Sie haben einen russischen Pass und studieren Chemie, angewandte Physik oder Elektrotechnik: Jakub, 23, Irina, 22, und Danyil, 25. Ihre Nachnamen sollen aufgrund drohender Verfolgung durch Russland anonym bleiben.

Die drei wollen Vordenker, Tüftlerinnen und Leistungsträger werden – ausgebildet an einer der besten technischen Hochschulen der Welt: der ETH Zürich.

Angst vor Wissenstransfer ans russische Militär

Nur: Die ETH hat seit der Eskalation des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine 2022 die Zulassungsbedingungen für russische Bewerber verschärft. Und deshalb die Bewerbungen der drei Studierenden abgelehnt – wie bei vielen anderen ihrer Landsleute.

Zwar erfüllten sie die formalen Voraussetzungen, steht in den Briefen der ETH an die Studierenden, die dem Beobachter vorliegen. Jedoch bestehe die Gefahr, dass an der ETH erworbenes Wissen durch die Studierenden nach Russland gelange und potenziell militärisch verwendet werden könne.

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«Zu Hause muss ich in den Knast. Oder ins Militär.»

Jakub, Chemiestudent

Jakub schüttelt den Kopf. «Meine Kritik am Putin-Regime ist der Grund, warum ich im Ausland bin. Zu Hause muss ich in den Knast. Oder ins Militär.»

In Jakubs Augen schlägt die ETH den regimekritischen Auslandrussen die Tür vor der Nase zu – und zwar allen. «Alle Absagen klingen gleich. Einzelfälle werden gar nicht überprüft.»

«Wir büssen für ein Regime mit, dessen Kurs wir nicht gutheissen.»

Irina, Physikstudentin

Irina empfindet die Ablehnung der russischen Bewerberinnen als «fundamentalen Bruch mit der Wissenschaftsfreiheit». Es würden die Falschen bestraft. «Wir werden in Mitgefangenschaft genommen für die Verbrechen eines Regimes, dessen Kurs wir nicht gutheissen.»

Der «Boykott», wie sie es formuliert, führe unter Umständen dazu, dass Putin-kritische Junge zurück in die Arme des Regimes getrieben werden.

Danyils negativer Entscheid wurde – wie andere Absagen auch – damit begründet, dass seine frühere Ausbildungsstätte, das Moskauer Institut für Physik und Technologie (MIPT), auf einer Sanktionsliste russischer Institutionen stehe.

Eine Rückführung von sensiblen Informationen sei darum möglich. Danyil versteht das nicht. «Alle Lerninhalte auf Masterstufe sind ohnehin Open Source. Welche Geheimnisse könnte ich da aufschnappen?»

ETH: Auslese mittels App

Die ETH bestätigt auf Anfrage des Beobachters, dass russische Bewerberinnen und Bewerber wegen sogenannter Exportkontrollregeln und Sanktionsmassnahmen des Bundes einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Nicht die ETH mache die Regeln, sagt die Sprecherin Vanessa Bleich. Sondern der Bund hat die Sanktionen der EU gegen Russland übernommen.

Gegen den Vorwurf einer «Kollektivstrafe» wehrt sie sich. Jede Bewerbung werde einzeln geprüft. Dabei orientiert sich die ETH gemäss Bleich am «akademischen Werdegang, dem konkreten Fachgebiet und dem Lebensmittelpunkt» der Bewerbenden.

Der Aufnahmeprozess sei aufwendig. «Allein für die Master-Studiengänge im Herbst 2024 erreichten die ETH 50 Bewerbungen «mit Bezug zu Russland», schreibt die Hochschule.

Die ETH nutzt deshalb ein internes Sanktionslisten-Suchprogramm, das sie bereits im Mai 2022 entwickelt hatte. Mit diesem lässt sich der Lebenslauf eines Bewerbers nach Berührungspunkten mit sanktionierten Institutionen oder Personen durchsuchen.

Im Exil – und Stress im Alltag

Jakub, Irina und Danyil sagen, ihr Alltag sei seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine geprägt von Hürden. Bei Banken können sie keine Konten eröffnen. Einen Nebenjob zu finden, sei schwer, ebenso eine Wohnung.

Irina, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, beschreibt ihre Lebenslage mit einer Metapher: «Russland ist ein brennendes Haus. Da reinzugehen, ist keine Option. Aber draussen stürmt es heftig. Und keiner der Nachbarn öffnet die Tür.»

Unis interpretieren Sanktionen unterschiedlich

Ausnahmen gibt es: Danyil, einer aus der Gruppe, hat in der Zwischenzeit einen Studienplatz an einer anderen Schweizer Universität, der EPFL in Lausanne. Deren Sprecher Emmanuel Barraud sagt auf Anfrage: «Wir bestätigen, dass wir einige russische Kandidaten nach einer strengen Auswahl aufgrund ihrer Fähigkeiten an der EPFL aufgenommen haben.»

Offenbar ist die Auslegung der Sanktionen unterschiedlich, denn auch Barraud sagt: «Unsere Hochschule stützt sich auf die vom Bundesrat erstellte Sanktionsliste.»