Als die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schweiz kamen, registrierte Medgate schnell, dass es ohne Verstärkung nicht geht. Das Unternehmen, das telemedizinische Beratungen für Krankenkassen durchführt, suchte über soziale Netzwerke ukrainisch- und russischsprachige Ärztinnen und Ärzte, insbesondere Pädiaterinnen und Allgemeinmediziner.

Das Echo war riesig: «Wir hatten rund 250 Anfragen», sagt Firmensprecherin Nadja Schwarz. Einstellen konnte Medgate trotzdem niemanden. Denn Ärztinnen und Ärzte müssen ihre Diplome von der Medizinalberufekommission des Bundesamts für Gesundheit (BAG) anerkennen lassen, bevor sie hier legal arbeiten dürfen. Ein entsprechendes Merkblatt des BAG macht wenig Hoffnung: Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen in der Schweiz bestenfalls unter fachlicher Aufsicht arbeiten – und nur, wenn der Wohnkanton dazu den Segen erteilt.

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Nicht nur bürokratische Hürden erschweren Geflüchteten die Jobsuche. Anfang Mai meldete der «Blick», dass von den 45'000 in die Schweiz Geflüchteten erst rund 200 eine Arbeitsbewilligung haben. Anderseits seien bei Jobs.ch rund 3000 Ukrainerinnen und Ukrainer registriert, die eine Arbeit suchen.

Gefragt sind vor allem Fachleute mit Spezialwissen, etwa Systemingenieure oder Cloud-Architekten. Tauchen Geflüchtete aus der Ukraine mit solchen Qualifikationen in den entsprechenden Facebook-Gruppen auf, dauert es in den allermeisten Fällen nicht lange, bis jemand den Eintrag mit «PM me» kommentiert: «Schick mir eine Direktnachricht.»

«Ich wurde auch schon gefragt, ob 1000 Franken im Monat für einen Vollzeitjob ein angemessener Lohn seien.»

Kelly Corstjens, Präsidentin der Swiss Nanny Association

Auf Facebook haben auch Kelly Corstjens und ihre Mitstreiterinnen alle Hände voll zu tun. Corstjens ist Präsidentin der Swiss Nanny Association und kümmert sich vor allem um eines: junge Frauen aus der Ukraine vor Ausbeutung zu bewahren.

Kürzlich postete sie deshalb auf Facebook, wie hoch die Minimallöhne für Nannys in verschiedenen Kantonen sind. Obwohl mit Tiefstlöhnen bestens vertraut, überraschte sie die Frage einer Ukrainerin, ob das Tages- oder Stundenlöhne seien. Solche und ähnliche Erkundigungen gehören heute zu Corstjens’ Alltag: «Ich wurde auch schon gefragt, ob 1000 Franken im Monat für einen Vollzeitjob ein angemessener Lohn seien.»

Den Stundenlohn halbiert

Auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Telegram finden sich täglich Inserate von Anbietern, die auf billige Arbeitskräfte aus sind. Besonders gefragt sind Haushalthilfen und Kindermädchen Lohnklage Eine Nanny kämpft für Gerechtigkeit . «Gesucht: Nanny für Zwillingsbabys. Arbeitszeit Montag bis Freitag plus 2 Samstage pro Monat. Lohn: CHF 2000», offerierte etwa eine Yogalehrerin aus der Romandie auf Telegram. Die Fotos von Nobelferien auf ihrem Facebook-Profil zeigen: An Geld mangelt es der Familie offensichtlich nicht.

Andere Stadt, ähnliche Geschichte: Die Ungarin Sophie Zambo erhielt vor wenigen Wochen ein Angebot, als Nanny in Zürich für eine Familie mit zwei Kleinkindern zu arbeiten. Der Stundenlohn sollte 30 Franken betragen. Zambo lehnte aus persönlichen Gründen ab, empfahl der Familie aber eine aus der Ukraine stammende Bekannte mit besten Referenzen, die in ihrem Heimatland für eine amerikanische Familie gearbeitet hatte. Die Offerte an die Ukrainerin betrug dann nur noch 14 Franken Stundenlohn. Die Ukrainerin lehnte ab, obschon sie dringend eine Arbeit brauchte.

Geflüchtet, auf Arbeit angewiesen, als Frau allein in einem fremden Land: Ukrainerinnen sind perfekte Opfer für skrupellose Leute , die eine offene Stelle zu vergeben haben. «Wir stellen das vor allem in den Bereichen Hausarbeit, private Pflege, Kinderbetreuung und Sexarbeit fest», sagt Alexander Ott vom Polizeiinspektorat der Stadt Bern. «Wir können nur aufklären, aufklären und nochmals aufklären, aber oft verstehen die Schutzsuchenden unser System einfach nicht.» In ukrainischsprachigen Gruppen in sozialen Medien kursierten besonders viele Halbwahrheiten und Gerüchte zu Jobs und Sozialhilfe in der Schweiz – etwa, dass jeder Schutzsuchende 1600 Franken pro Monat erhalte. «Dagegen kommen wir kaum an», sagt Ott.

«Das ist ein Gesetzesverstoss»

Doch manche Stellenangebote sind derart krass missbräuchlich, dass sie selbst in der ukrainischen Community für Diskussionen sorgen. Verpflegung, Unterkunft und 2000 Euro versprach etwa im April ein Anbieter auf einem ukrainischsprachigen Telegram-Kanal. Gesucht war ein Ehepaar für «Arbeiten in und um das Haus, Putzen, Waschen, Bügeln und gelegentlich Kinderhütedienste für 3–4 Stunden» – an sechs Tagen pro Woche.

Die Kommentare in der Telegram-Gruppe waren gemischt: «Ich melde das dem RAV, das ist ein Gesetzesverstoss», schrieb eine Nutzerin, und eine andere: «Warum steht da sechs Tage pro Woche? Gemäss dem Angebot ist das 24/7! Und das Schlimmste daran: Sie werden jemanden finden.» Es gibt auch die anderen Stimmen: «Diese Summe hätte man am Schluss auch, wenn man für Kost und Logis selber bezahlen müsste. Und diese 2000 Euro kann man sparen oder nach Hause schicken.»

«Ich veröffentliche grundsätzlich keine Angebote, in denen Ausdrücke vorkommen wie ‹junge Frau unter 30 gesucht›.»

Yulia Grechka, HR-Managerin

Yulia Grechka ist eine ukrainische HR-Managerin. Sie flüchtete bei Kriegsbeginn mit ihrer Tochter in die Schweiz. Nun ist sie zurück in Kiew und betreibt von dort aus den ukrainischsprachigen Telegram-Kanal «Robota ukrayintsyam, Shveytsariya» (Jobs für Ukrainer in der Schweiz). Darauf fasst sie Jobangebote von privaten Anbietern und kommerziellen Stellenvermittlern zusammen.

«Ich veröffentliche grundsätzlich keine Angebote, in denen Ausdrücke vorkommen wie ‹sehr gut bezahlt›, ‹nur für russischsprachige Kandidaten› oder ‹junge Frau unter 30 gesucht›», sagt sie. Auch Inserate mit offensichtlichen Dumpinglöhnen verbreitet sie nicht weiter, ebenso wenig Angebote für Vollzeitjobs für Geflüchtete, bei denen kein Status S verlangt wird. «Das wäre bekanntlich illegal.»

Inserate mit tiefen Löhnen finden sich aber auch auf Grechkas Telegram-Kanal. Sie sei sich bewusst, dass gewisse Angebote unfair seien, sagt die Unternehmerin. «Letztlich muss aber jeder selbst entscheiden, ob er eine Stelle annehmen will oder nicht. Mir scheint es wichtig, dass alle die Möglichkeit haben, zu arbeiten – also auch Studierende, Mütter mit kleinen Kindern oder ältere Menschen, die keinen Vollzeitjob übernehmen können.»

Die Swiss Nanny Association hat eine Task-Force gegen ausbeuterische Stellenangebote für Nannys gebildet und sammelt diese in einer internen Facebook-Gruppe. Präsidentin Kelly Corstjens sagt ernüchtert: «Wir kommen mit dem Sammeln kaum nach.»

Das müssen Arbeit­gebende wissen

Wenn Sie eine Person aus der Ukraine anstellen wollen, benötigt diese zwingend den Schutzstatus S. Das Arbeitsverhältnis muss von der zuständigen kantonalen Arbeitsmarktbehörde (Amt für Wirtschaft und Arbeit oder ähnlich) bewilligt werden. Für die Einreichung des Gesuchs benötigen Sie eine Kopie des S-Ausweises, eine Passkopie und den gegenseitig unterzeichneten Arbeitsvertrag.

Der Lohn ist Verhandlungssache, muss aber orts- und branchenüblich sein. Entsprechende Informationen finden Sie etwa auf www.lohnrechner.ch.

Sie müssen Ihre ukrainischen Angestellten ganz normal bei der Sozialversicherung anmelden, gegen Unfall versichern und ihnen monatlich eine Lohnabrechnung zukommen lassen.

Weitere Informationen finden Sie auf unserem Merkblatt: In der Schweiz arbeiten

Ausbeutung als Geschäftsmodell?

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Tausende Arbeitnehmende leben trotz Vollzeitjob an der Armutsgrenze. Muss die Politik für einen fairen Mindestlohn sorgen oder können sich die Betroffenen selbst helfen?
Quelle: Beobachter Bewegtbild
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Thomas Angeli, Redaktor
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