Vor kurzem hat die Stiftung für hochbegabte Kinder vier Schulen aus den Kantonen Aargau, Zürich und Luzern für ihre Projekte im Bereich der «Exzellenzförderung» ausgezeichnet. Die Stiftung verleiht den sogenannten Lissa-Preis seit 2004 jährlich. Denn die Schweiz brauche neue Talente – und damit diese gefunden würden, «braucht es klare Begabungskonzepte an den Schulen», so die Projektleiterin Regula Haag. 

Partnerinhalte
 
 
 
 

Der Beobachter fragte Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz, ob es tatsächlich mehr Begabtenförderung an den Volksschulen braucht.

Beobachter: Frau Rösler, die ausgezeichneten Schulen sollen als «Best Practice» für andere Schulen dienen. Finden Sie das sinnvoll?
Dagmar Rösler: Ich bin sehr vorsichtig, wenn es um «Best Practice» geht. Besser wäre es, die «Good Practice» vieler Schulen bekannt zu machen. Zudem sollte der Fokus nicht nur auf der Begabtenförderung Einzelner, sondern auf der Begabungsförderung aller Schülerinnen und Schüler liegen. Ich sehe aber den werbetechnischen Effekt für die Begabten- und Begabungsförderung. Ich sage bewusst Begabten- und Begabungsförderung, denn die Volksschule hat nicht den Auftrag, Exzellenzförderung zu betreiben. 

Zur Person

Fast jede Schule fördert Talente auf irgendeine Art. Reicht das wirklich? 
Zum Teil wurde diese Förderung von den Kantonen an die Gemeinden delegiert, und es ist abhängig von der Gemeinde, was und wie viel gemacht wird. Es ist deshalb nicht überall gleich gelöst. Aber das Bewusstsein, dass Potenziale gefördert werden müssen, ist hierzulande gut verankert. 

Begabtenförderung ist Teil des Bildungsauftrags. Werden die guten Schülerinnen und Schüler zu wenig gefördert?
Begabungsförderung ist noch zu stark personenabhängig und daher nicht flächendeckend. Es sollte an allen Schulen entsprechende Angebote geben. Meiner Meinung nach gibt es insbesondere noch Sensibilisierungsbedarf für diejenigen Kinder mit Begabungen, die nicht aus gut situierten Familien stammen, sondern aus fremdsprachigen oder aus sozioökonomisch schwächeren. Da wird teilweise noch zu wenig genau hingeschaut. Begabung ist nicht ungerecht in den Bevölkerungsschichten verteilt, sondern wird nur oft nicht gleichermassen entdeckt und gefördert.

«Ein hohes Potenzial ist nicht zwingend mit hoher Leistung verbunden.»

Manche Eltern kritisieren aber genau, dass Kinder mit Migrationshintergrund zu stark gefördert würden und die anderen zu wenig.
Der Auftrag der Schulen lautet, jedes Kind gemäss seinem Potenzial zu fördern. Die Schule steht dabei immer in der Zwickmühle und ist manchmal tatsächlich etwas zu defizitorientiert. Lernen findet ja aber nicht nur in der Schule statt, sondern auch ausserhalb. In Basel-Stadt können sich zum Beispiel Schüler und Schülerinnen, die besonders gut in Französisch sind, am freien Nachmittag in einem speziellen Kurs weiterbilden. 

Was ist mit den hochbegabten Kindern?
Ein hohes Potenzial ist nicht zwingend mit hoher Leistung verbunden. Es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, damit ein Kind auch eine hohe Leistung zeigen kann. Mehrere Kinder in einer Klasse sind begabt, hochbegabt aber höchstens zwei Prozent. Fast alle Lehrmittel bieten Zusatzaufgaben und Inhalte an, die sie neben dem allgemeinen Schulstoff lösen können. Obendrein gibt es vielerorts zusätzliche Förderprogramme. In jedem Kanton ausserdem die sogenannten Talentförderklassen, in denen oft Sport- oder Musiktalente besonders gefördert werden. Mit den vorhandenen Förderangeboten für Begabten- und Begabungsförderungen in den Schulen wird bereits viel getan.