Bei der Asbestsanierung wird weiterhin mit dem Leben von Menschen gespielt. Albert Gruber (Name geändert) weiss das aus eigener Erfahrung: Er hat zehn Jahre lang in der ganzen Schweiz mit den tödlichen Fasern gearbeitet. Kürzlich ist er ausgestiegen – «mir hat es definitiv abgelöscht». Ob die Zeitbombe Asbest in seinem Körper tickt, weiss er nicht. Gruber traut den Lungenvolumentests nicht, zu denen er von der Suva aufgeboten wurde.

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Die Suva, zuständig für den Schutz der Arbeitnehmer, gibt keine Daten zu ihren Asbestkontrollen bekannt. Wie viele Sanierungen überprüft, welche Mängel gefunden und wie viele Sanierer abgemahnt werden, verrät sie nicht. Diese Geheimniskrämerei ist typisch: Mehrere Asbestsanierer sowie Branchenexperten geben nur Auskunft, wenn sie anonym bleiben können. Sie wollen nicht als Nestbeschmutzer gelten. Bei nur rund 40 spezialisierten Sanierungsfirmen in der Schweiz kennt man sich untereinander zu gut.

Die Zurückhaltung hat auch mit den verheerenden Eigenschaften von Asbest zu tun. Eingeatmete Fasern können zu bösartigem Krebs und zur Lungenkrankheit Asbestose führen. Vielfach brechen die Erkrankungen erst Jahrzehnte später aus. Und niemand weiss, welche Dosis über welchen Zeitraum tödlich wirkt.

Sanierer arbeiten illegal im Staub

Derzeit beurteilt ein Gericht in Mailand, ob Ex-Eternit-Chef Stephan Schmidheiny für den Tod von mehr als 2000 italienischen Asbestarbeitern verantwortlich ist. Die Suva hat inzwischen in der Schweiz rund 2300 asbestbedingte Berufskrankheiten anerkannt und eine halbe Milliarde Franken an Betroffene ausgezahlt.

Auch der ehemalige Sanierer Albert Gruber ist auf einer Suva-Liste als Asbestarbeiter registriert. Das trifft längst nicht auf alle der 800 bis 1000 Angestellten der Branche zu. Viele Firmen beschäftigen Temporärkräfte – bevorzugt aus Deutschland –, ohne sie der Suva zu melden. Gruber hat erlebt, dass solche Leute illegalerweise ohne Schulung eingesetzt werden: «Maske rauf und rein in den Staub. Ich musste Leute rausholen, die ihre Maske während der Arbeit abgelegt hatten.» Wenn er sie überhaupt zu Gesicht bekam – teils war er für vier Baustellen gleichzeitig zuständig. Gruber war Spezialist für Asbestsanierungen, gemäss Suva-Vorschrift sollte jede Baustelle ständig von einem solchen überwacht werden.

«Ich musste Leute rausholen, die während der Arbeit ihre Maske abgelegt hatten.»

Albert Gruber (Name geändert), Kontrolleur auf Asbestsanierungs-Baustellen

Firmen mogeln bei Kontrollen

Es gibt auch Firmen, die einen Teil der Mitarbeiter als «Reinigungskräfte» deklarieren und so die Meldung bei der Suva umgehen. Roger Schneider von der Sanierungsfirma Belfor: «So spielt man mit der Gesundheit der Leute. Ich könnte nicht mehr ruhig schlafen.» Auch Beat Schuler von der Abson Sanierungstechnik will «nicht für alle in der Branche die Hand ins Feuer legen».

Seriöse Asbestsanierungen – vor allem bei schwach gebundenen Fasern (siehe untenstehende Box «Was tun bei Asbestverdacht?») – sind sehr aufwendig. Damit die Fasern nicht in Nebenräume gelangen, erzeugt man einen Unterdruck. Der Eingang wird durch Schleusen gesichert, teils sind bis zu vier Kammern mit Duschen vorgestellt. Die Abluft wird gefiltert. Grundsätzlich sind die asbesthaltigen Materialien zu benetzen, damit möglichst wenig Staub entsteht. Sobald jemand die Sanierungszone verlässt, müssen seine Kleidung und Gerätschaften dekontaminiert werden – damit keine Fasern verschleppt werden. Belüftete Atemschutzgeräte und Schutzanzüge sind Vorschrift. Je nach Asbestform sind Masken und Kleidung nach jedem Einsatz als Sondermüll zu entsorgen.

Soweit die Theorie. Die Praxis lässt einem teilweise die Haare zu Berge stehen. Insider erwähnen Schutzmasken, die nicht sauber schliessen. Oder Husch-husch-Verfahren anstatt aufwendiger Dekontaminierung – schliesslich kostet die korrekte Reinigung Zeit und damit Geld. Auch die Wartung der Gerätschaften wird nicht systematisch kontrolliert – anders als etwa in Deutschland. Erst als vor einiger Zeit bei Abluftgeräten horrende Faserkonzentrationen festgestellt wurden, machte die Suva für einmal systematische Kontrollen. «Seltsamerweise waren ausgerechnet dann viele Geräte in Revision», sagt ein Experte.

«Die Suva geht vom Prinzip Hoffnung aus»

Er erzählt von einer Turnhallensanierung im Mittelland. «Dort wurde der Filter im Abluftgerät ungeniert abgehängt, damit ‹saubere› Werte ausgewiesen werden konnten.» Es gibt keine geeichten Kontrollen – jeder misst mit seinem Gerät. Vor allem bei Materialproben kommt es zu ganz verschiedenen Resultaten: Günstige Labors messen billiger – das geht auf Kosten der Qualität. Das Fazit des Branchenkenners: «Die Suva geht vom Prinzip Hoffnung aus. Es braucht härtere Kontrollen.» Asbestsanierer hätten auch unterschiedlich qualifizierte Teams im Einsatz: Die Erfahrenen sanieren dort, wo genau kontrolliert werde, sonst schicke man die zweite Garnitur.

«Die Suva hat nur die Aufsicht über die Arbeitssicherheit», erklärt Sprecher Erich Wiederkehr. Und beteuert: «Kein Bereich wird so stark kontrolliert wie Asbestsanierungen.» Drei Suva-Spezialisten kontrollieren die ganze Deutschschweiz – das reicht bei weitem nicht, um alle Baustellen zu überprüfen. Das sei auch nicht ihr Auftrag, so Wiederkehr – für die konkreten Massnahmen zur Arbeitssicherheit seien die jeweiligen Unternehmen verantwortlich.

Grundsätzlich dürfen alle Firmen, die die gesetzliche «Bauarbeitenverordnung» erfüllen, schwach gebundene Asbestmaterialen entfernen. Auf einer Suva-Liste stehen aktuell 39 Firmen; für dieses Verzeichnis gibt es keine gesetzliche Grundlage. Aufgeführt sind auch zweifelhafte Unternehmer, die mehrfach in Konkurs gingen und unter neuem Namen weitermachten.

Unverständlich ist auch das löchrige Meldesystem. Asbest ist zwar als Baumaterial verboten, doch es gibt kein nationales Register von Bauten mit Asbest. Dazu kommt, dass viele Sanierungen um 1990 aus heutiger Sicht nicht genügen. Asbest wurde teils nur versiegelt oder abgedeckt.

Asbest landet ganz normal in der Baumulde

Wie wenig man letztlich über die tödliche Faser weiss, zeigt die sogenannte Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) für Asbest. 1990 wurde der MAK-Wert von einer Million lungengängigen Fasern pro Kubikmeter Raumluft auf 250'000 gesenkt, 2003 dann auf noch 10'000. Nur zwei Jahre später folgte ein neues Minimierungsgebot: Sanierte Räume werden freigegeben, wenn nicht mehr als 1000 Fasern pro Kubikmeter gemessen werden. Für Kindergärten oder Spitäler können die Gemeinden gar noch tiefere Grenzwerte vorschreiben.

Während der Betriebsphase eines Gebäudes liegt die Verantwortung beim Eigentümer. Wird renoviert, hängt es von ihm ab, ob mögliche Altlasten überhaupt abgeklärt werden. Weil jedoch Asbestsanierungen teuer und wenig imagefördernd sind, landen nach wie vor asbesthaltige Materialien im Bauschutt – als Folge davon atmen Abbrucharbeiter, Elektriker, Schreiner und Installateure ungeschützt die Fasern ein. Gemäss «Bauarbeitenverordnung» muss der Arbeitgeber vor Bauarbeiten die Risiken ermitteln und erforderliche Schutzmassnahmen ergreifen. Für Dario Mordasini von der Gewerkschaft Unia die grösste Sorge: «Firmen stossen auf Asbest, nehmen die Gefahr nicht ernst oder erkennen sie gar nicht.» Eine obligatorische Überprüfung der Gebäude auf Altlasten (Screening) könnte das Risiko deutlich reduzieren, so Mordasini. Für ihn ein «Must»: «Die Schweizer Asbesttragödie darf sich nicht fortsetzen.»

Wird bei Sanierungsarbeiten tatsächlich ein Spezialist beauftragt, muss dieser die Baustelle der Suva und der Gemeinde melden, wenn er auf schwach gebundenen Asbest stösst. Doch die Meldung erfolgt längst nicht immer. Weshalb, weiss der Chef einer Sanierungsfirma: «Die Marge ist viel höher, wenn ich statt einer umfassenden Baustellensicherung nach Suva-Vorschrift bloss einen Plastikvorhang aufhängen kann.»

Ein Durcheinander bei Verantwortlichkeiten

Die Asbestmisere wird weiter verschärft durch den Föderalismus. Die Suva ist nur für den Arbeitnehmerschutz zuständig. Mit der Entsorgung von Asbest befasst sich das Bundesamt für Umwelt, während Kantone und Gemeinden für den Gesundheitsschutz auf ihrem Gebiet verantwortlich sind. Das führt zu einem Jekami, wie Edi Brügger vom Asbestsanierer BWT ständig erlebt: «Die Stadt Zürich etwa schaut sehr genau hin und verlangt ein detailliertes Konzept. In vielen Kantonen und Gemeinden werden Bauherren hingegen gar nicht auf mögliche Asbestgefahren hingewiesen.»

Wie viele Asbestarbeiter wegen ihres riskanten Jobs erkrankt sind, erfasst die Suva nicht separat. 1141 asbestbedingte Todesfälle wurden bis 2007 registriert. Stark betroffen ist das Bauhaupt- und -nebengewerbe mit rund einem Drittel der Todesopfer. Bei der Suva nimmt man an, dass wegen der sehr langen Latenzzeit bei den erst seit 1990 tätigen Asbestsanierungsfirmen noch keine Berufskrankheiten aufgetreten sind. Noch nicht.

Was tun bei Asbestverdacht?

Bei schwach gebundenen Asbestprodukten werden die Fasern schon bei sehr geringer mechanischer Einwirkung freigesetzt. Dazu gehören alle Arten von Spritzasbest, Asbestisolationen sowie Asbestschnüre, -zöpfe, -kissen, -pappen, -leichtplatten und Beschichtungen von Bodenbelägen.

Bei fest gebundenen Asbestprodukten wird es nur bei stärkerer mechanischer Einwirkung gefährlich. Hierzu gehören Asbestzementprodukte wie Blumenkisten, Fassadenplatten sowie Druck- und Kanalisationsrohre. Heikel ist eine fortgeschrittene Verwitterung.

So gehen Sie konkret vor: Klären Sie ab, ob es sich wirklich um Asbest
handelt. Mieter können beim Eigentümer nachfragen. Eine Materialprüfung kostet 60 bis 150 Franken. Adressen und Infos: www.forum-asbest.ch
oder www.suva.ch/asbest (Telefon 041 419 60 28, asbest@suva.ch)