Vier Wände und tausend Paragrafen – was zu beachten ist
Wer eine Wohnung im Stockwerkeigentum kauft, sollte sich rechtlich gut informieren. Denn vieles ist anders, als man denkt.
Veröffentlicht am 25. April 2022 - 10:38 Uhr
Will ich wirklich Stockwerkeigentum? Oder doch besser nicht? Das ist auch eine Frage des Charakters. Sicher ist, dass man eng mit anderen Eigentümern zusammenleben wird. Dazu gehört: freundlich grüssen, Smalltalk im Treppenhaus und auch mal die Zähne zusammenbeissen. Und man sollte sich bewusst sein, dass Nachbarn jederzeit wechseln können – die liebe Maya wird plötzlich der böse Patrick.
Wenn man den Schritt zum Stockwerkeigentum wagt, ist es Gold wert, rechtlich gut informiert zu sein. Nur so kann man an Eigentümerversammlungen richtig mitreden – und sachlich argumentieren. Es hilft, gewisse Entscheide akzeptieren zu können, auch wenn man es gern anders gehabt hätte; das erspart Frust und aussichtslose Gerichtsverfahren.
Beim Beratungszentrum des Beobachters melden sich jeden Tag wütende Anruferinnen und verzweifelte Anrufer, die sich mit den Nachbarn heftig streiten. Wie bei vielen Problemen gibt es kein Patentrezept zur Lösung. Immerhin gibt es oft überzeugende rechtliche Argumente.
Ferdinand zieht in die Attikawohnung mit eigener Dachterrasse. Im Sommer tauscht er die einfachen Betonplatten durch edlen Granit aus. Das kümmert niemanden. Beim nächsten Gewitter regnet es rein – Ferdinand kann allerdings nichts dafür, es liegt an einem Konstruktionsfehler beim Dach. Die Handwerker müssen für die Reparatur die Platten herausspitzen. Ferdinand will, dass sich die Gemeinschaft am Ersatz beteiligt, weil er nichts für das undichte Dach könne.
Falsch: Die Dachterrasse ist ein sogenanntes Sondernutzungsrecht. Das heisst: Es darf sie zwar nur Ferdinand nutzen, sie ist aber dennoch gemeinschaftlich. Deshalb müssen alle baulichen Massnahmen von der Gemeinschaft bewilligt werden. Und das ist bei den Granitplatten nicht passiert. Darum muss die Gemeinschaft Ferdinands Auslagen nicht übernehmen.
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Anna möchte ihren Sitzplatz mit Natursteinen pflastern lassen – auf eigene Kosten. Die Nachbarin meint, sie könne das vergessen, denn bei solchen luxuriösen Massnahmen müsse die Gemeinschaft einstimmig zustimmen.
Falsch: Für bauliche Massnahmen, die lediglich der Verschönerung und Bequemlichkeit dienen, braucht es tatsächlich Einstimmigkeit. Wenn das Vorhaben aber die anderen Eigentümer nicht beeinträchtigt und Anna allein für die Kosten aufkommt, genügt das qualifizierte Mehr – also nach Köpfen und Quote. Darum sollte Anna bei der Traktandierung bereits vorschlagen, dass sie die Kosten allein trägt.
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Sabrina und Max wohnen in der Attikawohnung. Sie finden, das Dach sei baufällig und müsse saniert werden. Die anderen Eigentümer sehen das entspannter, und es gibt an der Versammlung kein einfaches Mehr. Das braucht es aber für notwendige bauliche Massnahmen. Die Gemeinschaft meint, Max und Sabrina müssten sich der Mehrheit fügen.
Falsch: Max und Sabrina dürfen zwar nicht selbst eine Sanierung veranlassen. Sie können aber die Gemeinschaft einklagen und vom Gericht verlangen, dass es die notwendigen Massnahmen anordnet, die – wie es im Gesetz heisst – für den Erhalt des Werts und der Gebrauchsfähigkeit der Sache notwendig sind. Dann würde auf Kosten der Gemeinschaft saniert.
Annina glaubt, sie habe einen schlauen Plan: Wenn sie sechs von zehn Wohnungen kauft, kommt sie bei Mehrheitsbeschlüssen immer mit ihren Anliegen durch. Im Reglement ist nichts Näheres zum Stimmrecht geregelt.
Falsch: Wenn im Reglement nichts steht, kommt das Gesetz zur Anwendung. Es sieht Kopfstimmrecht vor: Jeder Eigentümer hat nur eine Stimme – egal, wie viele Einheiten man besitzt.
Beim sogenannten qualifizierten Mehr zählt zwar auch die Wertquote: Die Jasager müssen über 50 Prozent der Wertquoten besitzen. Aber auch hier muss die Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Eigentümer (Köpfe) zustimmen, wie bei einfachen Mehrheitsbeschlüssen.
Wenn man von dieser gesetzlichen Bestimmung abweichen und zum Beispiel regeln will, dass man pro Wohnung eine Stimme hat, braucht es eine Änderung des Reglements. Für sie ist das qualifizierte Mehr nötig.
Der Verwalter Fritz erteilt einer Firma den Auftrag, die Parkplätze zu bewachen und Falschparkierer sofort zu «büssen» und abzuschleppen. Viele Stockwerkeigentümer stören sich daran und wollen auch nicht dafür zahlen. Die Gemeinschaft hat Fritz auch nicht zu seinem Vorgehen ermächtigt. Fritz behauptet aber, dass ihm diese Kompetenz als Verwalter zustehe.
Falsch: Zwischen der Gemeinschaft und dem Verwalter besteht ein Auftragsverhältnis. Was der Verwalter konkret tun soll, das steht im Pflichtenheft oder das beschliesst die Gemeinschaft. Es gibt aber keine Ermächtigung für Fritz’ Parkregime im Pflichtenheft und auch keinen Beschluss; also handelte Fritz ohne Ermächtigung.
Nun muss die Gemeinschaft beschliessen, ob sie diese Handlung nachträglich noch genehmigt. Für diese sogenannt wichtige Verwaltungshandlung braucht es das qualifizierte Mehr. Wenn der Beschluss nicht zustande kommt, muss der Verwalter Fritz diesen Auftrag sofort auflösen und bleibt selber auf den Kosten sitzen.
Wem gehört was beim Stockwerkeigentum? Beobachter-Mitglieder erfahren, welche Nutzungsrechte gelten und wie diese definiert sind, ob bestimmte Gebäudeteile individuell ausgestaltet werden dürfen und welche Bestimmungen im Stockwerkeigentümerreglement verankert sein sollten.
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1 Kommentar
Unverständlich dass Schlichtungsämter nur für Mieter da sind (sogar kostenlos als wären alle Mieter arm und alle Stockwerkeigentümer reich).
Viele Nachbarschaftsstreitigkeiten und Gerichtsfälle könnten vermieden werden.