Locker vom Hocker zu jedem Test
Viele sind wie gelähmt, wenn sie vor einem leeren Blatt sitzen. Dabei ist Abhilfe recht einfach.
Veröffentlicht am 4. Juli 2018 - 11:57 Uhr,
aktualisiert am 5. Juli 2018 - 11:03 Uhr
Kurz vor der Matheprüfung wurde ihr übel. Als Elena Anghelescu dann bleich vor den Lehrer trat, schickte er sie nach Hause. «Mein Mami braute mir einen Tee und steckte mich ins Bett», erzählt Anghelescu. Die Prüfung musste sie nachholen. Heute weiss sie, dass sie sich damals in der fünften Klasse vor Tests völlig verkrampfte, weil sie es unbedingt in die Bezirksschule schaffen wollte, die höchste Stufe im Kanton Aargau.
Die Prüfungsangst liess sie auch in der «Bez» nicht los. «Ich habe immer viel gepaukt, um mich sicher zu fühlen.» Gebracht hat es nichts: Zu Hause wusste sie alles, über dem Prüfungsbogen wollte ihr nichts mehr einfallen. Am schlimmsten war es in Französisch. «Wenn ich eine Wörtliprüfung hatte, war mein Kopf leer», sagt die mittlerweile 29-Jährige.
Irgendwann wollten die Lehrer wissen, ob ihre Eltern sie unter Druck setzten. Elena verneinte. Heute sagt sie: «Die Eltern wollten, dass ich eine gute Schülerin bin. Den Druck aber habe ich mir selber gemacht.» Später meldete sich Anghelescu für den Studiengang Kommunikation an einer Fachhochschule an. Den schriftlichen Teil der Aufnahmeprüfung meisterte sie mit links, den mündlichen nicht, denn die Prüfungsangst überrollte sie erneut. Ihr wollte absolut nichts einfallen, und die Befrager brachen die Prüfung ab.
«Wenn man sich die Angst eingesteht, hat man den ersten Schritt zur Heilung geschafft.»
Salome Lienert, Psychologische Beratungsstelle der Uni und ETH Zürich
Elena Anghelescu schrieb einen Brief, in dem sie ihre Angst erklärte. Prompt wurde sie zu einer Wiederholung eingeladen. «Nun probte ich das Gespräch mit Kollegen, stundenlang», sagt sie. Es klappte.
Im Studium wurde die Prüfungsangst wieder schlimmer. Vor der Schlussprüfung plagten Anghelescu wochenlang Alpträume. Sie träumte, sie würde versagen. Psychologische Hilfe wollte sie nicht, denn sie schämte sich für ihre Angst. Also wählte sie die Exitstrategie: Studium aufgeben. «Ich musste mir eine Auszeit nehmen und an meiner Angst arbeiten.»
«Prüfungsangst kann sich durch viele Symptome äussern», sagt Salome Lienert, die an der Psychologischen Beratungsstelle der Uni und ETH Zürich Gruppencoachings leitet. Das Gefühl, dass man ausgeliefert ist, dass man es ohnehin nicht schaffen kann. Dazu kämen vegetative Symptome wie Übelkeit, zittrige Hände oder Schweissausbrüche. «Das alles kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Flüchtigkeitsfehlern und Blackouts», sagt die Psychologin. Sie empfiehlt Betroffenen, sich Hilfe zu holen – in Form von Fachliteratur, Gruppenangeboten oder individuellen Gesprächen. Denn: «Wenn man sich die Angst eingesteht und sie angeht, hat man den ersten Schritt zur Heilung geschafft.»
Eltern können helfen, damit Kinder ihre Hausaufgaben selbständig erledigen. In der Checkliste «Lernstrategien für das Schulkind» erfahren Beobachter-Mitglieder, welche Ziele sich die Tochter oder der Sohn vornehmen könnte und wie man das Kind richtig motiviert.
Das alles tat Elena Anghelescu. Sie las sich durch psychologische Ratgeber und Websites, sprach mit Freunden über ihre Angst. Und mit den Eltern. Das hat ihr gutgetan: «Ich merkte, dass sie mich nicht als Versagerin betrachten. Damit schwand der Druck, den ich mir machte.»
Nach der Auszeit nahm sie ihr Studium an einer anderen Schule wieder auf. Im Pausenjahr hatte sie sich Strategien angeeignet: Direkt vor den Prüfungen blätterte sie nicht mehr in Büchern. Während der Prüfung deponierte sie eine analoge Uhr auf dem Tisch, denn «die tickte so viel langsamer als die Uhr in meinem Kopf». Zudem trägt sie bis heute an fast jedem Finger einen Ring, mit dem sie spielen kann, um Nervosität abzubauen.
«Mit einer guten Lernstrategie ist schon viel erreichbar.»
Leo Hackl, Psychologe
Und sie hat an ihrer Einstellung gefeilt: «Ich hatte nicht mehr den Anspruch, die besten Noten zu erreichen und alle Fragen komplett zu beantworten.» Heute hat Elena Anghelescu den Bachelor Kommunikation in der Tasche.
Wenn sich jemand professionelle Hilfe holt, kann er bei Leo Hackl im zürcherischen Thalwil landen. Der auf Prüfungsangst spezialisierte Psychologe stellt seinen Klienten in der ersten Sitzung eine Menge Fragen. «Haben Sie Magenschmerzen? Durchfall? Fühlen Sie sich vor einer Prüfung wie erstarrt? Zittrig? Tauchen die Probleme bereits beim Lernen auf?» Dann gibt er Tipps.
Dabei stützt sich Hackl auf Studien, die etwa ergeben haben, dass Jugendliche abends besser lernen und Erwachsene morgens. Oder dass es wichtig ist, Lerneinheiten im richtigen Abstand zu wiederholen – idealerweise nach zehn Stunden. «Mit einer guten Lernstrategie ist schon viel erreichbar», sagt Hackl. Denn wenn man sich sicherer fühle, nehme auch die Angst ab.
Zudem setzt der Psychologe auf Atemtherapie. «Die richtige Atmung funktioniert wie eine Beruhigungspille.» Er empfiehlt, bewusst und langsam auszuatmen, dann eine kurze Pause einzulegen und das Einatmen geschehen zu lassen. Das beruhige nach einigen Wiederholungen, so dass man wieder handlungsfähig sei.
Gegen Prüfungsangst helfe auch die sogenannte paradoxe Intervention. Mit dieser Methode, behauptet Hackl, habe er in 95 Prozent der Fälle Erfolg. «Sie funktioniert wie der Trick beim Schluckauf: Ich sage jemandem, er bekomme 50 Franken, wenn er nochmals hickst. Dann kriegt er das nicht hin.» Genauso sei es, wenn er jemandem «Angst verschreibe». Dann trete sie nicht auf, denn sie sei wie der Schluckauf ein Spontanphänomen. «Wenn ich die Angst willentlich hervorrufen will, wird sie blockiert. Das setzt einen neurologischen Prozess in Gang, der die Angst vollständig auflösen kann.»
Auf Entspannungsübungen und Gesprächstherapie setzt auch Lerncoach Katrin Piazza aus Zürich, die Kinder und Erwachsene mit Prüfungsangst betreut: «Atemtechniken, Yoga oder Rituale wie ein warmes Bad, eine Fussmassage oder ein Gesellschaftsspiel am Abend vor der Prüfung können die Angst lindern.» In Sitzungen spricht sie über Angst und Lernstrategien. «Die Prüfungsangst ist relativ gut behandelbar. Denn es gibt viele Anti-Stress-Instrumente», sagt Piazza.
Als Trick bei einem völligen Blackout empfiehlt sie etwa, das Prüfungsblatt zu wenden und darauf die Einkaufsliste fürs Wochenende oder fünf Lieblingsfilme zu notieren. «Es darf nichts Schwieriges sein, aber man sollte dabei durchaus denken müssen», so Piazza. Dadurch gewinne man neue Zuversicht und könne sich wieder auf die Prüfung konzentrieren.
- Gute Vorbereitung hilft, entspannt an die Sache heranzugehen.
- Am Vortag der Prüfung nichts Neues lernen.
- Sich bewusstmachen, dass Angst vor einer Prüfung normal ist.
- Genügend schlafen.
- Trinken Sie keinen Kaffee und keine Energydrinks. Sie machen nervös.
- Unmittelbar vor einer Prüfung nicht mit den Kollegen über den Stoff diskutieren. Stattdessen: sich zurückziehen und seinen Lieblingssong hören.
- An der Prüfung mit einer einfachen Frage beginnen. Erst zum Schluss auf Fragen zurückkommen, bei denen man die Antwort nicht gewusst hat.
- Falls man dennoch nervös ist: sich einen Moment zurücklehnen, tief durchatmen. Die Hände zu Fäusten ballen und sie wieder entspannen. Oder Kaugummi kauen.
Buchtipp
Helga Knigge-Illner: «Prüfungsangst besiegen»; Campus, 2010, 252 Seiten, CHF 28.90