Welches Glas soll es sein?
Fenster sollen vor Hitze und Kälte schützen, Lärm und Einbrecher abhalten. Eine ausgeklügelte Produktion sorgt dafür, dass Glasscheiben all diese Anforderungen erfüllen.
Veröffentlicht am 19. September 2018 - 17:25 Uhr,
aktualisiert am 19. September 2018 - 17:08 Uhr
Ohrenbetäubendes Rattern, Zischen oder Quietschen? Fehlanzeige! In den Werken des Schweizer Isolierglasproduzenten Glas Trösch geht es ruhig zu und her. Das Rohglas wird nicht hierzulande hergestellt, sondern im Ausland. Dort werden Quarzsand, Soda, Dolomit und rezyklierte Scherben gemischt und zu Glas geschmolzen. Damit es eine glatte Oberfläche erhält, fliesst es anschliessend über ein Zinnbad und kühlt dann ab. Erst die Veredelung findet in der Schweiz statt.
Vieles ist computergesteuert: Die rund 19 Quadratmeter grossen Glasscheiben werden unter Vakuum beschichtet, später zugeschnitten und automatisiert übereinandergelegt. Für ein übliches Fenster braucht es heute meist drei Glasscheiben, die man in einem gewissen Abstand zueinander montiert. Zusammengehalten werden sie durch einen sogenannten Randverbund. In die Zwischenräume kommt Edelgas. Im Fachjargon werden solche Scheiben Dreifach-Isolierglas genannt. Zwei der drei Gläser sind in der Regel mit einer unsichtbaren Wärmebeschichtung versehen. «Diese Beschichtung sorgt dafür, dass ein Teil der Sonnenenergie ins Gebäudeinnere gelangt, die Wärme aus den Räumen aber nicht entweichen kann», sagt Bruno Gygax, Kommunikationsleiter von Glas Trösch. «Gläser mit drei Scheiben sind in der Schweiz inzwischen Standard.» Damit erreiche man einen sehr guten Wärmedämmwert (Ug-Wert) von 0,6 W/m²K.
Eine gute Wärmedämmung ist aber nur eine Eigenschaft von Fenstergläsern. Darüber hinaus gibt es eine grosse Zahl von technischen Optionen, möglich gemacht durch die Kombination von verschiedenen Gläsern oder speziellen Oberflächenbeschichtungen. Zum Beispiel lässt sich der Sonnenschutz direkt integrieren. Mit beschichtetem oder zusätzlich eingefärbtem Sonnenschutzglas kommt zwar viel Licht, aber wenig Wärme ins Gebäude. «Bei grossen Bürogebäuden können die so eingesparten Kühlkosten im Sommer schon einschenken», sagt Markus Läubli, Leiter des Schweizerischen Instituts für Glas am Bau (Sigab).
Allerdings schmälert diese Lösung die Nutzung von Solarenergie im Winter, was ein wesentlicher Bestandteil von energieeffizienten Gebäuden ist. «Hier sind deshalb aussen angebrachte Storen besser», sagt Fachmann Läubli. Eine Alternative bieten Glasbeschichtungen, bei denen die Tönung der Scheiben elektrisch gesteuert werden kann. Auf Knopfdruck oder mit einem Sensor als Auslöser schützt man sich so vor Sonne oder Einblicken. Diese Technologie gibt es schon länger, sie ist aber erst jetzt stark im Kommen.
Eine weitere Erfindung ist das selbstreinigende Glas. Auf der aussen angebrachten Beschichtung zersetzt die Sonne den Dreck, der Regen übernimmt die anschliessende Reinigung. «Aufgrund der Kosten lohnt sich das bei Einfamilienhäusern meist nur bei Wintergärten», schränkt Läubli ein. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Vogelschutz. Damit Glasscheiben für Vögel sichtbar sind, werden mit Lasertechnik oder via Siebdruck Muster aufs Glas aufgebracht. Doch da auch Menschen die Verzierungen wahrnehmen, wenn auch meist nur minim, kommt solcherart präpariertes Glas im Privatbereich kaum zum Einsatz.
Ein wichtiges Thema bei Wohngebäuden ist hingegen der Schallschutz. Dickeres Glas allein hilft hier wenig. Es braucht einen asymmetrischen Aufbau, also mehrere, unterschiedlich dicke Glasscheiben. Dickere Scheiben schirmen tiefe Frequenzen ab, dünne die hohen. Damit sich die Schwingungen nicht von Glas zu Glas übertragen, muss der Raum zwischen den Gläsern gross genug sein. Mit einem solchen Schallschutzaufbau können zusätzlich bis zu acht Dezibel zurückgehalten werden. Zum Vergleich: Zehn Dezibel weniger Lärm nimmt der Mensch als Halbierung des Krachs wahr. Wem dies nicht reicht, der setzt auf Gläser mit Schallschutzfolie – solche Modelle halten bis zu 97 Prozent des Lärms ab.
Eine Schallschutzfolie kann als Teil eines Verbundsicherheitsglases eingesetzt werden, wie man es etwa von Banken oder Juweliergeschäften kennt und das aus mehreren Glasscheiben besteht, die mit Folien miteinander verbunden sind. Einbrecher, die versuchen, eine solche Scheibe einzuschlagen, scheitern an der zähen Folie zwischen den Gläsern. Ein Verbundsicherheitsglas schützt aber nicht nur vor Einbrüchen, sondern ist auch ein guter Absturzschutz bei raumhohen Fenstern in den oberen Stockwerken. Unfälle vermeiden hilft auch das Einscheibensicherheitsglas. Weil es während der Produktion auf über 600 Grad Celsius erhitzt und dann schnell abgekühlt wird, steht es leicht unter Spannung und ist dadurch resistenter gegen Schläge. Wenn doch einmal etwas passiert, zerfällt die Scheibe in kleine, stumpfe Krümel.
«Beide Arten von Sicherheitsglas können Teil der Dreifachverglasung eines Fensters sein», sagt Markus Läubli vom Sigab. Ein Einsatzgebiet sind beispielsweise Fenster, deren Abstand zum Boden weniger als einen Meter beträgt. Das ist etwa bei Glastüren der Fall. Hier besteht ein Verletzungsrisiko, wenn man in diese hineinläuft oder hineinstürzt. Eine Anfang 2018 neu herausgegebene Sigab-Richtlinie fordert deshalb für solche Fenster den Einsatz von Sicherheitsglas. Diese Empfehlung hat die Beratungsstelle für Unfallverhütung schon vor langem abgegeben. Laut Läubli sind aber noch nicht alle Architekten und Fensterlieferanten mit ihr vertraut. Er empfiehlt Bauherren daher, im Zweifelsfall nachzufragen, welche Gläser zum Einsatz kommen.
Auch Optionen wie Lärmschutz oder Sonnenschutz sollte man frühzeitig planen und aus den Möglichkeiten, die sich bieten, das passende Paket zusammenstellen. Möglich sind fast jede Glaskombination und viele Beschichtungen – doch braucht die Erfüllung von speziellen Wünschen genügend Zeit.
Von der Butzenscheibe zum Floatglas
6000 Jahre lang dachten die Menschen in Mitteleuropa nicht darüber nach, Fenster einzubauen. Eine Tür und ein Rauchabzug genügten ihnen. Häuser sollten dicht und sicher sein.
Nur die Römer sahen das anders. Sie brachten ihre Fenster mit nach Gallien und Germanien. Die Scheiben wurden auf Blech gegossen oder geblasen, das mit Sand bestreut war. In den Thermen gab es sogar Doppelglasfenster; sie verhinderten, dass die Scheiben beschlugen. Als das Römische Reich unterging, vergass man in Mitteleuropa auch das Fensterglas wieder.
Die ersten Glaser im 9. Jahrhundert arbeiteten einzig für Kirchen, im 12. Jahrhundert auch für die Besitzer von Burgen und Schlössern. Vor allem zwei Verfahren wurden genutzt: Für die Herstellung von Butzenscheiben schleuderten Glasbläser aus einer Glaskugel flache, runde Scheiben. Daneben wandte man das Zylinderstreckverfahren an, bei dem Glas zu einem Zylinder geblasen, längs aufgeschnitten, im Streckofen erhitzt und platt gebogen wurde.
Mit neuen Ziehverfahren konnte man Anfang des 20. Jahrhunderts dünnes Flachglas in grosser Menge herstellen; das Glas wurde mit Rollen direkt aus der Schmelze abgezogen. 1962 erfand man das industriell gefertigte Floatglas, das als Film auf einem Zinnbad schwimmt. Bis heute werden fast alle hochwertigen Gläser so hergestellt.