Auskunft von Insidern
Angestellte kommentieren in den sozialen Medien ihren Arbeitsalltag und ermöglichen damit Blicke hinter die Firmenfassade. Was taugen die Bewertungsplattformen bei der Jobsuche?
Veröffentlicht am 8. August 2019 - 08:00 Uhr
Wer eine Stelle sucht, will über den allfälligen neuen Arbeitgeber möglichst viel erfahren. Werden Mitarbeitende tatsächlich als «wichtigstes Kapital» des Unternehmens behandelt, wie es in der Eigenwerbung heisst? Soziale Netzwerke wie Kununu oder Glassdoor versprechen eine Innenansicht (siehe weiter unten «Portale zu Firmenbewertungen»). Sie sind gefragt wie nie.
Insgesamt finden sich auf Kununu 3,5 Millionen Erfahrungsberichte; mit 130'000 Bewertungen zu rund 19'000 Firmen ist auch die Schweiz gut vertreten. Eine rasch wachsende Community von Arbeitnehmenden, Stellenbewerbern und teils auch Lernenden tauscht hier persönliche Erfahrungen aus.
Dabei sprechen sie Klartext: «In der Firma fühlst du dich wie eine Nummer, typisch Grossunternehmen», so ein Eintrag auf Kununu. Ein anderer Angestellter schreibt, es herrschten ein Klima der Angst und eine Kultur des permanenten Drucks. Noch unerfreulicher: «Sobald du im Betrieb Kritik äusserst, wirst du mit den übelsten Methoden mundtot gemacht.»
Kommentare sind relativ formlos und anonym möglich – so ist auch praktisch alles erlaubt . Einzig diskriminierende oder rufschädigende Äusserungen sind verboten. Das gilt vor allem für hämische Kritik, die auf Personen zielt. Einträge wie «Der Leiter Innendienst ist ein Dampfplauderer und permanent überfordert» sind unzulässig. Arbeitgeber können die Löschung solcher Kommentare beantragen.
Der offene Austausch und die formlose Kommunikation entsprächen einem Bedürfnis, sagt Andrea Müller, Professorin für Human Capital Management an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Um die Bewertungsplattformen zeichnet sich derzeit ein regelrechter Hype ab.» Neugierig machen vor allem subjektive Gesamtbeurteilungen. Bei Kununu und bei Glassdoor vergeben die User Noten auf einer Skala von ein bis fünf Sternen. Hinzu kommen die unzähligen, farbigen Schilderungen. Wie verhalten sich die Vorgesetzten? Wie ist der Zusammenhalt im Team ? Fühlen sich die Leute ernst genommen?
Weiter finden sich Angaben zu Sonderleistungen wie flexiblen Arbeitszeiten, Home-Office, Personalvorsorge , Kinderbetreuung oder Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb. Laut Andrea Müller ist die Resonanz auf die Bewertungsplattformen dermassen angewachsen, dass sich auch die Arbeitgeber damit auseinandersetzen. «Die Unternehmen müssen sich bewusst sein, was in diesem Bereich alles läuft. Sie werden versuchen, ihre Reputation und das öffentliche Bild mitzusteuern.»
«Die Bewertungen kommen oft aus einer bestimmten Gemütslage zustande.»
Fabian Buesser, Personalberater, Page Personnel
Arbeitgebern steht die Möglichkeit offen, über die Plattformen ihrerseits Rückmeldungen zu platzieren. Wenn sich eine Person aus der zuständigen Abteilung der Angelegenheit annimmt und sachlich Stellung bezieht, kann dies manchen Angriff entschärfen. Je nach Plattform kann die Arbeitgeberseite auch eigene – bezahlte – Profile und Texte aufschalten. Vor allem grössere Unternehmen stellen dafür das nötige Know-how und auch die Ressourcen bereit. Immer mehr betreiben ein eigentliches Personalmarketing : mit Videoeinblicken in den Unternehmensalltag und Auftritten in den sozialen Medien.
Die schriftliche Bewerbung auf eine Stelle gibt dem zukünftigen Arbeitgeber einen ersten Eindruck von Ihrer Person. Erhalten Sie als Beobachter-Mitglied Tipps für verschiedene Bewerbungskanäle und wie Lücken im Lebenslauf zu behandeln sind. Eine Checkliste erinnert Sie zudem daran, welche Unterlagen zu einer vollständigen Bewerbung gehören.
Auch für Fabian Buesser vom Zürcher Personalvermittler Page Personnel ist die neue Beurteilungskultur zunehmend relevant. «Wenn sich über eine Firma auf Kununu oder generell im Netz vorwiegend negative Kommentare finden, kann dies Folgen haben.» Die Bewertungen seien für viele Stellensuchende ein wichtiger Referenzpunkt, insbesondere bei der jüngeren Generation.
Man müsse sich aber im Klaren sein, dass die Schreiber negativer Kommentare vielfach überwiegen, erklärt Buesser. «Die Bewertungen kommen oft aus einer bestimmten Gemütslage zustande, etwa nach Konflikten oder im Zuge einer Entlassung.»
Besser fundiert sind die Bewertungen aus Angestelltensicht, wenn die Posts detailliert und sachlich nachvollziehbar sind. Bei der Interpretation ist aber zu berücksichtigen, ob es bloss Einzelaussagen sind oder solche, die schon weiter zurückliegen.
Stellensuchende müssen sich überlegen, ob sie die so gewonnenen Eindrücke in eine Bewerbungsrunde mitnehmen wollen. Andrea Müller von der ZHAW hält es durchaus für legitim, die Wertungen und auch kritische Hinweise in einem Vorstellungsgespräch anzusprechen. «Negative Kommentare sind vielleicht Ausdruck von Konflikten in der Firma. Es ist von Interesse, wie der Arbeitgeber damit umgeht.» Mit solchen Fragen signalisieren Stellensuchende, dass sie sich sehr für den Job interessieren und sich gut vorbereitet haben .
Vor allem Personen, die in grossen multinationalen Unternehmen oder im Bankbereich arbeiten, bieten die Plattformen einen repräsentativen Einblick. Andere Branchen oder Berufe sind in den sozialen Netzwerken eher untervertreten, etwa öffentliche Verwaltungen, teils auch Industrie, Gesundheitswesen, Pflege, Landwirtschaft oder Bau und soziale und pädagogische Berufe. «Die Reputation und die Wahrnehmung in den sozialen Netzwerken gewinnen aber zunehmend an Bedeutung», sagt Andrea Müller mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Schweiz. Die Arbeitgeber stehen heute in verschiedenen Branchen und Bereichen unter Zugzwang: Sie müssen vermehrt für sich werben und ihre Aussenwirkung verbessern.
Sich im persönlichen Netzwerk über die favorisierte Firma informieren, soziale Medien anzapfen, einen Probearbeitstag vereinbaren: So machen sich Stellensuchende ein Bild vom zukünftigen Arbeitgeber.
- Präferenzen: Überlegen Sie sich, was Ihre persönlichen Prioritäten bei der Arbeit sind: interessante, herausfordernde Tätigkeiten? Vielfältige Weiterbildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten ? Ein wertschätzendes Klima? Alles zusammen ergibt das Suchraster für weitere Abklärungen.
- Privates Netzwerk: Hören Sie sich im Bekannten- und Verwandtenkreis um. Der Kollege eines Kollegen, der im Unternehmen arbeitet, das Sie interessiert, wird über das Innenleben der Firma bestens Bescheid wissen.
- Image: Schöpfen Sie Informationen aus weiteren Quellen, etwa aus Geschäftsberichten oder via soziale Medien wie Twitter, Xing, LinkedIn, Facebook, Instagram oder Youtube. Wissen aus erster Hand haben auch Personalberater und -vermittler.
- Personalfluktuation: Die Zahl der Stellenwechsel erlaubt Rückschlüsse auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. In der Schweiz gilt eine Fluktuationsrate von jährlich etwa zehn Prozent als mittlerer Wert. Je nach Branche und Kontext sind Abweichungen von der Norm üblich – in der Gastronomie oder bei einem Start-up dreht sich das Personalkarussell schneller als etwa in pädagogischen Berufen.
- Vorstellungsrunde: Nutzen Sie ein Vorstellungsgespräch, um alle für Sie wichtigen Fragen zu klären. Im Idealfall haben Sie die Möglichkeit, die Arbeitsräume zu besichtigen. Dabei hören Sie heraus, welchen Ton die Angestellten untereinander pflegen.
- Schnuppertag: Ein Probearbeitstag ist das Beste, um einen authentischen Eindruck von der Arbeitsatmosphäre zu gewinnen.
Wer mit einer neuen Stelle liebäugelt und wissen möchte, wie der Arbeitgeber bewertet wird, findet auf entsprechenden Plattformen Kommentare von Angestellten. Ausserdem gibt es Rankings, Lohnvergleiche und Listen von Zusatzleistungen.
Kununu.com/ch
2007 in Wien gegründet, seit 2013 eine Tochterfirma des Netzwerks Xing. Im deutschsprachigen Raum
ist Kununu die grösste Plattform zur Bewertung von Arbeitgebern.
Glassdoor.de
Punktzahl: bis zu fünf Sterne, aber weniger detaillierte Schilderungen als bei Kununu. Glassdoor ermöglicht vor allem Lohnvergleiche.
Jobs.ch
Schweizer Unternehmen mit Beteiligungen der Verlagshäuser Tamedia und Ringier. Bietet Stellenausschreibungen, aber auch Bewertungen und Lohnvergleiche.