Darum lohnt es sich, Videos schneller abzuspielen
Wer Filme oder Podcasts einen Zacken schneller abspielt als gewohnt, spart Zeit – und bringt auch gleich das Gehirn auf Touren.
Veröffentlicht am 28. Februar 2022 - 17:00 Uhr
Moderne Technik macht es möglich: Filme oder Hörbücher kann man schneller oder langsamer abspielen – ohne dass das Bild ruckelt oder die Stimme verzerrt wird. Das gilt auch für Videos bei Youtube oder Netflix, Nachrichten in der SRF-Mediathek sowie Vorlesungen der Unis Zürich und Bern.
Schnelleres Abspielen ist interessant, wenn man sich in kurzer Zeit möglichst viel zu Gemüte führen will. Auf Netflix verfolgen «Speedwatcher» ihre Lieblingsserien mit Faktor 1,2 – also um 20 Prozent schneller als normal. Nach einer Eingewöhnungszeit erhöhen manche auch bis Faktor 2 und verschaffen sich so einen raschen Überblick über verpasste Serienfolgen.
Das beschleunigte Abspielen eignet sich auch bei seriöseren Themen, etwa wenn man sich viel Lernmaterial in kurzer Zeit aneignen will. Hier kommt ein interessanter Nebeneffekt ins Spiel: Wer schneller lernt, kann es sich besser merken. Das zeigen verschiedene Studien. Schon 2001 berichtete Joel D. Galbraith von der Brigham Young University in Provo (USA) von Versuchen mit Studierenden. Sie spielten Lernvideos schneller ab, die meisten favorisierten einen Faktor von 1,5. Der Lerneffekt schien so grösser zu sein. Galbraith vermutet, dass man sich beim Zuhören stärker konzentrieren muss und dadurch mehr Leistung vom Gehirn fordert.
«Das Gehirn belohnt Anstrengung mit besserer Merkleistung.»
Martin Korte, Hirnforscher an der Technischen Universität Braunschweig
Im Jahr 2020 liess ein Team um David Lang von der kalifornischen Stanford University Videos mit dem Faktor 1 respektive 1,25 abspielen und stellte fest: Wer schneller konsumierte, hatte tendenziell bessere Noten.
«Tatsächlich belohnt das Gehirn Anstrengung mit besserer Merkleistung», sagt der Neurobiologe und Hirnforscher Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig. Wenn eine Aufgabe anspruchsvoll ist, wird Dopamin ausgeschüttet. Das erhöht die Aufmerksamkeit und verbessert den Lerneffekt. Am besten lerne man natürlich immer noch mit einem menschlichen Mentor. Aber wenn es etwa darum geht, Stoff aus einer Vorlesung oder Fortbildung nachzuarbeiten, könne schnelleres Abspielen ein gutes Instrument sein, um besser zu lernen.
«Wie viel schneller Lernende aber tatsächlich den Stoff abspielen und ihm dabei noch folgen können, hängt im Wesentlichen von der Informationsdichte des Materials und vom Vorwissen ab», sagt Korte. Falls eine Lehrperson ohnehin schon schnell spricht, erschwert ein noch schnelleres Abspielen eher das Verständnis.
Auch bei einem neuen, komplexen Thema hat das Gehirn Schwierigkeiten, zu folgen. Dann muss man öfter noch mal zurückspulen und Passagen erneut anhören. «Das nervt und stresst.» Und Stress stört beim Lernen, man wird unaufmerksam, lässt sich ablenken. «Ich würde daher nicht allen pauschal empfehlen, Vorlesungen schneller abzuspielen», sagt Korte. Das passende Tempo müsse jede und jeder für sich selbst herausfinden.
Martin Korte variiert auch selbst gern. «Ich höre Hörbücher in Deutsch mit dem Faktor 1,2 – Hörbücher auf Englisch aber in normalem Tempo, weil es für mich eine Fremdsprache ist.» Wenn er aber nach einem deutschen Hörbuch vergesse, die Geschwindigkeit zu reduzieren, und auf ein englisches Buch wechsle, merke er, dass der Stress nach einer Weile zunehme. «Hier braucht mein Gehirn einfach mehr Zeit.»
Kann man Sprachen im Schlaf lernen?
Allerdings ist wie immer die Dosis entscheidend. Der Hirnforscher ist daher auch kritisch, wenn es um das Verschlingen von Serien geht. «Eigentlich sehen wir uns einen Film an, um entspannt abschalten zu können.» Sich stundenlang Serien im Schnellgang reinzuziehen, bedeute für das Gehirn aber eher Stress. «Wer das sehr häufig tut, muss damit rechnen, dass sein Aggressionspotenzial durch die unbewusste ständige Überforderung des Gehirns steigt.»
Langfristig können auch Schlafrhythmus und -qualität gestört werden, Kopfschmerzen treten häufiger auf. «Zudem entwickelt sich eine Diskrepanz, denn die reale Welt läuft nun mal langsamer ab als ein mit Faktor 1,5 abgespielter Film», sagt Korte. Betroffene langweilen sich schneller, sind ungeduldiger und spüren einen Drang, möglichst bald wieder in ihre schnellere Serienwelt zurückzukehren.
Es gibt aber auch Leute, die es gemächlicher mögen. «Ältere Gehirne sind langsamer getaktet», sagt Korte. Viele Ältere oder Menschen mit Handicap verstünden langsam Gesprochenes besser und könnten so Nachrichten aus Mediatheken oder Spielfilmen besser folgen – zumal auch Untertitel länger eingeblendet bleiben. Viel langsamer als mit Faktor 0,9 oder 0,8 sollte man das Medium aber nicht abspielen, weil sonst die Sprache unnatürlich verzerrt sein könne.
Auch langsamer abgespielte Hörbücher sind für Ältere eine Alternative. Und wer auf Youtube eine Anleitung anschaut, um etwa ein Lied auf Klavier oder Gitarre nachzuspielen, kann besser folgen, wenn sie langsamer abläuft.
Anbieter | auf dem Smartphone | im Browser |
---|---|---|
Youtube | ja | ja |
Netflix | ja | ja |
Amazon Prime Video | nein | nein 1 |
Disney+ | nein | nein 1 |
Apple TV+ | nein | nein 1 |
VLC Media Player | ja | ja |
Play SRF (Mediathek) | nein | ja |
ARD-Mediathek | nein | ja |
ZDF-Mediathek | nein | ja |
Deezer | nein | nein |
Spotify | nein 2 | nein |
Audible | ja | ja |
Apple Podcasts | ja | ja |
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