Unsere heimlichen Haustiere
Viele winzige Tiere leben unbemerkt in unseren Wohnungen. Bei genauer Betrachtung offenbaren sie faszinierende Verhaltensweisen.
Veröffentlicht am 2. April 2012 - 09:40 Uhr
Kleidermotte (Tineola bisselliella) • Insekt, Ordnung Schmetterlinge • 9 mm • befällt Textilien und Pelze
«Wie die Motte zum Licht», sagt man. Für die Kleidermotte gilt das nicht: Sie liebt dunkle Schränke. Hier wachsen die Raupen auf, die sich an Stoffen und Pelzen gütlich tun. Als Zusatznahrung dienen Speisereste an Kleidern. Nur Kunstfasern munden nicht.
Bei sehr guter Ernährung verpuppt sich die Raupe nach einem Monat, bei schlechtem Angebot dauert es bis zu zwei Jahre. Die geschlüpften Falter leben dann noch einen Monat, ohne zu essen. Denn die Mundwerkzeuge fehlen ihnen. Nach der Begattung legen die Weibchen etwa 100 Eier in den Kleiderschrank. Es sei denn, dort liegen Mottenkugeln.
Kopflaus (Pediculus humanus capitis) • Insekt, Ordnung Tierläuse • 3–4 mm • saugt Blut
Vor 250 Jahren galten stark verlauste Herren als besonders potent, weil die kleinen Krabbler angeblich die «schlechten Säfte» absaugten. Heute sind die Kopfläuse seltener – dennoch kommen sie in Kindergärten und Schulen immer wieder vor. Wenigstens übertragen die Blutsauger keine Krankheiten. Auch Blutarmut droht nicht, wie diese Rechnung zeigt: Der höchste Einzelbefall in jüngerer Zeit lag bei 2657 Läusen. Diese tranken täglich 0,7 Milliliter Blut – eine belanglose Menge.
Zwei weitere Läuse haben sich auf den Menschen spezialisiert: die Kleiderlaus und die Filzlaus, die gerne in intimen Körpergegenden nistet.
Bettwanze (Cimex lectularius) • Insekt; Unterordnung Wanzen, Familie Plattwanzen • 5 mm (vollgesogen: 9 mm) • saugt Blut
Wer sein Bett mit Wanzen teilt, wird es irgendwann bemerken. Denn die Tierchen beissen den Schlafenden und saugen Blut, was Hautentzündungen und intensiven Juckreiz auslösen kann. Zudem sondern sie ein süsslich stinkendes Sekret ab, dessen Geruch man schwerlich ignorieren kann.
Bettwanzen verstecken sich hinter Möbeln, Bildern oder Fussleisten, immer in der Nähe des Betts. Die Überlebenskünstler können monatelang hungern, um dann ihr Gewicht in einer einzigen Blutmahlzeit zu versiebenfachen.
Aussergewöhnlich läuft die Paarung ab. Experten bezeichnen sie als «traumatische Insemination». Das Männchen nähert sich dabei dem Weibchen von hinten rechts. Ist es nah genug, sticht es ihm mit einem nadelförmigen Begattungsorgan in den Bauch. Meistens trifft es dabei genau auf ein kleines Organ unter der Haut, das den Samen aufnehmen kann. Die Spermien gelangen anschliessend über die Hämolymphe, das «Blut» der Insekten, zu den Eierstöcken.
Allerdings ist das Männchen nur an jungfräulichen Weibchen interessiert. Dank Rezeptoren auf dem Begattungsorgan erkennt es, ob sich im weiblichen Organ schon Samen eines anderen Männchens befinden. Ist dies der Fall, behält es seine Spermien zurück.
Bettwanzen kamen ab dem 17. Jahrhundert sehr häufig vor, da die zunehmend beheizten Wohnungen ihnen gute Bedingungen boten. Heute müssten sie eigentlich auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen. Bislang hat sich allerdings kein Biologe gefunden, der sich dafür starkgemacht hätte.
Hausstaubmilbe (Dermatophagoides pteronyssinus) • Spinnentier, Unterklasse Milben • 0,1 mm (von blossem Auge nicht zu erkennen) • harmlos, ausser für Allergiker
Ein Bett ohne Milben? Pardon: Gibt es nicht. Laut Schätzungen tummeln sich in einem einzigen Kissen bis zu 400'000 der winzigen Spinnentiere. Ist es frisch gewaschen, sind es noch immer einige zehntausend. Ein Glück, sind die Achtbeiner harmlos, ausser für Menschen, die auf den Milbenkot allergisch reagieren.
Milben leben in Kissen und Decken, weil sie feuchtwarmes Klima lieben. Und weil sie hier ihre Nahrung finden: alte Hautschuppen von Menschen. Die Krabbler stecken aber auch im Schmutz unter dem Bett. Ein Teelöffel voll Staub enthält durchschnittlich fast 1000 Milben und eine Viertelmillion Kotkügelchen.
Im Frühling und Sommer legt ein Weibchen insgesamt bis zu 80 Eier. Zehn Tage später ist die nächste Generation an der Reihe, eine Massenvermehrung. Im Oktober ist Schluss: Viele Milben sterben, einige warten in einer Art Winterschlaf auf den Frühling.
Bücherskorpion (Chelifer cancroides) • Spinnentier, Ordnung Pseudoskorpione • 4–5 mm • harmlos
Bevorzugt in altem Papier leben kleine Wesen, die wie Krebse aussehen. Es sind Bücherskorpione, harmlose Nützlinge, die sich unter anderem von Milben ernähren. Ihre acht Beine, mit denen sie sowohl vorwärts als auch rückwärts gehen können, verraten, dass sie zu den Spinnentieren gehören.
Von einem kleinen Wohngespinst aus jagen sie. Die Beute wird mit den Scheren gepackt und mit Gift getötet. Die Paarung dieser Pseudoskorpione ist faszinierend: Auf einen Balztanz des Männchens folgt ein Paartanz, bei dem beide synchron auf und ab schreiten. Darauf setzt das Männchen ein Samenpaket auf dem Boden oder in alten Akten ab, ergreift das Weibchen mit seinen Zangen und schleift es über den Samen.
Später trägt das Weibchen die Eier in einem Brutbeutel an der Genitalöffnung mit sich herum. Ein echter Spezialfall in der Liliput-Menagerie unserer heimlichen Haustiere.
Silberfischchen (Lepisma saccharina) • Insekt, Ordnung Fischchen • zirka 1 cm (ohne Anhänge) • harmlos
Den Silberfischchen sollte man einen gewissen Respekt zollen. Denn diese geschuppten Insekten gab es wohl schon, als die ersten Wirbeltiere an Land gingen. Mindestens 300 Millionen Jahre alt sind sie – daher könnte man sie auch als lebende Fossilien bezeichnen.
Besonders gerne ernähren sich die flinken Fischchen von Papier, Teigwaren, Fotos oder Kleidern. Bevor der Mensch all diese Dinge erfand, begnügten sich die Urinsekten mit Haaren, Hautschuppen oder Milben.
Silberfischchen sind lichtscheu und nachtaktiv. Sie können rund fünf Jahre alt werden. Ein Weibchen legt zeitlebens nur etwa zwölf Eier ab. Spannend ist wiederum das Sexualverhalten: Ähnlich wie bei den Bücherskorpionen legt das Männchen ein Samenpaket auf den Boden. Dann bedeckt es das wertvolle Gut mit einem kleinen Dach aus Seide und vollführt vor dem Weibchen einen Balztanz. Das weibliche Fischchen schlüpft unter das Gespinst und nimmt den Samen auf.
Ein Detail am Rande: Der Hauptfeind des Silberfischchens ist der Gemeine Ohrwurm.
Menschenfloh (Pulex irritans) • Insekt, Unterklasse Fluginsekten, Ordnung Flöhe • 2–4 mm • saugt Blut
Menschenflöhe haben ein existentielles Problem. Irgendwie müssen sie einen Wirt finden, um Blut saugen zu können. Denn die Larven schlüpfen nicht im Menschenhaar, sondern dort, wo das Ei hinfällt, etwa im Teppich oder draussen im Garten. Sind die wurmähnlichen Larven ausgewachsen, verpuppen sie sich in einem Kokon zum adulten Floh. In diesem Stadium kann das Insekt bis zu einem Jahr lang ausharren. Kommt endlich ein potentieller Wirt in die Nähe, spürt der Floh die feinsten Bodenerschütterungen. Innert Sekunden schlüpft er aus dem Kokon und hüpft los. Menschenflöhe können rund 30 Zentimeter hoch und 50 Zentimeter weit springen.
Früher gehörten Flöhe zum Alltag. Die vornehmen Damen trugen oft ein mit Honigwasser gefülltes Elfenbeinrohr an der Brust, um die Tierchen zu fangen. Und auch die Pelzkragen der Reichen waren nicht nur zur Zier, sondern vor allem als Flohfänger gedacht. Heute kommen Katzen- und Hundeflöhe viel häufiger vor als Menschenflöhe.
Staubwanze (Reduvius personatus) • Insekt, Unterordnung Wanzen, Familie Raubwanzen • 15–19 mm • kann schmerzhaft stechen
Staubwanzen, wenig schmeichelhaft auch Kotwanzen genannt, machen nachts Jagd auf andere heimliche Untermieter. Am ehesten findet man sie auf staubigen Dachböden. In den bewohnten Teilen des Hauses hingegen fehlt den Tieren normalerweise die Lebensgrundlage.
Die Larven der Staubwanze nannte man früher «Maskierter Strolch». Die Tierchen sind überzogen mit einer klebrigen Schicht, an der Staub und Schmutz hängenbleibt. Dadurch nehmen sie das Aussehen eines (wandelnden) Kotklümpchens an, womit sie bestens getarnt sind.
Speispinne (Scytodes thoracica) • Spinnentier, Ordnung Webspinnen • 4–6 mm (ohne Beine) • harmlos, ausser für Beutetiere
Sherlock Holmes hätte an diesem Mord seine besondere Freude gehabt. Es passiert nachts, das Opfer hat keine Chance. Der Täter lauert in Bilderrahmen, hinter Möbeln oder unter dem Bett. Sein Signalement: acht Beine, sechs Augen, Giftklauen, Leimdrüsen – eine Speispinne. Sie hat keine Eile, wartet tage- und nächtelang in ihrem Versteck. Läuft ein Beutetier vorbei, geht es Schlag auf Schlag. Die Spinne spuckt Sekundenleim. Dabei bewegt sie ihren Kopf im Zickzack hin und her, womit innerhalb von Millisekunden ein klebriges Leimnetz über der Beute entsteht. Sie ist fixiert. Die Beute wird gepackt, gebissen, in Seide eingewickelt – und ausgesogen.