Die Dörfer um Mühleberg sind beschaulich. Man kennt sich, weiss viel voneinander, doch seit ein paar Jahren gibt es ein Tabuthema: Krebs. 25 Jahre nach der Filterpanne berichten Anwohner aus den Dörfern Detligen, Oltigen, Salvisberg, Oberruntigen, Oberei, Mauss und Frauenkappelen dem Beobachter über auffallend viele Krebsfälle. Alle scheinen davon zu wissen, mit dem Namen hinstehen wollen nur wenige.

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Eine von ihnen ist Donatella Corbat aus Detligen. Das Dorf mit 400 Einwohnern liegt knapp fünf Kilometer nördlich des AKWs. Vor 20 Jahren sind ihr die vielen Krebserkrankungen aufgefallen, später begann sie, die Namen der Betroffenen aufzuschreiben. Inzwischen sind 14 Personen auf ihrer Liste, sie selbst ist eine davon. Viele waren jünger als 50. Allein in ihrer Quartierstrasse hatten in den letzten Jahren sieben Personen Krebs. «Manchmal frage ich mich schon, ob da nicht ein Zusammenhang mit dem AKW besteht.»

«Da stimmt doch etwas nicht»

Nur halb so weit vom Atomkraftwerk entfernt liegt das 60-Seelen-Dorf Oltigen. Mindestens elf Personen seien in den letzten Jahren an Krebs erkrankt, berichtet Biobauer Walter Ramseier. Oder die Siedlung Oberei, 16 Einfamilienhäuser, 1500 Meter östlich des AKWs: Die 81-jährige Heidi Koch sagt, sie habe jahrelang geschwiegen. Heute prangt auf ihrem Auto ein Anti-AKW-Kleber. Eine Mutprobe in Dörfern, wo die meisten Leute im AKW arbeiten. Seit 15 Jahren führt auch sie eine Liste, inzwischen hat sie zwölf Personen notiert, die in ihrem Weiler an Krebs erkrankt sind. Auf einem Dorfplan hat sie die Häuser angekreuzt, in denen jemand Krebs hatte. Fast alle sind inzwischen markiert. «Da stimmt doch etwas nicht», sagt sie.

Vom Beobachter befragte Experten warnen vor voreiligen Schlüssen. Es seien zu wenig Fälle, um statistische Schlüsse daraus ziehen zu können. Theoretisch könne Krebs irgendeinen Ursprung haben.

Doch inmitten dieser Dörfer steht eben Mühleberg mit seinem Siedewasserreaktor. In diesem Typ AKW gelangt das Wasser im Reaktor als Dampf direkt in die Turbinen im Maschinenhaus – der Kreislauf des radioaktiven Kühlmittels ist also nicht auf das Reaktorgebäude beschränkt. Es entsteht sogenannte Direktstrahlung, auch im Normalbetrieb. Die Dosen lagen in vergangenen Jahren teils markant höher als etwa die Werte um das AKW Gösgen, aber doch weit unter den zulässigen Grenzwerten.

Doch auch über den Kamin und das Abwasser gelangen geringe Mengen Radioaktivität in die Umgebung. Das Basler Kantonslabor hat im Auftrag der Zeitschrift «Gesundheitstipp» erhöhte Tritiumwerte im Schnee unweit des AKWs und in der Aare unterhalb des Werks nachgewiesen. Auch diese Dosen lagen weit unter den Grenzwerten. Unter Wissenschaftlern wird jedoch seit Jahren diskutiert, ob diese sogenannte Niedrigstrahlung viel schädlicher sein könnte als bisher angenommen.

«Es gibt keine unbedenkli­che Strahlung»

Mediziner Martin Walter, Exponent der Organisation Ärzte für soziale Verantwortung, sagt: «Es gibt keine unbedenkliche Strahlung. Jede zusätzliche Strahlung kann Krebs auslösen.» Es gebe weltweit etliche Studien, die Indizien dafür liefern, dass in der Nähe von Kernanlagen Menschen vermehrt an bösartigen Tumoren erkranken. Er fordert, die Grenzwerte drastisch zu senken, «sie sind zehnmal zu hoch».

Auch wenn statistisch keine Schlüsse gezogen werden können und ein Krebsregister im Kanton Bern noch immer fehlt, geben allein die Schilderungen der Einwohner zu denken. Der Fall von Bauer S. ist der erschütterndste. Auf seinem Hof gleich neben dem AKW wurde während der Filterpanne 1986 die höchste Radioaktivität festgestellt. An ihm errechnete die Überwachungsbehörde, dass die «maximal zulässige Jahresdosis» nicht erreicht worden sei. Dem Bauern wurde geraten, sein Gemüse nicht zu essen. Wenige Jahre nach der Filterpanne erkrankte Bauer S. an Krebs und verstarb. Auch seine Tochter ist inzwischen an Krebs erkrankt.