laut Schweizer Chefunterhändler Franz Perrez müsse ein Raum geschaffen werden, in dem die Länder nach Lösungen suchen, um ihre Emissionsminderungsziele zu erreichen. Das umschliesse insbesondere Sektoren, die für den Grossteil der Emissionen verantwortlich sind.
3. Die Regierung sieht Klimaschutzhilfen von 600 Millionen Dollar für Entwicklungsländer vor
Die Schweizer Regierung möchte sich zudem dafür einsetzen, dass weltweit mehr Gelder für Klimaschutz gelockert werden. Dafür soll für den Zeitraum nach 2025 ein neues Finanzierungsziel festgelegt werden. Hintergrund ist das gescheiterte Ziel des reichen Nordens, bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen die Emissionen in Entwicklungsländern bereitzustellen.
Während der letzten Weltklimakonferenz in Glasgow haben sich die Industrienationen darum dazu verpflichtet, ihre Beiträge zu verdoppeln. Die Schweizer Regierung möchte dafür zwischen 450 und 600 Millionen Dollar jährlich beisteuern.
4. Nichtregierungsorganisationen fordern gerechtere Hilfszahlungen
Für Schweizer Nichtregierungsorganisationen genügen die Ausgleichszahlungen der Schweiz nicht. In einer Stellungnahme der Entwicklungsorganisation Alliance Sud über die Rolle der Schweiz heisst es: «Statt neue, zusätzliche Mittel bereitzustellen, setzt sie dafür vorwiegend Gelder ein, die für die Entwicklungszusammenarbeit budgetiert waren.» Damit würden Klimaschutz und Armutsbekämpfung gegeneinander ausgespielt. Alliance Sud fordert darum von der Schweiz zusätzliche Klimaschutzhilfen in Höhe von 1 Milliarde Dollar pro Jahr.
Auch der WWF Schweiz fordert eine Anpassung der finanziellen Mittel in den Ausgleichsfonds. Die Schweizer Regierung habe ihre finanziellen Hilfen auf Basis der Schweizer Emissionen innerhalb der eigenen Landesgrenzen berechnet. Die tatsächlich von der Schweiz verursachten Emissionen seien viel höher.
5. Schweizer Banken und Unternehmen heizen die Kohleproduktion an
Bereits auf der letzten Weltklimakonferenz in Glasgow wurde das Ziel formuliert, den Ausstieg aus der Kohle einzuleiten. Der damalige Präsident der Konferenz, Alok Sharma, sagte sogar, das Ende der Kohle sei in Sicht. Die Schweiz begrüsste die weltweite Stossrichtung. Aus gutem Grund: Kohle ist die am stärksten verschmutzende Energiequelle. Sie ist für über 40 Prozent des Anstiegs der CO2-Emissionen verantwortlich. Dennoch wächst die umweltschädliche Industrie weiter an.
In diesem Jahr dürfte die Kohleproduktion einen historischen Höchststand erreichen. Ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Public Eye hat nun die wichtige Rolle der Schweiz im Ausbau der Kohleindustrie aufgedeckt. Das Schweizer Handelsregister verzeichnet 245 Unternehmen, die in die Produktion und Vermarktung von Kohle involviert sind. Demnach werden schätzungsweise 40 Prozent des weltweiten Kohlehandels von der Schweiz aus abgewickelt – obwohl die Schweiz ihr letztes Kohlebergwerk kurz nach dem Zweiten Weltkrieg schloss.
Schweizer Banken tragen ihren Teil dazu bei. Sie unterstützen seit 2015 den Kohlesektor mit Leihgaben von 3,15 Milliarden US-Dollar. Obwohl die Schweiz im gleichen Jahr das Pariser Abkommen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen unterzeichnet hat. Public Eye fordert darum, dass die «Ausstiegspläne aus fossilen Energien und Ziele zur Emissionsreduktion an der Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh im November 2022 endlich konkretisiert werden».
Die Schweiz verursacht im internationalen Vergleich verhältnismässig wenig CO2-Emissionen. Mit rund 14 Tonnen CO2 pro Kopf weist sie jedoch einen überdurchschnittlichen Ausstoss auf. Dabei lagert sie einen Grossteil ihrer Emissionen ins Ausland aus – und importiert rund dreimal mehr CO2-Emissionen, als sie produziert. Um den Klimawandel erfolgreich einzudämmen, dürften die ganzheitlichen Pro-Kopf-Emissionen von 0,6 Tonnen nicht überschritten werden.
6. Hilft die Schweiz anderen Ländern bei ihren Emissionssenkungen, kann sie sich das an ihr Reduktionsziel anrechnen
Am Rande der Klimakonferenz unterzeichnete der Bundespräsident ein bilaterales Klimaabkommen mit der marokkanischen Ministerin für Energiewende und nachhaltige Entwicklung, Leila Benali. Zuvor schloss die Schweiz ähnliche Abkommen ab – etwa mit Peru, Thailand und der Ukraine. Diese sollen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, sich gegenseitig zu unterstützen. Entsprechend könnte die Schweiz ihre Bemühungen, die Emissionen in Marokko zu senken, an ihr Reduktionsziel anrechnen.
Die Klimaabkommen könnten eine wichtige Rolle in der Erreichung des eigenen Klimaziels spielen. Auch wenn es vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) heisst: «Dieses Ziel will die Schweiz vor allem mit Massnahmen im Inland erreichen.»
Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.
Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.
2 Kommentare
Nicht die Schweizer Banken und gewisse Unternehmen heizen die Kohleförderung an, wie man oben liest. Das tun Millionen von Konsumenten und Firmen mit entsprechender Energieproduktion. Die gewissen Unternehmen antworten nur auf die Nachfrage. Wenn es die nicht gäbe, wäre die Kohleförderung null Komma nichts beendet.
40'000 Teilnehmende! Darf ich diese Zahl bezweifeln? Wer sind diese 40'000? Putzpersonal, Köche, Kellner, Hotelangestellte? Wie kommt man auf 40'000? Nein, ich habe den Artikel noch nicht fertig gelesen. Aber bei der schieren Anzahl jener, die dorthin geflogen sind, und ich gehe jetzt einmal grosszügig von nur 1'000 aus, frage ich mich, wie ernst ist es all denen mit dem Umweltschutz? Und ich Trottel mache mir ein Gewissen, wenn ich mit dem Auto mehr als einmal pro Woche einkaufen gehe (der nächste Laden ist 1,4 Km von meinem Wohnort weg).