«Bei Kollegen ist Grundvorsicht geboten»
Der Basler Arbeitspsychologe Michael Gschwind über Tücken der Zweckgemeinschaft mit Jobkollegen.
Veröffentlicht am 30. Juli 2018 - 14:49 Uhr,
aktualisiert am 2. August 2018 - 13:59 Uhr
Beobachter: Weshalb ist es heikel, wenn aus einer kollegialen Arbeitsbeziehung Freundschaft wird?
Michael Gschwind: Arbeitskollegen kann man sich nicht aussuchen und oft schlechter einschätzen als Freunde. Man sieht sie ständig und kann sie nicht meiden bei einem Konflikt. Schon deshalb ist beim Verhalten gegenüber Kollegen eine Grundvorsicht geboten. Arbeit und Privates sollte man grundsätzlich nicht zu sehr mischen.
Beobachter: Welches sind die häufigsten Konfliktgründe?
Gschwind: In dieser Zweckgemeinschaft kann jederzeit bewusst oder unbewusst Neid oder ein Konkurrenzkampf entstehen und die Zusammenarbeit erschweren. Insbesondere wenn jemand bevorzugt wird, mehr Lohn und Wertschätzung bekommt
oder befördert wird.
Beobachter: Worauf muss man achten, wenn man Arbeitskollegen Persönliches anvertraut?
Gschwind: Personen in der Arbeitswelt handeln häufig strategisch. Auch unbewusst. Das bedeutet, dass der Kollege Informationen, die er von Ihnen erhalten hat, zum eigenen Vorteil oder zu Ihrem Nachteil verwenden kann.
Betriebsklima: Wenns am Arbeitsplatz menschelt
Wie viel Privates verträgt es im Job? Soll man gegenüber den Arbeitskollegen eine belastende Krankheit erwähnen? Und wie ist das so mit Betriebsanlässen? Lesen Sie im Beobachter-Ratgeber, wie sozial man sich im Job geben sollte.
Beobachter: Wem kann man vertrauen?
Gschwind: Wenn Sie das Bedürfnis haben, einem Kollegen Persönliches oder Heikles anzuvertrauen, sollten Sie sich gut überlegen, wie sehr Sie auf seine Verschwiegenheit zählen können – sowohl heute als auch unter veränderten Bedingungen in der Zukunft. In der Regel geht das nur, wenn man sich sehr nahesteht.
Beobachter: Wie wichtig sind Beziehungen für unsere Arbeitszufriedenheit?
Gschwind: Ob sich Angestellte am Arbeitsplatz wohl fühlen, hängt zu einem Grossteil von ihrer Beziehung zum Chef
und den Kollegen ab. Der interessanteste Job wird unerträglich, wenn es auf der Beziehungsebene nicht stimmt.
«Viele nehmen das Persönliche im Arbeitsalltag zu wichtig.»
Michael Gschwind, Arbeitspsychologe
Beobachter: Soll ich den Job behalten, nur weil das Team gut ist, die Arbeit aber keine Freude macht?
Gschwind: Es bringt nichts, allzu lange in einer unattraktiven Stelle auszuharren, nur weil die Kollegen so toll sind. Teams und Beziehungen sind ständigem Wandel unterworfen. Ein gesundes Mass an Egoismus ist wichtig für die eigene Laufbahn und eine konstante Arbeitszufriedenheit. Unzufriedene sollten ihre Optionen erkennen
, ihr Netzwerk aktivieren und sich für einen interessanteren Job bewerben. Vielleicht ist das Team am anderen Ort auch ganz gut.
Beobachter: Wird Persönliches bei der Arbeit überbewertet?
Gschwind: Bei aller Wichtigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen fällt mir regelmässig auf, dass viele das Persönliche zu wichtig nehmen im Arbeitsalltag. Sie vergessen dabei häufig, wofür sie angestellt sind – nämlich um zu arbeiten und eine Funktion zu erfüllen. In erster Linie gilt es, einen Arbeitsvertrag einzuhalten. Und der ist kündbar. Nur daneben gibt es den zwischenmenschlichen «Vertrag» mit den Kollegen.