Wohnen im Versuchslabor
Leben und wohnen mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch? Kein Problem. Zu Besuch in einem Haus am Zürichsee, wo einfache Lösungen auf Hightech treffen.
Plumpsklos sind nicht mein Ding. Ich bevorzuge die Wasserspülung – aus den Augen, aus dem Sinn. Meine Grossmutter hatte ein Plumpsklo. Als Kind brauchte es eine gewisse Dringlichkeit und etwas Mut, abends den dunklen Hof zu überqueren, um diesen stinkenden Ort aufzusuchen. Deshalb war ich neugierig, wie Devi Bühlers Trockentoilette auf mich wirken würde. Doch dazu später.
Aus den Augen, aus dem Sinn: Nach diesem Prinzip wohnt man in der Schweiz normalerweise. Strom, Wasser, Abwasser – welche Heinzelmänner und -frauen dafür im Hintergrund wirken, bemerkt man nicht. Anders im von Bühler konzipierten Haus in Feldbach ZH. Manche Besucher meinten, dass hier «ganz schön viel Technik» drinstecke, erzählt sie. «Doch die hat man auch sonst», sagt die 1987 geborene Umweltingenieurin. «Nur ist sie irgendwo anders zentral angesiedelt. Die Leute sehen nicht, wie viel Ressourcen zum Beispiel eine Kläranlage braucht.»
Hier dagegen erfährt man, was nötig ist, damit ein Haus funktioniert. Die Idee eines bewohnbaren Versuchslabors kam Bühler bereits 2013 als Nebeneffekt ihrer Bachelorarbeit. Im Sommer 2021 ist dann ein Forschungsobjekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) entstanden: das sogenannte KREIS-Haus, die Abkürzung steht für klima- und ressourceneffizientes Suffizienzhaus. «Ziel ist es, lokale Kreisläufe zu schliessen», sagt Bühler.
Es beginnt schon mit der Bauweise. Sie soll möglichst ressourcenschonend sein und sicherstellen, dass man das Gebäude wieder in seine Einzelteile zerlegen kann. So gibt es weder Nägel noch Klebstoffe, die massiven Holzwände sind mit Holzdübeln verbunden. Oder: Duschkabine und Lavabo mit integriertem Regal bestehen zu einem grossen Teil aus blauen Glasscherben. Das sieht sogar eher stylish als nach Recycling aus. «Allerdings ist das Lavabo fürs Händewaschen zu klein geraten, wir werden es ersetzen», so Bühler. Auch das ist wichtig fürs Projekt: praktische Erfahrungen zu sammeln. Die Forscherin wohnt selbst nicht hier, aber Besucherinnen und Besucher können übernachten und Feedback geben. Das Interesse ist gross, es gibt eine Warteliste.
Platzsparend zu wohnen, ist ein weiteres Prinzip. Die Idee sei aber nicht, das Gebäude irgendwo nachzubauen, sagt die Bauherrin. Zumal das Einfamilienhaus als Wohnform nicht optimal sei. «Es ist eher mein Ziel, bei grösseren Projekten etwas zu bewegen. Aber es soll auch zum Nachdenken darüber anregen, wie viel Platz man wirklich braucht.» Auf den rund 40 Quadratmetern, die auch dank hoher Räume nicht beengt wirken, findet eine Menge Platz. Im mit Infrarotheizungen erwärmten Teil des Hauses gibt es: ein Bad mit Dusche und Toilette, eine komplett ausgestattete Edelstahlküche, eine Essecke mit Tisch und Sitzmöbeln aus Kork, einen Schlafbereich mit Doppelbett, Kleiderschrank und viel Stauraum.
Dazu kommen im nur durch den Sonneneinfall beheizten Wintergarten: eine multifunktionale Lounge, ein kleiner Kräutergarten und ein Wandregal, das bis in die Treppenstufen hinein verlängert ist. Und als Highlight im Obergeschoss ein grosses Beet, das dank semitransparenter Fotovoltaikmodule im Dach reichlich Licht erhält. Beim Hausbesuch im Winter spriesst es eher zaghaft: Erdbeeren, Fenchel, Salat. «Ab Frühjahr probieren wir aus, was hier gut wächst.» Die Haustechnik befindet sich an der Nordseite des Gebäudes und ist von aussen zugänglich.
Hightech auch drinnen: unauffällig platzierte LED-Lichtleisten mit variablen Lichtstimmungen, Schiebetüren, die sich berührungslos öffnen, an der Wand ein Tablet für die Haussteuerung.
Wie in Hotels oft zu sehen, wird der Platz sehr effizient genutzt. Und gleichzeitig gibt es Details, die das Forschungslabor warm und wohnlich machen: Wandverkleidungen aus Arvenholz, Trockensträusse, gepunktete Gardinen. Der Kreislaufgedanke ist überall präsent, zum Beispiel beim Spülmittelspender – einst eine Getränkeflasche – oder bei diversen Anleitungen an den Wänden. Etwa derjenigen, die erklärt, dass in der Dusche biologisch abbaubare Produkte bereitstehen, um die hauseigene Abwasserreinigung zu entlasten. «Wenn Sie aber Ihre eigenen Produkte bevorzugen», heisst es weiter, «ist das auch in Ordnung. Viel Spass beim Duschen!» Als Frau könne sie solche Vorlieben verstehen, so Bühler.
«Wer mehr für die Umwelt tun will, muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen.»
Devi Bühler, Bauherrin
Überhaupt strahlen sie und ihr Haus etwas Entspanntes aus. Hier geht es offensichtlich nicht darum, Leute zu erziehen, sondern ihnen etwas zu zeigen. Sie staune über die Aggressivität, mit der ihre Studenten manchmal Umweltschutz propagierten. «Wer mehr für die Umwelt tun will, muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen.»
Worauf ist sie besonders stolz? Bühler muss kurz überlegen. «Auf den Wintergarten und die Wasseraufbereitung.» Der Wintergarten ist nicht nur Pufferzone nach aussen, sondern auch zentral für den Kreislauf: Hier erwärmt sich die Luft für den Wohnbereich, hier landen Dünger und Kompost für die Nahrungsproduktion, hier wird das gereinigte Abwasser aus Küche und Bad erneut genutzt. Es wird mit rein biologischen Prozessen und minimalem Energieaufwand aufbereitet – eine Pilotanlage, die erstmals in einem Haus erprobt wird.
Auch die Verarbeitung des Urins ist ein Lowtech-Forschungsprojekt. Unter einer durchsichtigen Scheibe fliesst er in einer Holzkonstruktion über mehrere Stufen allmählich nach unten, dank Sonneneinstrahlung verdunstet dabei die Flüssigkeit, übrig bleibt ein nährstoffreiches Salz. Das sieht, wie vieles hier, verblüffend einfach aus.
Doch es war ein beschwerlicher Weg, all das zu realisieren. Jahrelang fehlte Bühler ein Netzwerk von spezialisierten Handwerkern und von Geldgebern. Der Architekt Jörg Watter habe sie schliesslich ermutigt, an ihrer Idee dranzubleiben. «Von da an hat das Projekt wieder Schwung aufgenommen», sagt sie. Dann, acht Jahre nach der Bachelorarbeit, ging es tatsächlich los auf der Baustelle. Kein Routinejob, sondern viel Neuland. «Es war der heftigste Sommer meines Lebens. Ich habe nur noch funktioniert», sagt Bühler, die selbst Bauleiterin war. Neuland war es auch für die Gemeinde, die eine Baubewilligung für fünf Jahre erteilte. Danach muss das Haus wieder entfernt werden. Mehrmals erkundigte sich die Baubehörde, wo denn nun der Anschluss an die Kanalisation hinkomme, so Bühler. Ihr Haus braucht keinen.
Fast ein Drittel des täglichen Trinkwasserverbrauchs geht laut Bühler in der Schweiz nur fürs WC drauf. Ihre Toilette – ein wohltuend adrettes Örtchen, das pure Gegenteil des Schauplatzes meines kindheitlichen Plumpsklo-Traumas – funktioniert nicht per Wasserspülung, sondern mit einem Förderband. Man soll es mit «mindestens zehn» Pedaltritten vorwärtsbewegen, so die Anleitung. Die Fäkalien plumpsen dann in den Wurmkomposter, der von aussen zugänglich ist. Beim Blick hinein riecht er, zumindest an diesem kalten Tag, nach – nichts.
- Fundament
Dank eines wiederverwendbaren Schraubfundaments wird der Untergrund nicht mit Beton versiegelt. Das Haus steht deshalb quasi auf Pfeilern.
- Recycling
Der Parkettboden im Wohnraum stammt aus einem Bürogebäude, der Boden im Wintergarten besteht aus Feinsteinzeug-Resten. Die Böden sind ohne Abdichtungs- und Bindematerialien verlegt, was das Recycling erleichtert. Die Eingangstür war früher eine Balkontür eines Abbruchobjekts. Im Bad wurden für den Fussboden und das Badmöbel Platten aus recycelten Glasscherben verwendet.
- Solaranlage
Produziert bis zu 7000 Kilowattstunden Strom pro Jahr, viermal so viel, wie das Haus benötigt. Die überschüssige Energie wird in alten Batterien gespeichert oder geht ins Netz.
- Heizung und Lüftung
Die warme Luft des Wintergartens dient dazu, den Wohnraum zu belüften und zu heizen. Für das Warmwasser ist eine Wärmepumpe zuständig, die die Restwärme des Wohnraums nutzt.
- Wasserkreislauf
Das Regenwasser vom Dach wird zu Trinkwasser aufbereitet. Das wenig verschmutzte Abwasser von Bad und Küche wird mit natürlichen Prozessen aufbereitet und für den Dachgarten benutzt.
- Nährstoffkreislauf
Der Urin wird in einem Tank gesammelt, dort so behandelt, dass er geruchsfrei wird, und in einem selbst entwickelten Verdunstungsmodul zu Dünger getrocknet. Die Bewohner eines Wurmkomposters wandeln den Kot in Kompost um, der wie der Urindünger im Dachgarten ausgebracht wird.
- Baukosten
Rund 600'000 Franken, ohne Entwicklungskosten etwa 400'000 Franken. Möglich wurde der Bau dank über 50 Sponsoren, Crowdfunding, Stiftungen und Eigenleistungen.
1 Kommentar
Ich muss mich wirklich bedanken. Ich war überrascht, wie gut solch eine innovative Lösung funktioniert. Ich bin total perplex und habe wirklich mit Staunen und offener Kinnlade gelesen. Es war mir nicht völlig neu, dass ein Gebäude wieder in Einzelteile zerlegt werden kann. Beim Hausbau haben wir mit Verbindungselementen von https://www.sfs.ch/de/B… versucht ähnlich voranzugehen. Das hat sogar besser funktioniert, als ich es mir vorstellen konnte. Auch beim Thema Solar bin ich aktiv, aber was das Recycling angeht, muss ich zugeben, dass ich bisher zu kurz gedacht habe. Da ist definitiv noch Potential. Also, ein großes Lob – das nenne ich Fortschritt!