Was sagt die Handschrift aus?
Auf was wird bei einer Schriftanalyse geachtet? Wie aussagekräftig ist sie? Und wie ist die rechtliche Lage, wenn für eine Arbeitsstelle eine Schriftprobe verlangt wird?
Veröffentlicht am 20. Juli 2010 - 11:29 Uhr
Frage von Alfred S.: «In Stelleninseraten wird gelegentlich eine handschriftliche Bewerbung verlangt. Kann man denn aus der Schrift wirklich etwas über eine Person herauslesen? Könnte ich über eine Schriftanalyse auch mehr über meine Partnerin erfahren?»
Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:
Tatsächlich stützen sich noch immer einige Firmen auf graphologische Gutachten, wenn es um Neueinstellungen und Laufbahnfragen geht. Allerdings ist dies nur ein Element einer ganzen Reihe von Instrumenten zur Erfassung der Kompetenzen eines Kandidaten. Auch privat könnten Sie sich für eine Schriftanalyse an einen Graphologen wenden. Allerdings würde ich Ihnen dringend davon abraten, auf diese Weise zu versuchen, heimlich etwas über Ihre Partnerin zu erfahren.
Dagegen könnte es fruchtbar sein, gemeinsam Schriftanalysen machen zu lassen und die Resultate gemeinsam mit einer Fachperson zu diskutieren. Noch wichtiger, als über den Partner Bescheid zu wissen, ist es nämlich, sich selbst gut zu kennen. Es erleichtert den Umgang mit Paarkonflikten, wenn man seine eigenen Schwächen und Eigenheiten kennt.
Die Graphologie beruht auf der Ausdruckspsychologie. Diese geht davon aus, dass sich Seelisches im Körper ausdrückt, in der Mimik, der Gestik, im Tonfall, in den Körperbewegungen und eben auch in den Bewegungen der Hand und damit der Schrift. Wer wütend ist, runzelt die Stirn, wer Sorgen hat, geht gebückt, wer Angst hat, spricht hastig und leise. Während der körperliche Ausdruck flüchtig ist, bleibt die Schrift als seine Spur erhalten und kann so in Ruhe analysiert werden.
Schon in der Antike machte man sich Gedanken über das Verhältnis von Handschrift und Charakter. Ab dem 18. Jahrhundert wurde die Graphologie auch universitätswürdig. Seit 2005 schliesslich gibt es den geschützten Titel «Fachpsychologe in Schriftpsychologie».
Die Verlässlichkeit der Graphologie ist heute allerdings umstritten. Während sie sich wissenschaftlich bisher nicht beweisen liess, hat eine Umfrage der Schweizerischen Gesellschaft für Graphologie 2008 ergeben, dass Kunden die Begutachtung mehrheitlich als sehr gut und gewinnbringend einstufen. Auch die Kandidaten haben sich mehrheitlich gut erfasst gefühlt.
Graphologen sind also weiterhin vielbeschäftigt: in der Wirtschaft, aber auch in der Beratung von Privatpersonen mit Lebensproblemen, mit Laufbahnberatung oder auch ganz einfach, weil sich jemand selber besser kennenlernen will. Da wird dann nicht einfach ein Gutachten erstellt, sondern ein Beratungsgespräch geführt. Es handelt sich also eigentlich um eine psychologische Beratung mit dem zusätzlichen Hilfsmittel der Schriftdeutung.
Bei der Schriftanalyse werden Raumverteilung, Formgebung und die Art der Bewegung genau betrachtet. So spielen zum Beispiel Grösse, Weite, Regelmässigkeit, Druck, Richtung der Schrift und Rhythmus eine Rolle. Daraus wird unter anderem auf die Vitalität, die Stabilität, die Differenziertheit und die Beeinflussbarkeit des Verfassers geschlossen. Dieser komplexe Vorgang verlangt Fachkenntnisse, Erfahrung und nicht zuletzt auch eine gewisse Begabung. Eins-zu-eins-Entsprechungen wie die im Volksmund verbreitete Formel «Lange Unterlängen bedeuten starke Sexualität» gibt es nicht.
Natürlich existieren mehr oder weniger aussagekräftige Schriften. Und man sollte einen Menschen nicht nur aufgrund einer einzigen Stichprobe beurteilen. Die Graphologie behauptet denn auch nicht, einen unveränderlichen Charakter zu diagnostizieren. Denn Menschen entwickeln sich ihr ganzes Leben lang weiter. Auch deshalb ist es sinnvoll, eine graphologische Analyse mit einer Beratung zu verbinden. Qualifizierte Graphologen sind in einem Berufsverband zusammengeschlossen.
Weitere Infos
Schweizerische Graphologische Gesellschaft (SGG), Weinbergstrasse 102, 8006 Zürich, Telefon 044 364 50 51, www.sgg-graphologie.ch
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