Gärtner sind mondsüchtig
Millionen von Hobbygärtnern säen ihr Gemüse nach einem Mondkalender an. Die wenigsten wissen, dass unterschiedliche Versionen im Umlauf sind.
Es gibt ein einfaches Rezept, dank dem Gemüse angeblich besser wächst, aromatischer schmeckt und weniger oft von Schädlingen befallen wird: Man muss den Termin der Aussaat nur nach dem Mondkalender wählen – schon wird alles gut. Viele Gemüsegärtnerinnen sind überzeugt davon, dass die Aussaat an den «falschen» Tagen weniger Erfolg bringt. Das Problem: Niemand weiss, ob das wirklich zutrifft, denn kaum jemand macht Vergleiche. Und Hobbygärten sind in der Regel zu klein, um Parallelversuche durchzuführen.
Dass es nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von Mondkalendern gibt, scheint niemanden zu stören. Dabei weichen die jeweiligen Empfehlungen voneinander ab, ja sie stimmen sogar äusserst selten überein. Wenn die Aussaattage der Anbieterin Maria Thun einen Mehrertrag garantieren, müssten alle, die dem Kalender der Anbieterin Johanna Paungger folgen, schlechtere Ernten einfahren. Noch schlechter müsste es wohl Leuten ergehen, die sich an jenen Mondkalender halten, der von einem polnischen Server gratis im Internet angeboten wird.
Wie gross die Unterschiede zwischen den Mondkalendern sind, zeigt ein willkürlich gewähltes Beispiel. Am 3. Mai 2015 stand der Mond laut Maria Thun in der Jungfrau; man hätte an diesem Tag bis 19.30 Uhr Wurzelgemüse säen müssen. Dagegen befand sich der Mond bei Paungger in der Waage – folglich handelte es sich um einen Blütentag, der ideal sei für das «Pflanzen, Setzen und Säen von Blatt - und oberirdisch wachsendem Gemüse». Beim polnischen Gratis-Kalender stand der Mond im Skorpion; dort war ab morgens um 3.47 Uhr das Säen von Blattgemüse angesagt.
Welcher Kalender recht hat, dafür scheint sich niemand zu interessieren. In den zahlreichen Gärtnerforen finden sich jedenfalls keine Diskussionsbeiträge zu dieser Frage.
Auch die Forschung zeigt kaum Interesse am Thema. Der deutsche Agronom Hartmut Spiess vom Institut für biodynamische Forschung wies Anfang der neunziger Jahre bloss nach, dass Gemüse, Kräuter, Getreide und Zierpflanzen etwas besser keimen, grösser werden und höhere Erträge liefern, wenn sie zwei bis drei Tage vor Vollmond ausgesät wurden. Und eine Masterarbeit am Wiener Institut für Bodenkunde aus dem Jahr 2010 diagnostiziert beträchtliche Unterschiede bei Pflanzen in Abhängigkeit von Vollmond, Neumond sowie bei auf- und absteigendem Mond.
Doch diese Arbeiten haben wenig bis nichts mit den Mondkalendern zu tun. Die Mondkalender von Thun, Paungger und Co. basieren nämlich auf Mond-Tierkreiskonstellationen und Sternbildern. Es handelt sich genau genommen um Horoskope für Pflanzen. Den Einfluss der Gestirne will die Anthroposophin Maria Thun in langjährigen Versuchen belegt haben. Eine wissenschaftliche Bestätigung steht aber aus.
Alle Aussaat- und Mondkalender gehen auf Thuns «Forschung» in den sechziger Jahren zurück. Johanna Paungger behauptet zwar, sie habe ihr Wissen von ihrem Grossvater. Doch der Regensburger Kulturwissenschaftler Helmut Groschwitz hat nachgewiesen, dass sie zentrale Aussagen von den thunschen Aussaattagen abgekupfert hat und dies als «altes tirolerisches Bauernwissen» verkauft.
Paunggers Werke über die «Anwendung des Mondkalenders im täglichen Leben» wurden in 25 Sprachen übersetzt und über 14 Millionen Mal verkauft. Laut Paunggers Partner Thomas Poppe macht das Paar mit seinem alt-neuen Wissen 500'000 bis 600'000 Euro Umsatz jährlich. Trotzdem behauptete Paungger in einem Interview: «Aber wir machen noch keinen Gewinn. Da müssen wir immer noch zuschiessen.» Das ist unwahrscheinlich. Auch die Erben von Maria Thun müssen wohl nicht am Hungertuch nagen.
Die sogenannte Konstellationsforschung ist ein Millionengeschäft geworden. Und sie hat unerbittliche Anhänger: Wer es wagt, einen einmal etablierten Mondkalender aus einer Gartenzeitschrift zu kippen, erntet Kündigungsdrohungen von Abonnenten. Nach welchem Mondrhythmus die Berechnungen durchgeführt wurden, ist dabei egal. Hauptsache, es werden Sternzeichen und die ihnen zugeordneten Gemüse mit möglichst genauer Zeitangabe dargestellt.
Genau darin liegt das Problem. Millionen von Gärtnerinnen und Gärtnern stellen beim Blick auf ihren Mondkalender fest, dass am jeweiligen Tag nur noch bis 23.30 Uhr und dann erst wieder in 14 Tagen Pflanzzeit für dieses oder jenes Gemüse ist. Also wird das Saatgut möglichst sofort in den Boden gedrückt. Egal, ob das Wetter schlecht und der Boden noch kalt ist. Dank Mondkalender wächst das Gemüse dann schlechter statt besser.
Autor: Eveline Dudda
Bild: Thinkstock Kollektion
Infografik: Anne Seeger (Quellen: M. Thun: «Aussaattage Maria Thun 2015», J. Paungger und T. Poppe: «Das Mondjahr 2015», http://de.rhythmofnature.net, Institut für Biologisch-Dynamische Forschung/H. Spiess, Universität Regensburg/H. Groschwitz)
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