Update vom 12. Juli 2018 – «Jetz isch gnuag Heu dunna!»

Im Juni 2018 gab der Bündner Biobauer Tumasch Planta auf: «Jetz isch gnuag Heu dunna!» sagte er an der Pressekonferenz in Scuol GR. Die Bündner Justiz hatte sich viel Zeit gelassen und Plantas dreiteilige Klage gegen den Kantonstierarzt separat behandelt. Klage eins (wegen Tierquälerei) war bereits 2012 verjährt, Klage zwei (Dokumentenfälschung) wurde vom Bündner Kantonsgericht eingestellt, und bevor Klage drei (Amtsmissbrauch) verjährt wäre, hörte Planta auf – enttäuscht und verärgert über «die schmutzige Art der Bündner Justiz, die Bürger zum Narren zu halten», wie er dem Beobachter sagte. Der Prozess kostete ihn und seine Mitstreiter vom Verein Blaudistel rund 80'000 Franken. 
 

René Ammann

So berichtete der Beobachter am 20. Juli 2009:

Die erste Razzia oberhalb Scuol GR findet Ende Juni statt: Kantonspolizisten versuchen, jene 120 Schafe ins Tal zu bringen, die Tumasch Planta nicht gegen die Blauzungenkrankheit geimpft hat. Rund 50 Impfgegner lassen die Aktion scheitern – doch ihr Triumph ist von kurzer Dauer. Die Polizisten kommen wieder, in der Nacht auf den 15. Juli. Im Licht einer mobilen Anlage sortieren sie die ungeimpften Schafe aus einer Herde von 1000 Tieren heraus und fahren sie ins Tal, wo Kantonstierarzt Rolf Hanimann sie sofort impfen lässt. Biobauer Planta ist fassungslos: «Die Behörden nehmen mir meine Tiere, impfen sie gegen meinen Willen und bringen sie an einen geheimen Ort.»

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Die Aktion ist bisheriger Höhepunkt des Konflikts, den sich mehrere Kantone mit rund 200 Bauern liefern. Diese weigern sich trotz des Obligatoriums, Schafe und Rinder gegen die Blauzungenkrankheit zu impfen (siehe Box «Impfobligatorium seit 2008»). Damit riskieren sie aus Sicht der Behörden, dass sich die Seuche auf Schafe und Kälber ausbreitet, die jünger als drei Monate sind und nicht geimpft werden können. Die Strafen sind drakonisch: Kantone sprechen Bussen von bis zu 20'000 Franken aus, erlassen Transportverbote für ungeimpfte Tiere, verbieten den Kontakt zu geimpften Tieren, verhängen Alpsperren. Oder sie impfen in Blitzaktionen wie bei Scuol und zuvor auf einer Urner Alp.

Biobauern misstrauen dem Impfstoff

«Die Behörden kriminalisieren uns, als seien wir Schwerverbrecher», sagt Impfverweigererin Donata Clopath aus Donat GR. Sie muss ihren Betrieb diesen Sommer völlig umkrempeln. Normalerweise führt sie ihre Tiere wie alle Bergbauern über den Sommer auf eine Alpweide – blieben sie unten im Tal, würde das Futter nicht durch den Winter reichen. «Weil ich meine Tiere nicht geimpft habe, darf ich sie jetzt nur auf die Magerwiese beim Maiensäss bringen und bin auf die Unterstützung von Freunden angewiesen», sagt sie. «Sie haben mir zugesichert, mir über den Winter mit Futter auszuhelfen.» Einige umgehen die Sömmerungsverbote ungerührt. Toni Suter aus Goldau SZ: «Im Sommer müssen wir mit unseren Tieren auf die Alp. Wenn wir legal nicht hochdürfen, machen wir es halt illegal.» Schliesslich seien seine Tiere gesund.

Der Widerstand kommt vor allem von Biobauern. Sie misstrauen dem Impfstoff: Gemäss Studien ist er zwar unbedenklich, doch viele Viehhalter erklären sich mit ihm die Aborte und Todesfälle, die sich nach der letztjährigen Impfung gehäuft hätten. Tumasch Planta sagt zudem: «Ich verspreche meinen Kunden, nach biologischen Grundsätzen zu produzieren. Ich kann meinen Tieren doch nicht einen Impfstoff spritzen, von dem ich befürchte, dass er Rückstände im Fleisch zurücklässt.»

Rolf Hanimann rechtfertigt das Durchgreifen der Behörden. «Bauern müssen ihre Tiere impfen oder dafür sorgen, dass sie nicht mit anderen Tieren in Kontakt kommen – das ist die Vorschrift», sagt er. «Wenn Sie zu schnell Auto fahren und dabei geblitzt werden, können Sie auch nicht sagen: ‹Es ist ja nichts passiert.› Sie werden trotzdem gebüsst.» Es bestehe reale Gefahr: In Graubünden sei das Virus nachgewiesen worden, ebenso die Mücke, die die Krankheit überträgt – selbst in einer Höhe von 2100 Metern. Hanimann zeigt zwar Verständnis für das Misstrauen. Aber: «Übers Ganze gesehen, bewahrt die Impfung zahlreiche Tiere vor einer Erkrankung.»

Impfobligatorium seit 2008

Die Blauzungenkrankheit ist eine Infektionskrankheit der Wiederkäuer, die im Sommer von Mücken übertragen wird. Gefährdet sind vor allem Rinder und Schafe. Die Krankheit ist für die Tiere belastend und kann tödlich verlaufen, zudem verursacht sie hohe wirtschaftliche Schäden. Für Menschen besteht keine Ansteckungsgefahr.

Erstmals 2007 trat die Krankheit in der Schweiz auf. Seit 2008 besteht ein Impfobligatorium für Schafe und Rinder, die älter als drei Monate sind. Die Schweiz blieb so mit 35 Fällen weitgehend von der Seuche verschont, während etwa Frankreich 30'000 Fälle registrierte. Seither herrscht auch dort Impfzwang, ebenso in Deutschland. In Österreich ist die Impfung seit diesem Jahr wieder freiwillig.