Bloss nicht gepützelt
Naturgärten sind eine lohnende Alternative zu Standardrasen und 08/15-Sträuchern. Damit es klappt, muss ein solcher Garten detailliert geplant und richtig gepflegt werden.
Veröffentlicht am 28. Februar 2012 - 15:17 Uhr
Für die 100 Kinder der Tagesstätte Chinderhus Maihof in Luzern ist der 1100 Quadratmeter grosse Garten vor dem Gebäude eine Erlebniswelt: Hier können sie sich in Gebüschen und Hecken verstecken, durch einen Tunnel aus Weiden laufen, beim Sitzen auf grossen Steinblöcken mit etwas Glück eine Eidechse entdecken oder den Schmetterlingen bei der Landung auf den zahlreichen Blüten zusehen.
Möglich ist dies, weil der Grünraum des «Maihofs» als Naturgarten gestaltet wurde. Obwohl keine Definition für diese Art Garten existiert, ist klar: «Im Grundsatz geht es darum, naturnahe Lebensräume zu schaffen, in denen sich Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermassen wohl fühlen.» Das sagt André Stähli von der Gartenbaufirma «Stähli für draussen» in Zürich – ein Spezialist für Naturgärten.
Die Gärtner orientieren sich an natürlichen Landschaften: Teiche und Wasserläufe mit feuchten Uferpartien gehören ebenso dazu wie Hecken und Büsche mit einheimischen Gehölzen. Auf trockenen Kiesflächen fühlen sich Ruderalpflanzen wohl, locker geschichtete Steine mit Hohlräumen sind ein Refugium für Kleintiere. Auf diese Weise entstehen spannende Landschaften, in denen sich Lebensformen ansiedeln können, die es in den sonst üblichen, aufgeräumten Hausgärten schwerhaben (siehe auch «Refugium für bedrohte Arten»).
Die Schweiz zählt weltweit zu den führenden Ländern im Bereich der naturnahen Gärten. Viele Gartenbaufirmen haben sich darauf spezialisiert, und wer die passenden einheimischen Pflanzen sucht, wird in zahlreichen Baumschulen und Wildstaudengärtnereien fündig. Pionier der hiesigen Naturgartenbewegung war der Solothurner Biologe Urs Schwarz mit seinem 1971 erstmals veröffentlichten Buch «Der Naturgarten», das sich seither gut 100'000-mal verkaufte. Schwarz warb dafür, der Natur im Garten möglichst freien Lauf zu lassen. Eine simple Idee, die aber ihre Tücken hat: «Würde man einfach alles wachsen lassen, hätte man im eigenen Garten in wenigen Jahren einen Wald», sagt Naturgartenspezialist Stähli. Trotzdem verhalfen Urs Schwarz' Ideen der Naturgartenbewegung hierzulande zum Durchbruch.
Doch die heutigen Naturgärten sind nicht einfach ein Wildwuchs, sondern sorgfältig geplant, so dass die verschiedenen Bereiche und die Pflanzen optimal auf den Ort und aufeinander abgestimmt sind. Damit es wirklich funktioniert, braucht es zudem eine Pflege, die aufwendiger ist als sonst und einiges an Fachwissen erfordert: Beikräuter – manche nennen sie Unkraut – beispielsweise sollten von Hand gejätet, allzu schnell wachsende Pflanzen müssen im Zaum gehalten werden. Dabei ist es wichtig, auch die unerwünschten Pflanzen zu kennen. «Vor allem in den ersten Jahren ist einiges an Arbeit nötig, bis sich ein natürliches Gleichgewicht einstellt», sagt Gärtner André Stähli. Wer sich mit Pflanzen wenig auskennt, wird in dieser Zeit Hilfe durch einen spezialisierten Gärtner benötigen. Ein Aufwand, der bei der Budgetplanung mit einzubeziehen ist.
Ansonsten liegen Naturgärten kostenmässig im Bereich der Standardgärten, wenn sie im Rahmen eines Hausbaus frisch angelegt werden. Soll ein normaler Garten hingegen nachträglich zu einem naturnahen umgestaltet werden, sind die Kosten schwierig zu beziffern, denn sie hängen stark von der Situation und von den Wünschen der Gartenbesitzer ab. Grundsätzlich lohnt es sich aber: «Ein Naturgarten ist eine lebendige Sache», sagt Fachmann André Stähli, «und erlaubt es, die Natur zu beobachten.» In der Tat: Ein naturnah angelegter Garten verändert sich nicht nur im Wechsel der Jahreszeiten stark, sondern auch im Verlauf der Zeit. Denn nach und nach siedeln sich neue Pflanzen an, und man entdeckt neue Tiere. Somit wechselt das Bild des Gartens laufend.
Trotz der naturnahen Gestaltung müssen sich Gartenbesitzer bei den eigenen Wünschen nicht einschränken: Fast alle Nutzungen finden ihren Platz, und die meisten Ideen lassen sich umsetzen. Eine Feuerstelle kann man ebenso anlegen wie eine Spielfläche oder eine ruhige Ecke, um sich zurückzuziehen. Ein Veloabstellplatz auf einer gekiesten Fläche schafft Lebensraum für Kleinlebewesen. Und beim Bau einer Stützmauer ist die mörtelfreie Trockenmauer die ideale Alternative zum fugenlosen Beton, denn sie schafft viel Raum für wärmeliebende Pflanzen, Insekten und Eidechsen.
Manchmal wird es nötig sein, den einen oder andern ordnungsliebenden Nachbarn über die Hintergründe zu informieren. Denn im Gegensatz zu den fast sterilen Gartenanlagen üblichen Zuschnitts wirkt ein Naturgarten eher unaufgeräumt, was im Quartier für Kopfschütteln sorgen kann. Doch dahinter steckt System: So sind beispielsweise Ast- und Laubhaufen, die im Herbst an verschiedenen Orten im Garten liegen bleiben, nicht einfach ein Versäumnis des Gärtners, sondern extra angelegte Lebensräume für Igel. «Da braucht es manchmal ein bisschen Aufklärungsarbeit», sagt der Naturgärtner André Stähli.
Die Kinder aus der Tagesstätte Maihof in Luzern hingegen werden eine solche Aufklärung nicht mehr brauchen: Für sie ist ein naturnah angelegter Garten nicht nur eine Fundgrube an Spielmöglichkeiten, sondern einfach das Natürlichste der Welt.
1. Bevorzugen Sie beim Säen und Pflanzen einheimische Pflanzenarten.
2. Gestalten Sie den Garten vielseitig mit unterschiedlichen Flächen, Nischen und Strukturen.
3. Schaffen Sie Lebensräume für Tiere und Pflanzen.
4. Legen Sie wasserdurchlässige Wege und Plätze an.
5. Greifen Sie wenig ein, lassen Sie Veränderungen durch natürliche Abläufe zu.
6. Verwenden Sie für die Gartenpflege konsequent natürliche Materialien.
7. Vermeiden Sie Plastikfolien und chemisch imprägniertes Holz.
8. Lassen Sie die Finger von Kunstdünger oder synthetischen Pflanzenschutzmitteln.
9. Kompostieren Sie Grünzeug und entfernen Sie möglichst kein organisches Material aus dem Garten.
10. Verwenden Sie keine Maschinen, die Tiere und Pflanzen schädigen. Fadenmäher für Rasenkanten zum Beispiel können Eidechsen oder Frösche töten, die sich unter Hecken verstecken.
www.bioterra.ch: der Fachverband für Bioanbau mit Adressen von Gärtnereien, die Pflanzen für den naturnahen Gartenbau anbieten, und spezialisierten Gartenbaufirmen
Buchtipps
- Simone Kern: «Der neue Naturgarten. Von Chinaschilf bis Sonnenhut»; Kosmos, 2011, 144 Seiten, Fr. 31.90
- Martyn Cox: «Löwenzahn und Schmetterling. Ein Naturgartenbuch für Kinder»; Dorling Kindersley, 2010, 80 Seiten, Fr. 16.90
- Reinhard Lindenhahn: «So entsteht ein Naturgarten»; Ulmer, 1994, 72 Seiten, Fr. 10.90