Sechs Jahre dauert die Transparenz-Offensive bereits. Die Pharmaindustrie will damit den Eindruck bekämpfen, sie verwöhne Ärztinnen und Ärzte mit üppigen Honoraren und gesponserten Kongressen. Rund 60 Pharmafirmen veröffentlichen seither jährlich, welchem Arzt und welcher Ärztin sie Vortrags- und Beratungshonorare, Kongressgebühren und Spesen ausbezahlt haben, welchem Spital oder Ärztenetzwerk Weiterbildungen gesponsert wurden und wohin Spenden flossen.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Wie viel Geld erhält Ihr Arzt von der Pharmaindustrie? Suchen Sie jetzt in unserer Datenbank. 

2020 überwiesen die Pharmafirmen 182 Millionen Franken – 5 Millionen weniger als 2019 Pharmagelder 187,1 Millionen für Ärzte und Spitäler . Der Rückgang geht vermutlich auf die Corona-Pandemie zurück, schreibt der Pharma-Branchenverband Scienceindustries – weil weniger Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt wurden. Die Summe, die direkt an Ärztinnen und Ärzte floss, hat sich fast halbiert: auf 6 Millionen Franken (Vorjahr: 11,4 Millionen Franken).

Die Gelder, mit denen Spitäler, medizinische Fachgesellschaften, Patientengruppen und andere Institutionen gesponsert wurden, waren ebenfalls rückläufig (93,3 Millionen Franken; 2019: 106,7 Millionen). Zugelegt haben die Zahlungen für «Forschung und Entwicklung» zur Finanzierung klinischer Forschung in Spitälern.

Klicken Sie auf die Punkte mit den Jahreszahlen um zu sehen, wie sich die Zahlungen über die Jahre verändert haben.

1. Problem: Interessenkonflikte

Die Transparenz-Offensive allein dämmt die Höhe der Zahlungen offensichtlich nicht: Seit dem Start vor sechs Jahren summieren sich die Gelder der Konzerne an Ärzte, Spitäler und Gesundheitseinrichtungen inzwischen auf eine Milliarde Franken. Ausser 2020 haben die Gesamtbeträge stets zugenommen. Das zeigt die neueste Auswertung von Pharmagelder.ch, einem Projekt des Ringier Axel Springer Research Network.

Doch ab wann befindet sich eine Ärztin oder ein Arzt in einem Interessenkonflikt – oder gar einem Abhängigkeitsverhältnis? Der höchste Betrag belief sich 2020 auf rund 56'000 Franken – und ging an Oliver Distler, Direktor der Klinik für Rheumatologie am Universitätsspital Zürich. Distler sagt dazu: «Auf meine tägliche Arbeit haben diese Zahlungen keine Auswirkung. Meine Arbeit führe ich unabhängig nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohl der Patienten aus.» Distler betont, er informiere das Universitätsspital und die Universität jedes Jahr «systematisch» über seine Nebentätigkeiten, Beratungsverträge würden von der Rechtsabteilung der Universität begutachtet.

Der höchste Gesamtbetrag seit 2015 beträgt über eine halbe Million und floss an den Krebsspezialisten und ehemaligen leitenden Onkologen des Unispitals Zürich Rolf A. Stahel. Eine Anfrage des Beobachters zu möglichen Interessenkonflikten und Abhängigkeiten liess er unbeantwortet.

Die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) verlangen explizit die «Offenlegung geldwerter Leistungen und Vorteile». Dennoch tun sich Ärztinnen und Ärzte immer wieder schwer damit. Doch die SAMW hält fest: «Zuwendungen von pharmazeutischen Unternehmen oder von Herstellern von Medizinprodukten schaffen Anreiz, ein Medikament oder ein Gerät einzusetzen, das sonst nicht verschrieben beziehungsweise verwendet worden wäre. Materielle Interessenkonflikte können auch entstehen, wenn Pharmafirmen Fortbildungsveranstaltungen oder wissenschaftliche Studien finanzieren.»

Doch was heisst das konkret? Charlotte Schweizer, Sprecherin des Ärzte-Berufsverbands FMH, sagt: «Ein Interessenkonflikt oder ein Abhängigkeitsverhältnis beginnt nicht bei einem konkreten Betrag.» Grundsätzlich gelte: «Ein Arzt ist dafür verantwortlich, dass er seine Entscheidungen in bester Absicht eines Patienten oder einer Patientin fällt und dass der Behandlungsentscheid nicht durch ein Abhängigkeitsverhältnis beeinflusst wird.»

Einer der schärfsten Kritiker von Zahlungen der Pharma ist Peter C. Gøtzsche, dänischer Medizinforscher und einstiger Direktor des Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen. Er sagt: «Ärzte sollten sämtliche Entschädigungen der Pharmaindustrie zurückweisen. Sie verdienen genug. Die Gelder korrumpieren das gesamte Gesundheitswesen.»

2. Problem: Monosponsoring

Geld floss letztes Jahr an rund 3000 Ärztinnen und Ärzte – 2364 kassierten ihre Zahlungen von nur einer einzigen Pharmafirma. Oft geht es um Kleinbeträge, etwa Spesen für Kongressbesuche. Zwei Dutzend Ärztinnen und Ärzte erhielten jedoch in den letzten sechs Jahren insgesamt mehr als 20'000 Franken – vom immer gleichen Pharmakonzern.

An der Spitze steht der Zürcher Philippe Snozzi, Mitbegründer und leitender Arzt der Schönheitsklinik Smoothline in Zürich. Er steht beim Botox-Hersteller Allergan auf der Lohnliste und erhielt seit 2015 rund 84'000 Franken.

Snozzi entwickelt für das Allergan Medical Institute Ausbildungsmodule für die Schulung von Ärzten. Er betont, diese Vortrags- und Beratungstätigkeit betreffe sein Spezialgebiet, «Diagnose und Management von Komplikationen nach ästhetischen Behandlungen». Snozzi sagt auf Anfrage: «Dies tangiert meine ärztliche Unabhängigkeit nicht, und ich bin überzeugt, dass meine Patienten sogar wesentlich davon profitieren.»

Bei Kongressorganisationen und Fachgesellschaften, aber auch bei der Industrie ist dieses sogenannte Monosponsoring in Verruf geraten. Man will nicht im Verdacht stehen, beeinflusst zu sein oder zu beeinflussen. Der Pharma-Kooperations-Kodex, die verbindliche Branchen-Selbstregulierung, untersagt Monosponsoring sogar: «Pharmaunternehmen dürfen von Gesundheitsversorgungs-Organisationen oder Patientenorganisationen nicht verlangen, diese exklusiv zu unterstützen.»

Trotzdem ist Monosponsoring nach wie vor gang und gäbe. Pharmagelder.ch kann über 500 Zahlungen an Organisationen, Ärztenetzwerke und ähnliche Institutionen dokumentieren, die unter der Rubrik Sponsoring Geld von nur einer einzigen Pharmafirma erhielten. Insgesamt fast 100 Fachgesellschaften, Stiftungen, Ärztenetzwerke und Arztpraxen erhielten mehr als 10'000 Franken – von einem einzigen Sponsor.

3. Problem: Blackbox

Der grösste Teil der Gelder, die von der Pharmaindustrie zur Ärzteschaft fliessen, bleibt aber eine Blackbox. Unter der Bezeichnung «Forschung und Entwicklung» bezahlen die 60 Pharmafirmen in der Schweiz 82,7 Millionen Franken an Spitäler, in der Regel für klinische Forschungsprojekte. Doch niemand erfährt, wer genau davon profitiert.

Als Deckmantel dient das «Forschungsgeheimnis». Pharmakonzerne wollen angeblich verhindern, dass die Konkurrenz erfährt, welche Medikamente vor der Marktzulassung stehen. Doch sogar Jürg Granwehr, bei Scienceindustries für den Pharma-Kooperations-Kodex zuständig, sagt: «Die Situation im Bereich Forschung und Entwicklung kann verbessert werden.»

Granwehr spricht damit die Tatsache an, dass pro Pharmafirma nur eine einzige Zahl veröffentlicht wird. «Scienceindustries befürwortet eine stärkere Transparenz.» Entsprechende Bestrebungen im europäischen Dachverband unterstütze man «seit längerer Zeit». Dort scheint diese Haltung aber derzeit nicht mehrheitsfähig.

Gute Studienergebnisse dank Sponsoring

Diese Intransparenz ist problematisch. Studien belegen seit Jahren: Klinische Forschungsprojekte kommen zu industriefreundlicheren Resultaten, wenn sie von der Industrie finanziert werden. Das «Deutsche Ärzteblatt» veröffentlichte letztes Jahr eine Übersicht über 57 aktuelle systematische Publikationen zum Thema.

Das Fazit ist klar: «Veröffentlichte Arzneimittelstudien, die von pharmazeutischen Unternehmen finanziert werden oder bei deren Autoren ein finanzieller Interessenkonflikt vorliegt, ergeben häufiger ein für die Pharmafirma vorteilhaftes Ergebnis als aus anderen Quellen finanzierte Untersuchungen.» Gemäss den Auswertungen zeigen sich sogar Hinweise, dass Pharmafirmen das Studienprotokoll zu ihren Gunsten beeinflussen.

Mitarbeit: Simon Huwiler und Michael Heim

* «Pharmagelder Schweiz» ist ein Projekt des Ringier Axel Springer Research Network. An der Auswertung beteiligt waren Journalistinnen und Journalisten des Beobachters, der Handelszeitung und vom «Blick».

Fünf Konzerne zahlen mehr als die Hälfte

Grafische Darstellung, welcher Pharmakonzern wie viel zahlt

Vom Gesamtbetrag, den 60 Pharmafirmen in der Schweiz 2020 als Zahlungen offenlegen, stammt mehr als die Hälfte von fünf Branchenriesen.

Quelle: Pharmagelder Schweiz, Scienceindustries, Angaben der Firmen | Infografik: Andrea Klaiber und Anne Seeger

Eine Milliarde

Grafische Darstellung des Gesamtbetrages, wie viel die Pharmafirmen zwischen 2015 und 2021 an Ärzte und Spitäler zahlten.

So viel zahlten Pharmafirmen in der Schweiz seit 2015 an Ärzte, Fachgesellschaften, Spitäler und Institutionen der Gesundheitsbranche.

Quelle: Pharmagelder Schweiz, Scienceindustries, Angaben der Firmen | Infografik: Andrea Klaiber und Anne Seeger

Mehr Gelder fürForschung an Spitäler

Grafische Darstellung, welche Bereiche wie viel Geld von der Pharma erhielten.
Quelle: Pharmagelder Schweiz, Scienceindustries, Angaben der Firmen | Infografik: Andrea Klaiber und Anne Seeger
Mehr Klarheit – Woche für Woche
«Mehr Klarheit – Woche für Woche»
Otto Hostettler, Redaktor
Der Beobachter Newsletter