«Ich verdiene mehr als du!»
In der Schweiz spricht man nicht über den Lohn. Sollte man aber, finden Experten. Doch können Lohnungerechtigkeiten durch mehr Transparenz wirklich beseitigt werden?
aktualisiert am 28. Februar 2018 - 16:36 Uhr
Wissen Sie, wie viel Ihre Arbeitskollegen verdienen?
Nein? Damit sind Sie nicht allein. In den meisten Schweizer Firmen ist der Lohn noch immer ein Tabuthema, wie Befragungen des «HR-Barometer 2016» der ETH und Universität Zürich beweisen. Zwar sind börsennotierte Unternehmen dazu verpflichtet, das Einkommen des Meistverdienenden, die Löhne der Verwaltungsräte sowie die Lohnsumme der Geschäftsführer offenzulegen. Bei Mitarbeitern der mittleren und unteren Gehaltsstufen herrscht in Bezug auf das Einkommen jedoch meist Stillschweigen. Zu gross sind der Rechtfertigungszwang sowie die Angst vor Neid und Missgunst.
Ebenfalls geht aus der Befragung hervor, dass noch immer eine grosse Diskrepanz zwischen den Lohnerwartungen und dem Lohnangebot des Arbeitgebers besteht: «Seit 2011 zeichnet sich ab, dass die Beschäftigten ihre Erwartungen bezüglich einer angemessenen Entlohnung nicht mehr erfüllt sehen», heisst es im Bericht. So wollen sie deutlich mehr verdienen, als ihre Arbeitgeber zu zahlen bereit sind. Erstaunlicherweise hat sich das finanzielle Angebot der Unternehmen in den vergangenen Jahren aber nicht verschlechtert – im Gegenteil. Die Beschäftigten sind also unzufriedener, obwohl sie durchschnittlich einen besseren Lohn erhalten.
Dies erklären die Wissenschaftler einerseits mit falschen Vorstellungen: «Wissen Beschäftigte nicht, wie der Lohn zustande kommt und was andere Personen für vergleichbare Arbeit verdienen, können unrealistische Lohnvorstellungen entstehen, welche zu einer überhöhten Erwartungshaltung führen». Andererseits beeinflusst neben dem absoluten Gehalt vor allem das relative Einkommen im Verhältnis zu anderen Angestellten die eigene Zufriedenheit. Verdient jemand weniger als Mitarbeiter in ähnlichen Positionen, sinkt die Zufriedenheit – selbst wenn der ausgezahlte Lohn angemessen ist.
«Lohntabus gibt es immer dort, wo gleichzeitig Intransparenz und Lohnungerechtigkeit bestehen», erklärt Theo Wehner, Arbeits- und Organisationspsychologe an der ETH Zürich. Die Konsequenz daraus scheint einfach: Wird offen über Löhne kommuniziert, können Ungerechtigkeiten minimiert werden.
Seit 1981 ist die Lohngleichheit von Frauen und Männern in der Bundesverfassung verankert. Um konsequenter gegen Lohndiskriminierung vorzugehen, hatte der Bundesrat jedoch eine Vorlage zur Änderung des Gleichstellungsgesetzes verfasst.
Mit 108 zu 84 Stimmen und bei zwei Enthaltungen hiess der Nationalrat am 25. September diese gut, wenn auch in abgeschwächter Form. Gemäss dem Willen der grossen Kammer sollen nämlich nur Firmen ab 100 Vollzeitstellen zu einer Lohnanalyse verpflichtet werden. Lernende sind davon ausgenommen. Mit dieser Bestimmung werden noch weniger Unternehmen in die Pflicht genommen als mit der Forderung des Ständerats. Dieser hatte sich Ende Mai 2018 für eine Grenze ab 100 Angestellten ausgesprochen, was 45 Prozent aller Schweizer Arbeitnehmer betrifft. Mit dem Vorschlag des Bundesrats, ab 50 Angestellten eine Lohnanalyse durchzuführen, wären 54 Prozent aller Arbeitnehmenden tangiert gewesen.
Sowohl der National- als auch der Ständerat stimmten dafür, dass Unternehmen von weiteren Lohnanalysen befreit werden, sobald eine solche zeigt, dass die Lohngleichheit eingehalten wurde. Gemäss einer Studie der Universität St. Gallen liegt der nicht erklärbare Lohnunterschied bei den Geschlechtern bei ungefähr sieben Prozent. Im Portemonnaie der Frau sind das pro Jahr im Durchschnitt 7000 Franken weniger Gehalt.
Wie damit umzugehen ist oder ob eine Busse für das Unternehmen fällig wird, wenn die Lohngleichheit bei einer Analyse nicht eingehalten wird, ist nicht im revidierten Gleichstellungsgesetz enthalten. Aus diesem Grund hält auch Justizministerin Simonetta Sommaruga in der Debatte des Nationalrats fest, dass das Gesetz lediglich mehr Transparenz bei den Löhnen verlange.
Update vom 25.09.2018
ETH und Universität Zürich betonen, dass eine gute Lohnpolitik in jedem Unternehmen zwingend sei, jedoch nur dann etwas bewirke, wenn diese für die Mitarbeiter ersichtlich und nachvollziehbar ist. Basierend auf dieser Überlegung haben Länder wie die USA oder Grossbritannien beschlossen, bereits in den Stellenausschreibungen eine fixe Lohnspanne bekannt zu geben. Ein Vorgehen, das laut Theo Wehner viel öfter zum Zug kommen sollte: «Die Mehrzahl der Arbeitsnehmenden geht einer Erwerbstätigkeit nach, um die Existenz zu sichern und sollte so früh wie möglich wissen, wie gut dies durch Lohneinkünfte gelingt.» Wer in Österreich ein Stelleninserat ohne Mindestlohn herausgibt, bezahlt ein Bussgeld.
Die Schweiz tut sich mit Lohntransparenz indes schwer. Immer wieder kommt der Vorwurf auf, ein solcher Eingriff in die Wirtschaft würde nicht zum Schweizer System passen. Auch die Vereinbarkeit von Lohntransparenz und Datenschutz wurde bereits mehrfach angezweifelt. Pauschale Aussagen lassen sich laut dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) nur schwer machen: «Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Lohntransparenz für sich genommen kein hinreichender Grund sein kann, um die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmenden einzuschränken. Im Einzelfall kann aber durchaus ein berechtigtes Interesse vorliegen, das eine Bekanntgabe der Lohndaten rechtfertigt.» Dies sei zum Beispiel der Fall, wenn es um die Aufdeckung von Ungerechtigkeiten geht.
- Effizientere Bewerbungsgespräche
Werden Lohnkriterien schon in der Stellenausschreibung offengelegt, können beide Seiten Zeit sparen. Unternehmen müssen keine Bewerber mit unrealistischen Vorstellungen prüfen, potenzielle Angestellte bewerben sich nur auf Stellen, die ihnen sowohl inhaltlich als auch vom Lohn her entsprechen. Des Weiteren haben Bewerber stichhaltige Verhandlungsargumente und werden in ihren Lohnvorstellungen nicht gedrückt und Lohndumping wird kein Vorschub geleistet. - Weniger Neid
Lohnzufriedenheit hängt nicht nur vom eigenen Lohn ab, sondern auch von den Einkommen der Arbeitskollegen. Eine offene Kommunikation kann Neid und Missgunst verhindern. Laut einer US-Studie neigen nämlich viele Mitarbeiter dazu, die Löhne anderer zu überschätzen. - Nachvollziehbare Löhne
Einkommen werden nach klaren Regeln strukturiert, so werden z.B. die Tätigkeiten, Erfahrungen, das Dienstalter und weitere Faktoren berücksichtigt, welche eine klare Klassifikation zulassen. Wer ein Lohnsystem versteht, ist eher damit zufrieden. - Motivation ankurbeln
Sind die verschiedenen Lohnstufen klar definiert, kennen Mitarbeiter ihr Wachstumspotenzial und wissen, was sie für eine Lohnerhöhung leisten müssen.
Über den Lohn spricht man nicht gerne. Der Beobachter gibt rechtliche Antworten! Erfahren Sie als Mitglied unter anderem, was man beim Lohngespräch mit dem Chef beachten sollte, ob Sie Anrecht auf Dienstaltersgeschenke oder Boni haben und was Sie tun können, wenn die Arbeitgeberin im Verzug mit der Lohnzahlung ist.
- Vergleichbarkeit
Auch wenn zwei Mitarbeiter dieselbe Funktion haben, müssen sie nicht zwingend die gleiche Leistung zeigen und die gleiche Erfahrung mitbringen. Gehälter sind ausserdem auch deshalb schwer vergleichbar, da verschiedene Faktoren wie die Region, Unternehmensgrösse und Branche miteinfliessen.
- Nicht auf alle Jobs übertragbar
Bei vielen Berufen kommt zum Basisgehalt eine Leistungskomponente – Lohnkategorien gelten also auf dem Papier, nicht aber in der Realität.
- Neid
Die Argumente für das höhere Gehalt der Mitarbeiter sind nicht immer nachvollziehbar. Dadurch können Neid und ein schlechtes Arbeitsklima entstehen.
- Keine guten Kandidaten
Diejenigen Bewerber, welche höhere Lohnvorstellungen haben, melden sich gar nicht erst auf eine Stelle – obwohl sie vielleicht die besseren Kandidaten wären. Stattdessen bewerben sich vermehrt unqualifizierte Interessenten.
Dennoch gibt es einige Schweizer Firmen, welche sich der Lohntransparenz verschrieben haben. Die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) oder das Kinderspital Zürich geben in ihren Lohnausschreibungen beispielsweise Lohnspannen an, so darf ein «Automobilmechatroniker» zwischen 70'000 und 85'000 Franken erwarten, eine «Oberärztin Kinderanästhesie» 143'000 bis 163'000 Franken (Stand 30.01.17). Andere Firmen gehen sogar noch einen Schritt weiter: Bei der Alternativen Bank Schweiz (ABS) werden Lohnlisten aller Mitarbeiter intern publiziert und auch bei der Metron AG in Brugg wird Lohntransparenz gross geschrieben: «Ende Jahr setzen sich die Mitarbeitenden zusammen, um die Jahresplanung zu diskutieren. Dazu gehört auch die Höhe der Löhne», so die Kommunikationsbeauftrage Cornelia Bauer. «Mit dem Lohnmodell der Metron besteht eine Basis, die faire Lohndiskussionen sicherstellt. Dass das Thema Löhne aber auch immer wieder Fragen aufwirft, ist Teil der Unternehmenskultur, die auf Offenheit und Gesprächsbereitschaft setzt.»
Fragen und Antworten rund ums Salär
Wie viel Lohn kann ich verlangen? Wann muss der Lohn auf meinem Konto sein? Wann verjähren Lohnforderungen? Das Beobachter-Beratungszentrum beantwortet brennende Lohnfragen.
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