Weniger Strahlenbelastung wäre machbar
Viele kleine Antennen statt wenige grosse: Das würde die Strahlenbelastung senken. Doch Swisscom, Sunrise und Salt wollen eine solche Lösung nicht.
Veröffentlicht am 19. Dezember 2019 - 20:36 Uhr
Wer durch die St. Galler Innenstadt schlendert, wird auf der WLAN-Anzeige seines Handys auf ein spezielles Netz aufmerksam gemacht: St. Galler Wireless. Der Dienst ist kostenlos, wer sich einmal registriert, kann mit bis zu 100 Megabit pro Sekunde im Internet surfen, mit unlimitiertem Datenvolumen.
Das Angebot gibt es seit 2012, es hat aber neue Aktualität gewonnen mit dem Bericht «Mobilfunk und Strahlung» im Auftrag des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) Ende November – und mit der Diskussion um die Einführung von 5G. Grund ist die spezielle Netzarchitektur: «Wir haben St. Galler Wireless als Kleinzellennetz konzipiert. So konnten wir im Einzugsgebiet die Belastung durch Mobilfunkstrahlung um bis zu einen Drittel senken», sagt Harry Künzle, Leiter Dienststelle Umwelt und Energie.
Das Prinzip von St. Galler Wireless ist einfach: Grosse Funkdistanzen werden vermieden, die Signale werden stets so schnell wie möglich ins Glasfasernetz eingespeist. «Das ist technologieneutral, es kann mit WLAN wie auch mit Mobilfunkfrequenzen betrieben werden», so Künzle.
Statt primär auf wenige grosse setzt die Netzarchitektur auf viele kleine Antennen. So sinkt die durchschnittliche Distanz zwischen Antenne und Endgerät. Handy und Antenne brauchen weniger Leistung, um sich zu verbinden – das äussert sich in einer geringeren Strahlenbelastung für Nutzer.
Dieser Grundsatz ist heute unbestritten. «Das beste Netz für die Minimierung der Belastungen durch Mobilfunkstrahlung ist ein möglichst dichtes Netz mit schwachen Sendern», heisst es im aktuellen Uvek-Bericht, an dem auch die Mobilfunkbetreiber mitgearbeitet haben. Ein Mobilfunknetz nach dem Kleinzellenprinzip setze die Nutzer zwei- bis zehnmal weniger den Strahlen aus als ein Netz mit klassischer Architektur. Für Vielnutzer werde die Belastung bis zu 600-mal kleiner.
Der Handyempfang wird mit Antennen mit hoher Sendeleistung gewährleistet (Makrozellen). Jeder Mobilfunkanbieter betreibt sein eigenes Netz. Dabei ergeben sich unnötig grosse Funkdistanzen und eine höhere Strahlenbelastung.
Grosse Antennen stellen nur die Grundversorgung sicher. Viele kleine Antennen mit niedriger Sendeleistung (Mikrozellen) sorgen dafür, dass nicht unnötig grosse Funkdistanzen zu überwinden sind. Das senkt die Strahlenbelastung.
Doch die Mobilfunkbetreiber erachten das Kleinzellenprinzip als untauglich, sie setzen andere Prioritäten. Bei der Einführung einer neuen Mobilfunktechnologie wie 5G müsse rasch eine flächendeckende Versorgung sichergestellt werden, damit Kundinnen und Kunden diese auch überall nutzen könnten.
«Eine solche Versorgung innert weniger Jahre zu gewährleisten ist nur mit grossen Anlagen etwa auf Hausdächern oder frei stehenden Masten möglich. Eine Priorisierung von Kleinzellen benötigt deutlich mehr Zeit und hätte Verbindungsabbrüche und Versorgungslücken zur Folge», sagt Christian Grasser, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbands der Telekommunikation (Asut).
Ist der Ausbau wirklich so dringlich? Ein Blick auf das Verhalten der Nutzer weckt Zweifel. 60 Prozent der übertragenen Daten entfielen 2018 auf Videos , also Unterhaltung, zeigt eine aktuelle Untersuchung des schwedischen Mobilfunkkonzerns Ericsson. Für das Jahr 2024 prognostiziert der Bericht gar eine Steigerung auf 74 Prozent. Telefongespräche dagegen machen nur wenige Prozent aus.
Projektleiter Harry Künzle von St. Galler Wireless vermutet noch andere Gründe dafür, dass die Mobilfunkanbieter Kleinzellen ablehnen. Heute betreiben Swisscom, Sunrise und Salt je ein eigenes Netz, meist mit eigenen Antennen. Nur selten wird Infrastruktur gemeinsam genutzt. Das Kleinzellenmodell benötigt deutlich mehr Standorte für kleine Antennen, was eine gemeinsame Nutzung nahelegen würde. Dann aber könnten die Mobilfunkanbieter nicht mehr mit dem – angeblich – besten Netz werben. Der Aufbau einer dreifachen Parallelstruktur wäre technisch möglich, aber sehr teuer.
Würden die Daten dann noch über ein städtisches Netzwerk wie St. Galler Wireless transferiert, wäre laut Künzle auch das einträgliche Geschäft mit dem Verkauf von Nutzerdaten gefährdet, weil keiner der Anbieter mehr exklusiven Zugriff darauf hätte. Die Nutzer aber würden von einem besseren Datenschutz profitieren.
Der Uvek-Bericht beurteilt das Kleinzellenkonzept als «theoretisch gut ausbaubar», warnt aber in Zusammenhang mit der Einführung von 5G auch vor punktuell möglichen «qualitativen Einbussen in der Grundversorgung».
Der Aufbau könnte im Rahmen einer sogenannten Public-private-Partnership (PPP) erfolgen: Städte und Gemeinden würden die Mobilfunkanbieter bei der Suche nach Standorten unterstützen sowie günstige Mietkonditionen, Strompreise und Zugang zum Glasfasernetz bieten.
Bei Politikerinnen und Politikern stösst das Modell auf Anklang. Der Ständerat hat Anfang Dezember einen parlamentarischen Vorstoss der Thurgauer CVP-Ständerätin Brigitte Häberli angenommen – entgegen der Empfehlung des Bundesrats.
Der Vorstoss verlangt einen Bericht zur Frage, ob mit dem Kleinzellenmodell und einem einheitlichen Mobilfunknetz eine nachhaltige Versorgung sichergestellt werden kann. «Der Bundesrat ist der besorgten Bevölkerung schuldig, dass er nicht nur die Strahlenschutzgrenzwerte, sondern auch die Netzarchitektur objektiv und ernsthaft hinterfragt», schreibt Häberli in ihrem Vorstoss.
1 Kommentar
Weniger "Strahlung, Chemie", wäre unbedingt notwendig für die "Gesundheit" von: Ökosystem - Umwelt - Tier und Mensch!!