Teuer bezahlter Büroterror
Mobbing ruiniert nicht nur die Gesundheit des Opfers, auch der volkswirtschaftliche Schaden ist horrend. Eine wissenschaftliche Arbeit schätzt ihn auf gegen 20 Milliarden Franken pro Jahr.
Veröffentlicht am 22. Oktober 2007 - 14:12 Uhr
Als sich Alexandra Weber (Name geändert) am 14. Juni 2006 mit dem Velo auf den Weg zur Arbeit macht, zittern ihre Knie so stark, dass sie umkehren muss. Nach monatelangen Sticheleien, Anfeindungen und unhaltbaren Verdächtigungen seitens ihres Vorgesetzten ist die 42-Jährige mit ihren Kräften am Ende. Sie geht zum Arzt. Die Folgen des schweren Mobbings: ein mehrwöchiger Klinikaufenthalt, monatelange Therapie und eine fast einjährige Arbeitsunfähigkeit.
Dies zeigt exemplarisch, wie viel Leid und Verzweiflung durch Mobbing verursacht werden kann. An Alexandra Webers Fall lässt sich aber auch vor Augen führen, was häufig vergessen geht: Für bösartige Intrigen in der Arbeitswelt müssen nicht nur die Direktbeteiligten, sondern die ganze Volkswirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes teuer bezahlen.
Allein Webers Klinikaufenthalt belief sich auf 30'000 Franken, 10'000 Franken kostete der Psychiater, dazu kamen weitere Arztbesuche und Medikamente. Auf beiden Seiten waren Anwälte involviert. Mehrere Personen investierten Zeit und Energie in aufreibende Sitzungen. In einem langwierigen Mediationsverfahren suchte man nach Lösungen, und schliesslich verliessen im Rahmen der Affäre vier Personen die Stelle, mussten ersetzt, ihre Nachfolger eingearbeitet werden. Und Alexandra Webers Erwerbsausfall zahlt bis heute die Arbeitslosenversicherung.
Blenden wir zurück: Alexandra Weber leitete über zehn Jahre lang erfolgreich die Geschäftsstelle eines im Sozialbereich aktiven Vereins sowie ein Team von vier Angestellten. Sie hatte seinerzeit mitgeholfen, die Vereinsstrukturen aufzubauen, und erledigte ihre Arbeit mit Engagement und Herzblut. «Eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben gab es damals kaum», erinnert sich die gelernte Kauffrau und studierte Übersetzerin.
Die Probleme beginnen mit einem Wechsel im Vorstand. Der neue Vereinspräsident bringt wenig Erfahrung mit, ist aber zu stolz, sich beim Vorgänger zu informieren. Er erscheint oft unvorbereitet an Sitzungen, immer mehr Arbeit bleibt an der Geschäftsführerin hängen. Einerseits gewinnt sie dadurch an Einfluss, anderseits kommt es zu endlosen Diskussionen über Kompetenz- und Aufgabenverteilungen. «Ich spürte ein Misstrauen seitens des Präsidenten, offenbar stand ich ihm irgendwie vor dem Licht», schildert Alexandra Weber ihre damaligen Eindrücke.
Als sie nicht bereit ist, private Arbeiten für ihn zu erledigen, und sich auch weigert, ihm Spesen auszuzahlen, die nicht vom Gesamtvorstand abgesegnet sind, fangen die Schikanen an. «Ich erhielt eine Menge Mails, voll von Andeutungen und Drohungen», so Weber. «Wenn ich an einer Sitzung auf ein Problem hinwies, schrieb er mir später, was mir einfalle, ihn so blosszustellen. Er begann systematisch nach Fehlern zu suchen. Fand er nur das Geringste, stellte er mich gnadenlos an den Pranger, einmal sogar per Rundmail an alle.»
Mit der Zeit macht der Chef seltsame Andeutungen: Er werde nun seine Verantwortung als Vereinspräsident wahrnehmen und Webers Arbeit vermehrt überprüfen. Auf ihre Fragen weicht er aus oder macht Bemerkungen wie «Du hast wohl ein schlechtes Gewissen» oder «Du weisst ganz genau, was ich meine». Alexandra Weber wird immer unsicherer und kann nicht mehr schlafen. «Ich fand fremde Notizen in meinen Dossiers, merkte, dass Sachen nicht mehr am richtigen Ort lagen oder nach Tagen des Suchens plötzlich wieder auftauchten.»
Eines Tages wird Alexandra Weber aufgefordert, umgehend die Buchhaltung samt Unterlagen herauszugeben. Dann steht plötzlich der Vorwurf im Raum, sie habe Unterschlagungen begangen - die Rede ist von gegen 50'000 Franken. Der Vorwurf erweist sich später als völlig haltlos. Weber aber bricht unter der Wucht der Anschuldigungen zusammen: «Ich fühlte mich ohnmächtig, fragte mich ständig, ob ich unbewusst Fehler begangen hatte. Meine Aufgaben konnte ich kaum mehr wahrnehmen, ich hatte ein Gefühl des totalen Versagens.»
Alexandra Weber ist heute voll rehabilitiert, ihr Peiniger musste gehen. Ganz verheilt sind die Wunden nicht. Was sie durchmachte, ist besonders drastisch, aber kein Einzelfall. Laut einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) leidet in der Schweiz etwa jede 13. Person unter Mobbing am Arbeitsplatz. In einer repräsentativen Umfrage des Beobachters im letzten Herbst beklagten sich rund 15 Prozent der Befragten über typische Mobbinghandlungen. Wie im Fall von Alexandra Weber sind in den meisten Fällen Vorgesetzte die Übeltäter.
Durch ihr Verhalten verursachen ausgerechnet sie, die kraft ihrer Chefposition gerne das Sparen predigen, horrende Kosten. Einen Richtwert dafür gibt eine weitere Seco-Studie, die die jährlichen Kosten von Stress an Schweizer Arbeitsplätzen auf mindestens vier Milliarden Franken beziffert und aufzeigt, dass Arbeitnehmende, die unter Mobbing leiden, sich dreimal häufiger gestresst fühlen als andere.
Genaueres wissen über die Kosten von Mobbing durch Vorgesetzte - auch Bossing genannt - wollte der Betriebsökonom Severin Negri. Dass er seine Diplomarbeit an der Zürcher Fachhochschule für Wirtschaft und Verwaltung zum Thema «Bossing - Kosten und andere Folgen» verfasst hat, ist kein Zufall. An der Arbeitsstelle, mit der er sich sein Studium verdiente, erlebte er Schikanen und unfaire Angriffe eines Vorgesetzten am eigenen Leib. «Man meint oft, Mobbing schade nur den Betroffenen. Das stimmt nicht. Deshalb wollte ich die Kostenseite breiter untersuchen - das Einzige, was Manager an der Problematik wirklich interessiert», so Negri.
Wie Mobbing ins Geld geht
Minutiös listete der Zürcher Severin Negri in seiner Arbeit auf, welche Kosten auf Unternehmen zukommen, die versuchen, nicht mehr genehme Mitarbeiter mit unlauteren Mitteln auszugrenzen und zu vertreiben. Kostentreibend wirken folgende Faktoren:
- Gemobbte werden häufiger krank, was nicht nur wegen der Lohnfortzahlung ins Geld geht, sondern auch, weil Arbeit liegenbleibt und Überstunden anderer Mitarbeiter nötig werden.
- Nicht nur Mobbingopfer erbringen keine volle Leistung mehr - auch die Täter vergeuden wertvolle Arbeitszeit mit Planen und Vertuschen ihrer Intrigen.
- Weitere Zeit geht drauf für Sitzungen und andere Versuche, die Konflikte zu bereinigen.
- Minderleistungen bewirken Qualitätseinbussen bei Produkten und Dienstleistungen - die Folgen sind unzufriedene Kunden und Imageschäden.
- Mobbing führt zu häufigeren Personalwechseln und damit zu unnötigen Fluktuationskosten.
- Wehrt sich das Opfer, entstehen dem Unternehmen Kosten für Prozesse, Abfindungen und Schadenersatzzahlungen.
Negri kommt zum Schluss, dass die Unternehmen schweizweit durch Bossing jährlich mit rund 7,7 Milliarden Franken belastet werden. Der gesamten Volkswirtschaft, vor allem den Sozialversicherungen (Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung), entstehen nach seinen Schätzungen sogar Kosten von gegen 20 Milliarden. «Vorgesetzte sollten sich gut überlegen, was es sie kostet, jemanden wegzumobben», meint der Betriebsökonom. «Unser Recht gibt den Arbeitgebern die Möglichkeit, einem Mitarbeiter ganz normal und anständig zu kündigen. Es ist nicht nötig, ihn zuerst durch Quälereien kaputtzumachen.»
Was ist Mobbing?
Unter Mobbing versteht man destruktive, unfaire Verhaltensweisen von Personen oder Gruppen, die
- gegen eine bestimmte Person oder Gruppe gerichtet sind;
- immer wieder über einen längeren Zeitraum vorkommen;
- von der betroffenen Person als feindselig, demütigend oder verletzend erlebt werden;
- zum Ziel haben, das Opfer auszugrenzen und zu verdrängen.
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