Zweisame Spitze
Zwei Führungskräfte, die sich einen Job teilen: Das ist in der Schweiz noch selten. Dabei hat es nur Vorteile.
Veröffentlicht am 4. August 2015 - 09:03 Uhr
Früher war er ein Einzelkämpfer: Abteilungsleiter Albrecht Schönbucher traf Entscheidungen allein, und zur Diskussion stellte er sie kaum jemals. Weil dafür keine Zeit blieb und es aus seiner Sicht normal war.
Dann beschloss sein Arbeitgeber, der Verein Jugendarbeit Basel, eine neue Organisationsform – und etablierte ein Führungstandem in der Geschäftsleitung. Schönbucher nahm das mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits war er vom neuen Modell mit den flacheren Hierarchien überzeugt – da so der Verwaltungsapparat kleiner würde und Jugendprojekte schneller auf die Beine gestellt werden könnten. Anderseits aber bereitete es ihm Bauchschmerzen, seinen Job künftig mit jemandem teilen zu müssen. «Ich fragte mich, wie das gehen soll, und stellte es mir wahnsinnig umständlich vor», sagt er. Da war die Befürchtung, entscheidungsunfähig zu werden und nach zermürbenden Diskussionen etwas gegen seine Überzeugung absegnen zu müssen.
«Wer ständig Angst hat, an Einfluss zu verlieren, ist fürs Führungstandem untauglich.»
Albrecht Schönbucher
Bedenken und Vorurteile, die sich nicht bestätigt haben. Albrecht Schönbucher arbeitet inzwischen seit mehreren Jahren im sogenannten Topsharing und zieht eine positive Bilanz: «Ich würde das jederzeit wieder wählen.» Der Soziologe und Betriebswirtschafter teilt seinen 80- Prozent-Job mit der Sozialpädagogin und Organisationsentwicklerin Elsbeth Meier, die ein 70-Prozent-Pensum bekleidet. Sie bezeichnet sich als ausgesprochene Teamplayerin: «Ich habe bisher immer im Tandem geführt.»
Sie machte die Erfahrung, dass das Zusammenspiel dann funktioniert, wenn die Zuständigkeiten geklärt sind. Zusammen mit Albrecht Schönbucher hat sie deshalb von Anfang an festgelegt, was für wen in Frage kommt – ausgehend davon, wer wofür Interessen und Kenntnisse mitbringt.
Ausserdem könne man sich gegenseitig informieren. Dieses Aufdatieren sei wesentlich. Nicht nur dann, wenn man nach seinen freien Tagen wieder im Betrieb sei, sondern auch während des Tagesgeschäfts. Das Tandem pflegt diesen Austausch konsequent ein- bis zweimal täglich und ist dabei absolut offen: Man legt auf den Tisch, welche Entscheide im jeweiligen Fachbereich getroffen wurden, diskutiert bei Unklarheiten aber auch das weitere Vorgehen.
Was sich Albrecht Schönbucher früher als zermürbendes Zerreden ausmalte, schätzt er heute als Vorteil – «weil dieser Meinungsaustausch zum besseren Ergebnis führt». Er profitiert von Elsbeth Meiers anderer Sichtweise, davon, wie sie an die Dinge herangeht. Während er manchmal am liebsten alles einfach durchpauken würde, plädiere sie mit ihrer ruhigen Art oft dafür, noch einmal genau darüber nachzudenken.
Sie leitet die offene Jugendarbeit und den Ausbildungsbereich, er ist für die Kooperation mit den Schulen und die Finanzen zuständig. Weitere Bereiche teilen sich die beiden auf, etwa das Fundraising, die Öffentlichkeitsarbeit, das Personalwesen. Dabei ist klar: Hier übernimmt der eine, wenn der Co-Leiter abwesend ist. Und wenn einer bei diesen Aufgaben in Arbeit zu versinken droht, kann ihn sein Partner entlasten, wenn er gerade Kapazität freihat. «So arbeiten wir sehr effizient und gewinnen Zeit. Zum Beispiel dafür, neue Ideen und Projekte zu entwickeln», sagt Albrecht Schönbucher.
«Ein Führungsduo muss nicht ähnliche Charaktereigenschaften mitbringen.»
Elsbeth Meier
«Ein Führungsduo muss nicht ähnlich gelagerte Charaktereigenschaften mitbringen», sagt Elsbeth Meier. «Wir könnten unterschiedlicher kaum sein.» Es bringe deshalb nichts, zwanghaft auf Harmonie zu machen. Man müsse lernen, das Gegenüber mit seiner Art zu achten, sich in konstruktiven Auseinandersetzung üben, das Ergänzungspotenzial erkennen – und darauf setzen, dass der Partner seine Sache gut machen wird.
«Vertrauen ist wichtig», ergänzt Albrecht Schönbucher. Wenn er misstrauisch wäre und denken würde: «Jetzt macht sie etwas, was dem Betrieb oder mir schadet», hätten beide verloren. «Es ist wie eine Zweierseilschaft: Wir hängen aneinander und müssen uns aufeinander verlassen können.»
Dem Co-Leiter vertrauen, das setzte voraus, Macht abgeben zu können. Ein wunder Punkt bei vielen Vorgesetzten. Und vielleicht ein Grund dafür, warum Topsharing in Firmen heute noch Seltenheitswert hat. «Wer ständig Angst hat, an Einfluss zu verlieren oder nicht die ganze Anerkennung zu bekommen, die er meint verdient zu haben, ist fürs Führungstandem untauglich», erklärt Schönbucher. Topsharing heisse auch: sich eingestehen, dass der andere etwas besser kann. Und es ihm gönnen, wenn er Erfolg verbucht. Egoisten und Narzissten dürften sich damit schwertun.
Führung im Tandem: Fakten und Tipps
- «Topsharing» ist der modische Ausdruck für geteilte Stellen auf Führungsebene. Das Modell ist in der Schweiz im Kommen, wie eine erste nationale Studie zu Teilzeitarbeit und Jobsharing zeigt. Von rund 400 befragten Firmen gaben 27 Prozent an, sie hätten bereits Jobsharing-Modelle eingeführt. 28 Prozent bieten geteilte Stellen auf unterer Kaderstufe. Auf mittlerer und oberer Kaderstufe sind es 19 Prozent. «Das Prinzip der gemeinsamen Führung kennt man zudem seit je in vielen KMU und Familienbetrieben», sagt die Lenzburger Organisationsberaterin Julia K. Kuark. Das Modell sei also weiter verbreitet als angenommen, auch wenn es nicht überall Topsharing genannt wird.
- Die Initiative geht in grösseren Firmen meist von Arbeitnehmern aus. Wer das Modell für sich durchsetzen will, sollte gute Argumente bereithaben und punktet am ehesten mit einem ausgeklügelten Plan, wie es in der Praxis ablaufen soll. Das neue Tandem sollte sich bewusst sein, dass es unter einem gewissen Erfolgs- und Erwartungsdruck steht.
- Damit es klappt, brauche es ein klares Bekenntnis und die Unterstützung der Firmenleitung, sagt Julia K. Kuark. Man soll die Mitarbeiter über das Modell informieren, das Arbeitsumfeld in die Planung einbeziehen. Das schaffe Vertrauen und erhöhe die Akzeptanz.
- Wer Führung teilt, sollte mehr Zeit fürs Organisieren und Kommunizieren einplanen. Es empfehlen sich überlappende Zeitfenster wie bei einem Schichtwechsel.
- Ein Tandem sollte als solches wahrgenommen werden und gewisse Auftritte gemeinsam absolvieren. Wichtig auch: deutlich machen, wer wofür zuständig ist.
- Der Arbeitgeber muss mit jedem Partner einen separaten Vertrag abschliessen. Es handelt sich um zwei Teilzeitarbeitsverträge, die durch spezielle Abmachungen miteinander verbunden sind. Zwischen den Partnern besteht zwar kein Rechtsverhältnis, sie sind aber gemeinsam für ihre Aufgaben verantwortlich und teilen sich die Mitarbeiterführung.
- Es empfiehlt sich, organisatorische Einzelheiten im Arbeitsvertrag und/oder in einem Pflichtenheft festzulegen. Wichtig sind laut Beobachter-Expertin Irmtraud Bräunlich Keller folgende Punkte:
- Haben die Partner fest zugeteilte Aufgaben?
- Wie weit dürfen sie sich selbst organisieren, wenn es um Einsatzplanung, Abtausch von Arbeitszeiten, Aufteilung der Arbeit geht? Wann ist eine Rücksprache mit den Vorgesetzten nötig?
- Wie wird die Kommunikation unter den Partnern gewährleistet? Gibt es dafür fixe Zeiten?
- Wie weit vertreten sich die beiden gegenseitig? Nur bei planbaren Absenzen wie Ferien oder auch bei Unplanbarem wie Krankheit?
- Was gehört zur vertraglichen Arbeitszeit? Was gilt als Überstunden? Wie werden diese entschädigt?
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