Was muss ein Kind für die Schule können?
Der Trend geht hin zur immer früheren Einschulung von Kindern. Doch diese Entwicklung birgt auch Gefahren. Und: Früher eingeschulte Kinder gehen seltener aufs Gymnasium.
aktualisiert am 13. August 2018 - 18:26 Uhr
Die Möglichkeit einer vorzeitigen Einschulung bieten heute alle kantonalen Schulgesetze. Neben dem Alter ist der Entwicklungsstand des Kindes entscheidend. Dieser wird je nach Kanton und Schule allerdings auf unterschiedliche Weise überprüft.
Im Kanton Bern beispielsweise gilt: Die Schulleitung fällt den Entscheid aufgrund des Antrages der Lehrperson für den Kindergarten und in Absprache mit den Eltern. Ein solcher Entscheid entspricht dem Überspringen eines Schuljahrs. Dafür ist kein Antrag der Erziehungsberatungsstelle EB nötig. Bei Unsicherheiten kann die Schulleitung im Einverständnis der Eltern der EB einen Auftrag zu einer entwicklungspsychologischen Beurteilung geben.
Über das Verfahren in ihrem Kanton erkundigen sich interessierte Eltern am besten bei der zuständigen Schule. Da immer auch Fristen einzuhalten sind, sollten sie sich frühzeitig darum bemühen. Über das Gesuch entscheidet die Schulbehörde. Bei Ablehnung ist eine Beschwerde möglich. In der Praxis ist es so, dass je nach Kanton rund fünf bis zehn Prozent der Kinder früher als vorgesehen ins Schulsystem eintreten.
Viele Eltern glauben, eine frühe Einschulung führe zu einem besseren Schulabschluss und damit zu besseren Chancen im Berufsleben. Studien zeigen jedoch, dass der Vorsprung später wieder abflacht , ausser bei Hochbegabten. Der deutsche Frühlesetest Iglu kommt sogar zum Ergebnis, dass ältere Schüler deutlich besser abschneiden.
Diese Testergebnisse führen dazu, dass in Deutschland der Trend zur frühen Einschulung rückläufig ist und wieder vermehrt Gesuche auf Zurückstellung gestellt werden.
Auch eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung spricht sich gegen eine frühe Einschulung aus, weil früher eingeschulte Kinder seltener aufs Gymnasium gehen.
Die deutsche Bildungsökonomin Andrea Mühlenweg ortet bei früh eingeschulten Kindern noch andere Defizite: «Die Klassenjüngsten sind auffällig oft hyperaktiv , weniger ausdauernd und tun sich damit schwerer, sich auf Veränderungen einzustellen.»
Was hilft nun Eltern bei der Entscheidung? Sie sollten sich bei einem Antrag auf vorzeitige Einschulung ganz sicher sein. Gespräche mit Fachpersonen können bei der Beurteilung helfen. Falls man erhebliche Zweifel hat, lässt man eine frühere Einschulung besser.
Werden Kinder eingeschult, ist das nicht nur für die Kleinen ein bedeutender Einschnitt ins Leben. Der Beobachter bietet Eltern wertvolle Tipps rund um die Schule: Erfahren Sie als Mitglied unter anderem, wie Sie zu einem angenehmen Lernklima beisteuern können und welche Mittel Ihnen bei Unzufriedenheit mit der Schule offenstehen.
Pro:
- Die kognitiven, die sozial-emotionalen und die motorischen Fähigkeiten des Kindes sind entsprechend entwickelt und ausgeprägt (siehe «Das muss ein Kind in der Schule können»). Das heisst zum Beispiel, dass Mengen erfasst werden können, Präpositionen bekannt sind und benützt werden, Konflikte verbal gelöst werden können, das Kind über genügend Frustrationstoleranz, Selbstbewusstsein und Geduld verfügt.
- Das Kind äussert den Willen, in die Schule zu gehen. Das familiäre Umfeld ist anregend und die Unterstützung in der Familie vorhanden. Das Kind langweilt sich häufig in der Spielgruppe und im Kindergarten.
- Alters- und geschlechtstypisches Spielen wie etwa mit Puppen, Autos oder in der Küche ist beim Kind nicht mehr gefragt. Alphabet, Rechenaufgaben oder Lerncomputer sind von grösstem Interesse.
- Alle Spielkameraden kommen bereits in die Schule, und das Kind ist in diese Gruppe gut integriert.
- Der Geburtstag liegt nur wenige Tage hinter dem Stichtag.
Kontra:
- Das Kind ist kleiner als seine Altersgenossen und wirkt insgesamt sehr kindlich.
- Ein Schulthek mit Lernmaterialien ist für das Kind eine zu grosse Last.
- Es besteht eine Tendenz zu starken Allergien oder Infektionskrankheiten.
- Nach Spielgruppen- respektive Kindergartenmorgen ist das Kind sehr müde und braucht einen Mittagsschlaf.
- Auch wenn die kognitive Entwicklung weit fortgeschritten ist, ist das Kind emotional und sozial oft instabil. Es ist sehr sensibel, kann nicht ruhig sitzen, träumt oft und hat noch keine altersentsprechende Frustrationstoleranz.
- Ein früher eingeschultes Kind wird immer unter den Jüngsten in der Klasse bleiben. Je nach Persönlichkeit könnte es verstärkten Hänseleien und Mobbing ausgesetzt sein und darunter leiden.
- Beim Schulabschluss ist das Kind im Vergleich zu den Klassenkameraden immer noch sehr jung und kann bei der Lehrstellensuche Mühe haben.
- Es ist nicht garantiert, dass das Kind zwingend früher in die Berufswelt eintritt.
Je mehr Fragen mit Ja beantwortet werden können, desto eher ist ein Kind bereit für den Eintritt in die Schule.
Soziales Verhalten
- Ist das Kind kontaktfreudig?
- Kann es sich in einer Gruppe zugehörig fühlen?
- Hilft es anderen Kindern?
- Kann es seine Bedürfnisse angemessen zum Ausdruck bringen?
- Kann es sich wehren, ohne handgreiflich zu werden?
- Kann es sich in eine Gruppe einfügen?
- Kann es warten?
Selbständigkeit
- Kann sich das Kind allein an- und ausziehen?
- Kann es seine Sachen in Ordnung halten?
- Bewältigt es problemlos den Kindergartenweg?
- Kann es Vorsätze zielgerichtet umsetzen?
- Beschäftigt es sich mit unterschiedlichen Dingen?
Arbeitsverhalten
- Kann sich das Kind längere Zeit auf eine Tätigkeit konzentrieren?
- Kann es zuhören?
- Kann es sich allein beschäftigen?
Sprache
- Kann es Gehörtes mit eigenen Worten wiedergeben?
- Spricht es gut und verständlich?
- Versteht es Anweisungen und Verbote?
Körperliche Entwicklung
- Kann das Kind hüpfen, springen, turnen?
- Ist seine Gesundheit relativ stabil?
- Ist es altersgemäss entwickelt?
- Kann es schneiden, leimen, basteln?
Beobachten, Lernen, Denken
- Kann das Kind Farben unterscheiden?
- Erkennt es einfache Formen?
- Kann es zählen?
- Stellt es Fragen, um seine Umwelt zu verstehen?
- Kann es seinen Namen schreiben?
- Erkennt es einfache Zusammenhänge?
- Kennt es elementare Raum- und Zeitbegriffe?
Einstellung zur Schule
- Möchte das Kind von sich aus in die Schule?
- Kann es mit Misserfolg und Kritik umgehen?
"In den vergangenen Jahren haben die Kantone das Schuleintrittsalter mit dem HarmoS Konkordat harmonisiert und den Stichtag schrittweise angepasst. In 17 Kantonen ist der Stichtag bereits der 31. Juli. Bei 24 Kantonen liegt der Stichtag zwischen dem 1. April und dem 31. Juli. Im Kanton Graubünden ist es 30. Dezember und im Kanton Zug der 28/29 Februar."