Klüger über Nacht
Der Traum vom Lernen im Schlaf beschäftigt Forschende seit Jahrzehnten. Wissenschaftler sagen, mit welchen Methoden wir im Tiefschlaf Neues aufnehmen können.
Veröffentlicht am 11. November 2019 - 09:40 Uhr
Es könnte so einfach sein. Vor dem Einschlafen den Abspielknopf auf dem Handy drücken, sich über Nacht mit englischen, spanischen, chinesischen oder anderen Vokabeln berieseln lassen und am Morgen mit einem grösseren Wortschatz aufwachen. Lernen im Schlaf – schnell, einfach und effektiv: Das versprechen zahlreiche Ratgeberbücher, Lern-Apps und Youtube-Videos.
Bis vor wenigen Monaten hätten die meisten Wissenschaftler weltweit dies wohl als Wunschdenken abgetan. Anfang dieses Jahres hat ein Forscherteam der Universität Bern nun aber zum ersten Mal belegen können, dass im Tiefschlaf tatsächlich Wörter einer Fremdsprache mitsamt ihrer deutschen Übersetzung gelernt und im Wachzustand abgerufen werden können.
Dazu hat das Forscherteam 41 Freiwilligen während eines Nachmittagsschlafs verschiedene Wortpaare jeweils viermal über einen Kopfhörer präsentiert. Bei den vermeintlichen Fremdwörtern handelte es sich um Fantasiebegriffe. So stand «Aryl» etwa für Korken und «Tofer» für Haus. Nach dem Aufwachen wurden den Testpersonen die Pseudobegriffe erneut präsentiert.
Danach mussten sie sich entscheiden, ob beispielsweise ein «Aryl» in eine Schuhschachtel passen würde oder nicht. Dabei lag etwas mehr als die Hälfte mit ihrer Vermutung richtig. Die Trefferquote stieg auf 60 Prozent, wenn das zweite Wort eines Paars mindestens zweimal in einer aktiven Phase der Nervenzellen abgespielt wurde.
Diese Aufwärts- und Abwärtswellen des Gehirns wechseln sich im Tiefschlaf alle 500 Millisekunden ab. «Nur wenn ein Wort exakt auf dem Höhepunkt einer Welle abgespielt wird, kann diese sehr kurze Aktivphase genutzt werden, um neue Information ins Gehirn einzuspielen», erklärt Marc Züst, der Ko-Erstautor der Studie. Und genau hier liegt das Praxisproblem.
Die Testpersonen schlafen mit über 30 Elektroden, welche die Hirnstromwellen exakt messen. Zusätzlich verfolgen mehrere Forscher die Schlafentwicklung, reagieren umgehend, wenn jemand aufzuwachen droht. «Und selbst unter diesen idealen Laborbedingungen können sich die Testpersonen nicht aktiv an einen Begriff erinnern, sondern haben nur ein unterbewusstes Gefühl dafür», so Züst.
Komplett neue Dinge im heimischen Schlafzimmer zu lernen, bleibt also trotz der bahnbrechenden Studienergebnisse aus Bern vorerst ein Wunschtraum.
Anders sieht es aus, wenn Wissen, das im Wachzustand gelernt wurde, im Schlaf nochmals präsentiert wird. Das zeigte der Biopsychologe Björn Rasch von der Universität Freiburg mit einem Experiment. Dabei lernte die Hälfte einer Gruppe von Versuchspersonen kurz vor dem Einschlafen 120 holländisch-deutsche Wortpaare. 60 davon wurden den Probanden im Schlaf nochmals leise vorgespielt. Beim späteren Vokabeltest konnten sich die Testpersonen signifikant besser an jene Wörter erinnern, die sie im Schlaf nochmals gehört hatten.
Ebenfalls interessant: Die andere Hälfte der Versuchsgruppe ging nach dem Vokabeln-Pauken nicht zu Bett, sondern hörte sich die Wiederholungen der ausgewählten Wörter im wachen Zustand an. Ihre Resultate zeigten keinen Unterschied zwischen den Wörtern, die sie gehört hatten und jenen, die sie nicht abgespielt bekamen.
«Diese Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass der Schlaf wesentlich zur Gedächtnisbildung beiträgt», erklärt Rasch. Um Informationen wie Vokabeln besser im Langzeitgedächtnis abzuspeichern, ist der Tiefschlaf relevant. Dieser tritt vor allem in den ersten drei Stunden nach dem Einschlafen auf.
Je länger man schläft, desto länger dauert der REM-Schlaf an. In dieser Phase der schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movements) lassen sich möglicherweise auch komplexe Bewegungsabläufe besser im Gedächtnis behalten (siehe Infobox unten «Warum Schlaf für das Gehirn so wichtig ist»).
Indem Gelerntes im Schlaf nochmals präsentiert wird, kann die Aktivierung des Gehirns verstärkt und die Erinnerung verbessert werden. Doch auch hier dürfte die Umsetzung unter Realbedingungen schwierig sein.
Das zeigt eine aktuelle Studie von Björn Rasch. Dabei erhielten verschiedene Testpersonen Audioabspielgeräte mit Kopfhörern. Zu Hause sollten sie die Audiodatei kurz vor dem Einschlafen starten. Nach einer 30-minütigen Ruhezeit spielte das Gerät leise Vokabeln ab.
«Wir gehen davon aus, dass in gewissen Fällen die Audioaufnahme den Schlaf gestört hat.»
Björn Rasch, Biopsychologe an der Universität Fribourg
Die Ergebnisse beim anschliessenden Vokabeltest waren relativ durchzogen. So hat sich zwar bei einem Drittel der Testpersonen tatsächlich eine Verbesserung gezeigt, bei ebenfalls einem Drittel haben sich die Ergebnisse jedoch sogar verschlechtert. «Wir gehen davon aus, dass in diesen Fällen die Audioaufnahme den Schlaf und somit den natürlichen Speicherungsprozess gestört hat», erklärt Rasch. Und ergänzt: «Weitaus am effektivsten ist es weiterhin, am Tag aktiv zu lernen und sich dann eine ausgedehnte Nachtruhe zu gönnen.»
Die Schlafphasen
Eine typische Acht-Stunden-Nacht wird aufgrund von Hirnstromaktivitäten, Muskelspannung und Augenbewegungen in die oben dargestellten Schlafphasen eingeteilt.
«Im Schlaf können Bewegungsabläufe geübt und verbessert werden», sagt Daniel Erlacher, Psychologe und Sportwissenschaftler an der Universität Bern. Das passiert im Klartraum . Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass der Schlafenden bewusst ist, dass sie gerade träumt.
Rund die Hälfte aller Menschen erlebt mindestens einmal im Leben einen Klartraum, jeder fünfte sogar einmal im Monat oder häufiger. Die luziden Träume treten vor allem in der REM-Schlafphase auf, in der das Gehirn überaus aktiv ist.
Im Rahmen einer Studie forderte Daniel Erlacher Testpersonen vor dem Schlafengehen auf, im Klartraum Münzen in eine Tasse zu werfen. All jene, die im Schlaf ihre Fertigkeiten geübt hatten, zielten am nächsten Morgen um 40 Prozent besser.
«Teilweise kann ein Klartraum schon beim ersten Versuch provoziert werden.»
Daniel Erlacher, Psychologe und Sportwissenschaftler, Universität Bern
Auch bei Sportlern zeigte das Traumtraining Wirkung . So übten etwa Schwimmer im Klartraum neu gelernte Stile. Im nächsten Wachtraining setzten sie diese besser um. Gemäss Erlachers Erhebungen nutzen viele Klarträumer diesen besonderen Bewusstseinszustand allerdings vor allem, um verrückte Dinge zu erleben, bestimmte Menschen zu treffen oder für sexuelle Interaktionen.
Klarträume lassen sich provozieren. Dazu empfiehlt der Forscher, über mehrere Wochen hinweg Träume aufzuschreiben und wiederkehrende Elemente zu identifizieren. Wer im Traum erneut auf dieses Element trifft, wird im besten Fall darauf aufmerksam und erkennt, dass er träumt.
Noch effektiver wird das Verfahren dann, wenn man nach sechs Stunden Schlaf aufwacht, seinen Traum niederschreibt und dann weiterschläft. «Teilweise kann ein Klartraum so schon beim ersten Versuch provoziert werden, teilweise erst nach einigen Wochen», so Erlacher.
1 Kommentar
Etwas Neues unter der Sonne? Am 11.9.1964 hat der "Brückenbauer" (eh. Zeitung der eh. Partei der Migros) ein Gerät zum "Lernen im Schlaf" vorgestellt. Vertrieben wurde es von "Ex Libris". Funktioniert hatte es so: An einem Plattenspieler wurde eine Zusatzeinrichtung angebracht. Diese hat den Tonarm an einer einstellbaren Stelle abgehoben und, ebenfalls einstellbar, ein paar Rillen zurückgesetzt. Damit wurde eine wählbare Sequenz, zB. Vokabeln, auf der Schallplatte dauernd wiederholt. Abgehört wurde über einen Kissenlautsprecher. Ob es den gewünschten Erfolg hatte weiss ich nicht, auf jeden Fall musste der Erfinder den Konkurs anmelden.