Lifestyle bodigt Lightprodukte
Diätprodukte verkaufen sich immer schlechter. Der Grund: Schlank sein reicht nicht mehr.
Veröffentlicht am 30. August 2016 - 08:45 Uhr
Mehr als 40 Prozent der Schweizer sind übergewichtig. Abnehmen wäre angesagt. Doch Lightprodukte, die seit den Siebzigern mühelosen Gewichtsverlust versprechen, laufen heute ähnlich schlecht wie so manches Abspeckvorhaben.
So hat Coop unlängst die Zusammenarbeit mit der Urmutter der Diätwirtschaft aufgekündigt, dem US-Konzern Weight Watchers. Die Produktelinie verschwindet aus dem Sortiment. Migros dünnt ihre eigene Diätlinie «Léger» aus. Und der Verkauf rezeptpflichtiger Diätmedikamente brach innert zehn Jahren von rund 110'000 auf 22'000 Packungen ein.
Der Einbruch der Diätindustrie zeichnete sich schon länger ab. Noch 2006 verkündete der damalige Nestlé-Chef Peter Brabeck, man wolle sich statt auf Schokolade und Beutelsuppen vermehrt auf Diätprodukte und Functional Food konzentrieren. Doch 2013 folgte die Abkehr vom Geschäft mit den Dicken. Nestlé verkaufte ihre unrentable Sparte Jenny Craig, die wie Weight Watchers Diätcoaching und entsprechende Lebensmittel vermarktet. Der Schweizer Lebensmittelgigant stiess die Tochter, für die er rund 740 Millionen Franken bezahlt hatte, zum Einstandspreis ab. Auch Weight Watchers tut sich seit geraumer Zeit schwer. 2015 lag der Gewinn vor Steuern über 66 Prozent unter dem Vorjahresergebnis, der Aktienkurs ist seit 2012 im Sinkflug.
«Wir definieren uns heute stark über Ernährung, sie ist ein gemeinsamer sozialer Nenner.»
Christine Schäfer, Forscherin am GDI
Den Einbruch hielten viele vorerst für eine Auswirkung der zunehmenden Konkurrenz. Doch er hat tiefer liegende Gründe: Light ist schlicht und einfach out. Nicht nur, weil der Nutzen von Lightprodukten mittlerweile mehr als umstritten ist. In ihrer Jahresbilanz 2015 bringt Weight Watchers die Misere auf den Punkt: «Konsumenten interessieren sich immer mehr für Lifestyle und Fitness statt fürs Abnehmen per Diät.»
So sieht es auch Christine Schäfer vom Gottlieb-Duttweiler-Institut. «Das Wort Diät ist negativ befrachtet. Es steht für Verzicht, und Verzicht ist nicht sexy. Zudem streben die Menschen heute eine Selbstoptimierung an, die weit über das reine Schlanksein hinausgeht», sagt sie. «Strong is the new skinny», sei die neue Devise.
Doch das sei noch nicht alles, so Schäfer: «Wir definieren uns mittlerweile stark über die Ernährung, sie ist ein gemeinsamer sozialer Nenner und umfasst neben gesundheitlichen immer mehr auch moralische Werte wie die ökologische Verträglichkeit der konsumierten Produkte.»
Zuckerfrei, fettreduziert und kalorienarm essen – und trotzdem zunehmen
Seit Jahrzehnten redet die Lebensmittelindustrie Übergewichtigen ein, dass Lightprodukte das Abspecken erleichtern. Das erscheint plausibel. Tatsächlich jedoch animieren fett- und zuckerreduzierte Lebensmittel zu einer ernährungstechnischen Risikokompensation. Da das, was ich zu mir nehme, weniger Kalorien* hat, darf ich mehr davon essen. Lightprodukte sättigen laut Studien nicht nur weniger gut, sie begünstigen auch Heisshunger, da sich der Körper auf Zucker freut, den er aber nicht bekommt. Und so nimmt man mehr Kalorien zu sich.
Oft sind Lightprodukte auch nicht kalorienarm. So hat etwa die Lightmayonnaise von Thomy zwar 60 Prozent weniger Fett als das normale Produkt, aber immer noch 325 Kalorien pro 100 Gramm. Das ist fast so viel wie beim fettigen Saucisson vaudois, den sich wohl keiner zum Abspecken einverleiben würde. Selbst die Extra-light- Variante, die 90 Prozent weniger Fett enthält, ist mit 110 Kalorien pro 100 Gramm nicht wirklich kalorienarm. Dafür dürfte sie laut Lebensmittelverordnung höchstens 50 Kalorien haben. Noch trügerischer sind Lebensmittel von Weight Watchers. Sie sind massiv teurer, haben aber oft nur geringfügig weniger Kalorien als die entsprechenden Normalprodukte. Einige weisen sogar mehr auf, wie ein Vergleich des Beobachters gezeigt hat.
Offizielle Stellen taxieren die umstrittenen künstlichen Süssstoffe bislang als unbedenklich. Der Verdacht, dass Aspartam krebserregend ist, ist nicht erhärtet. Eine israelische Studie ergab 2014 jedoch Erstaunliches: Mäuse, die künstlich gesüsstes Wasser tranken, legten an Gewicht zu und wiesen einen höheren Blutzuckerspiegel auf als die Tiere, die konventionell gesüsstes Wasser zu sich nahmen. In einem weiteren Versuch mit sieben menschlichen Probanden, die normalerweise keine Süssstoffe konsumieren, zeigten vier Personen bereits nach einer Woche dieselben Reaktionen.
* Der Einfachheit halber ist im Text von Kalorien die Rede. Korrekt handelt es sich um Kilokalorien.