Zweite Karriere mit einem Bed and Breakfast
Nach der Pensionierung eine zweite Karriere starten: Wieso nicht, dachte sich Erika Goergen, und eröffnete ein Bed and Breakfast. Ein schöner Nebeneffekt: Ihre grosse Villa in Goldau SZ füllt sich wieder mit Leben.
Veröffentlicht am 3. April 2023 - 14:57 Uhr
Ein Fremder, der es wagt, an der Pforte zum herrschaftlichen Anwesen zu klingeln? Gordon horcht auf. Ein lautes Bellen lässt den Besucher zwei Schritte nach hinten machen. Mit einem sympathischen, offenen Lächeln kommt Erika Goergen über den Kiesweg auf den Fremden an der Pforte zu.
«Schau, Gordon, das ist ein lieber Mensch, der da zu uns kommt», sagt die 78-Jährige zu ihrem Hund. Schon ist der hellbeige Labrador dem Fremden wohlgesinnt und lässt sich gern streicheln. «Sie kommen als Fremde und gehen als Freunde», lautet das Motto von Erikas Bed and Breakfast (BnB).
Mit der Psychologin und Mediatorin ist man gleich per Du. Gäste empfängt sie seit 2009 im Zweizimmer-Appartement, das sich im Erdgeschoss ihrer mit Efeu und wilden Reben überwachsenen Jugendstilvilla in Goldau SZ befindet.
«Meine Tochter hat mir schon gesagt, dass ich für gewisse Gäste fast etwas zu offen bin.»
Erika Goergen
Das von ihrem Urgrossvater 1903 erbaute Anwesen mit Rigiblick ist von einem 3800 Quadratmeter grossen gepflegten Park umgeben. Für die Gründung ihres Bed and Breakfast gab es zwei Auslöser: erstens die anlässlich ihrer Pensionierung definitive Rückkehr ins Elternhaus nach 17 Jahren in Italien, wo sie Leiterin von Rehabilitationszentren für blinde Kinder war. Und zweitens die spontane Aufnahme von Gästen eines Bekannten, der im Ort bereits ein BnB betrieb und eine grössere Gruppe unterbringen musste.
«Diese Leute im Haus zu haben, war so bereichernd und spannend, dass ich beschloss, auch ein Bed and Breakfast zu eröffnen.» Ausserdem sei sie nicht der Typ für Rentner-Kreuzfahrten.
Positiv, offen und unerschütterlich
Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um eine gute BnB-Gastgeberin zu sein? Auf diese Frage scheint Erika gewartet zu haben. Man müsse ein positiver Mensch sein, offen, warmherzig, dürfe über nichts schockiert sein und müsse ein unerschütterliches Vertrauen in die Menschheit haben.
«Also eigentlich alles, was wir Schweizer nicht haben oder sind», sagt sie augenzwinkernd. Dass sie vier Sprachen spricht, sei natürlich auch sehr nützlich, genauso wie ihr psychologischer Hintergrund: Sich selbst gut zu kennen, helfe im Umgang mit den Gästen. Aber natürlich sei auch sie nicht perfekt: «Meine Tochter hat mir schon gesagt, dass ich für gewisse Gäste fast etwas zu offen bin.»
Wichtig sei aber auch, sich räumlich zurückziehen zu können. Das eigene Bad mit den Gästen zu teilen, ist für sie nicht vorstellbar. Zu Beginn ihrer BnB-Karriere hat Erika den Gästen das Frühstück noch in ihrem eigenen Wohnbereich serviert.
Damit habe sie aber schnell wieder aufgehört: Nicht selten seien die Gäste bis zum Mittag dort sitzen geblieben. Nun können sie sich ein Frühstück mit allem Drum und Dran ins Appartement bestellen, das eine kleine, voll ausgerüstete Küche mit Kaffeemaschine und Kühlschrank hat.
Gastgeber-Gen von Vorteil
Obwohl man immer noch von Bed and Breakfast spricht, müssen BnB-Unterkünfte in der Schweiz nicht zwingend ein Frühstück anbieten. Das sei relativ neu, sagt Dorette Provoost, Geschäftsführerin der BnB Switzerland GmbH, die die Buchungsplattform bnb.ch betreibt.
Zwingend sei hingegen der persönliche Kontakt. «Unterkünfte, die nur mit einem Schlüsseltresor agieren, können bei uns nicht mitmachen.» Wer ein BnB eröffnen will, müsse schon das Gastgeber-Gen in sich tragen, sagt Provoost. «Wenn man es nur fürs Geld macht, kommts nicht gut.»
Für Erika mit ihrem BnB «Villa Mon Abri» in Goldau ist der Zustupf von monatlich 1000 bis 1500 Franken sehr willkommen. Nicht unterschätzen sollte man den Aufwand, den ein BnB mit sich bringt.
Das fängt schon mit den nötigen Abklärungen an (siehe Box) und geht weiter über eine zeitgemässe Neumöblierung der Zimmer bis zur Kreation von Visitenkarten, Flyern und einer eigenen Website. «Das A und O für eine gute Vermarktung sind professionelle Bilder», sagt Dorette Provoost von BnB Switzerland. Ihre Organisation bietet einen Fotoservice für 399 Franken an.
Auf einen Apéro zu Erika
Und auch wenn die Vermietung läuft, gibt es viel zu tun: die Gäste persönlich empfangen, putzen, die Bettwäsche wechseln, aber auch Website und Vermietungskalender auf den Onlineportalen regelmässig aktualisieren. Das «Digitale» hat Erika grösstenteils an einen Bekannten ausgelagert.
Den Mailverkehr mit den Gästen erledigt sie aber selbst. «Das ist oft ein langes Hin und Her und braucht viel Zeit.» Zeit investiert sie auch in den persönlichen Kontakt – lädt sie doch die meisten Gäste zu einem kleinen Apéro oder Znacht zu sich nach oben ein.
Natürlich gibt es manchmal auch unangenehme Erfahrungen. Etwa, wenn sich Gäste über Nichtigkeiten beschweren oder die Küche in einem desolaten Zustand zurücklassen. «Aber der allergrösste Teil meiner Zeit als Gastgeberin ist einfach nur schön!» Und sie will noch etwas mehr Leben in ihren Alltag bringen: Erst kürzlich hat sie ihren Service ausgebaut und bietet neben dem BnB nun auch Räume und den Park für Kulturevents und festliche Anlässe an.
Wie lange sie das alles noch machen will? «Bis ich abliege.» Das Gastgeberinnen-Gen hat Erika ganz offensichtlich. Kein Wunder: Ihr Urgrossvater, der Erbauer der Villa, war selbst erfolgreicher Hotelier. Mit ihrer offenen Art und ihrem Interesse an Menschen stellt sie schnell eine freundschaftliche Nähe her. Als Fremder fühlt man sich bald nicht mehr. Das schliesst auch den jetzt friedlich dösenden Gordon mit ein.
BnB-Unterkunft anbieten
Wer Zimmer oder eine Wohnung als BnB-Unterkunft vermieten möchte, sollte als Erstes immer den Kontakt mit dem lokalen Tourismusbüro und der Gemeinde suchen – am besten schriftlich. Denn die örtlichen Gastgewerbegesetze oder Bestimmungen über Tourismusabgaben können stark variieren.
Wer sich auf der Website von BnB Switzerland (bnb.ch/gastgeberwerden) einschreibt, zahlt eine jährliche Gebühr zwischen 264 und 744 Franken – abhängig vom Abonnement (Budget oder Basic) und der Anzahl der Schlafplätze. Dazu kommt eine jährliche Zertifizierungsgebühr von 20 oder 40 Franken. BnB Switzerland verlangt hingegen keine Buchungskommission – die gesamten Mieteinnahmen bleiben also bei den Gastgebern. BnB Switzerland empfiehlt neuen Gastgeberinnen das etwas teurere Basic-Angebot, weil dann die Unterkunft auch über die Website myswitzerland.com von Schweiz Tourismus international vermarktet wird. Andere Onlineportale, um seine Unterkunft zu vermarkten, sind Airbnb oder Booking.com.
1 Kommentar
Schade wird das Haus nicht der Bevölkerung für Miete zur Verfügung gestellt. Ich finde gerade jetzt, wo Wohnungsnot in aller Munde ist, sollten solcher Häuser nicht für AirBnB zur Verfügung. Im Berner Oberland ist es so: Da wird ein altes Haus abgerissen, publiziert für Erstwohnungen und dann gleich mit einer Baugesuchsänderung in Wohnungen touristische Beherbergung geändert. So macht man das.. Die Baufirma freut's, die Gemeinde freut's, die Bauherrschaft's freut - nur die Bevölkerung und Natur.. (weil immer mehr verbaut wird). Ein No-go.