Im Land der Dörrbohnen
Urs und Christine Frühauf dörren jährlich rund zehn Tonnen Bohnen und verhelfen einem traditionellen Produkt zu einer Renaissance.
aktualisiert am 18. Oktober 2018 - 15:54 Uhr
Christine Frühauf wäscht das frische Gemüse für das Mittagessen schon in der Morgendämmerung am Brunnen. Später wird sie kaum mehr Zeit dafür haben, auf dem Hof Grünboden ist Hochsaison. Ab Mitte Juli ist im hügeligen Umland der Luzerner Gemeinde Pfaffnau Bohnenerntezeit.
Draussen bei der Scheune hilft Christines Mann Urs dem Bohnenbauern Thomas Achermann, die vollen Kisten aus dem Anhänger zu heben. 400 Kilo frische Bohnen hat der Landwirt gebracht, seine eigenen. Morgen wird er mit seiner Erntemaschine auf dem Feld des Nachbarn arbeiten. Die Gegend ist seit einigen Jahren wieder Bohnenland. Wie sie es bis zum Ersten Weltkrieg schon mal war, bevor der Gemüseanbau durch die Milchwirtschaft verdrängt wurde.
In dieser Region, die an die Kantone Aargau und Bern grenzt, bauen heute fünf Bauern wieder Buschbohnen an. Biobohnen, die Christine und Urs Frühauf seit 2005 auf ihrem idyllischen Bauernhof zu Dörrbohnen verarbeiten. Zu einem Produkt, das früher in der Schweiz weit verbreitet war und das zum kulinarischen Erbe des Landes gehört.
Im eigenen Garten pflanzen die ehemalige Lehrerin und der gelernte Automechaniker mit viel Leidenschaft verschiedene alte Gemüsesorten an, traditionelle Blumen und Futterpflanzen für Insekten und Vögel. Den riesigen Gemüsegarten hinter dem Haus säumen rosa-violette Malven, die Christine Frühauf auf einem Setzlingsmarkt von Pro Specie Rara gekauft hat. Dahinter stehen lange Reihen mit Feder- und Palmkohl, Kürbissen und Melonen, roten und gelben Mangoldpflanzen, Petersilienwurzeln und Pastinaken. Unterhalb des Hofes grast eine Herde Walliser Landschafe, die bis vor wenigen Jahren als gefährdet galten.
Den Anstoss, Dörrbohnen zu produzieren, erhielten Urs und Christine Frühauf von der Genossenschaft Biofarm. Da der Detailhandel getrocknete Bohnen fast ausschliesslich aus China bezieht, suchten die Verantwortlichen des Biopionierbetriebs aus dem Oberaargau einheimische Produzenten.
Urs Frühauf, der bis zu diesem Zeitpunkt zwei Jahrzehnte lang im Aussendienst Kommunalfahrzeuge und Golfplatzmäher verkauft hatte, entschied sich, umzusteigen – und damit dem langgehegten Wunsch seiner Frau zu folgen, den Hof ihrer Eltern wieder zu bewirtschaften. Christine Frühauf federte das finanzielle Risiko etwas ab, indem sie bis vor einem Jahr weiter in einem Teilzeitpensum als Primarlehrerin arbeitete.
Durch Zufall erfuhren sie, dass auf dem Hof eines ehemaligen Biofarm-Produzenten in Süddeutschland ein Ungetüm stand, das ihnen die Arbeit nicht nur erleichtern, sondern überhaupt ermöglichen sollte: die Bohnenrüstmaschine. Urs Frühauf brachte den einzigartigen Koloss auf Vordermann, kaufte zusätzlich einen Trocknungsapparat für bis zu 400 Kilogramm Frischbohnen und richtete in seiner alten Werkstatt die Dörrbohnenmanufaktur ein. Im ersten Jahr mussten sie die Bohnen noch bei verschiedenen Bauern im Kanton Bern zusammenkaufen, da rund um Pfaffnau keiner mehr welche anbaute.
13 Jahre sind seither vergangen. Zehn Tonnen frische Bohnen verarbeiten die Quereinsteiger jährlich zu einer Tonne Dörrbohnen. Im Laufe der Jahre kamen zahlreiche weitere Produkte wie Dörrfrüchte, Dörrgemüsemischungen, getrocknete Chillies oder Teekräuter hinzu.
«Wir könnten ein Mehrfaches dessen verkaufen, was wir herstellen.»
Urs Frühauf, Bio-Bauer
Im Mittelpunkt stehen aber weiterhin die Bohnen. «Die Nachfrage wächst und wächst, und wir könnten ein Mehrfaches dessen verkaufen, was wir herstellen», erzählt Urs Frühauf, während er rund zehn Kilogramm Bohnen in einem grossen Kochkessel für einige Minuten blanchiert, um sie zu entgiften. Erst die Erhitzung auf 70 Grad Celsius eliminiert den Phasin genannten Giftstoff, der Magen- und Darmbeschwerden verursachen und die roten Blutkörperchen verklumpen kann.
Dörrbohnen wurden vor etwa 200 Jahren zum Bestandteil der Schweizer Küche, als die aus dem südlichen Amerika stammenden und im Anbau sehr ergiebigen Gartenbohnen allmählich die Ackerbohnen und auch die Linsen aus den Gemüsegärten zu verdrängen begannen. Früher fädelten die Bäuerinnen die Bohnen auf und hängten sie über den Kachelofen oder trockneten sie auf Gittern im Ofenloch.
Moderne Konservierungsmethoden führten aber schon wenige Jahrzehnte nach dem Aufkommen der Dörrbohnen zum Niedergang dieses vor allem im Winter beliebten Trockengemüses. Bohnen in Konservendosen und später in Tiefkühlpackungen waren in der Produktion weniger aufwendig und weitaus billiger und zudem ganz nach dem Geschmack einer Generation, die Halbfertigprodukte und Convenience-Food für sich entdeckte.
Dennoch sind die Dörrbohnen in der Schweizer Küche immer präsent geblieben. Sie haben sich zu einem vor allem für Direktvermarkter interessanten Produkt entwickelt. Insbesondere im Biolandbau haben sich resistente jüngere und auch bewährte ältere Sorten durchgesetzt.
Die Frühaufs und ihre Partnerbetriebe sind längst auf Saatgut von älteren Sorten umgestiegen, die ihnen Pro Specie Rara zur Verfügung gestellt hat. Einen ansehnlichen Teil ihrer Produktion vermarkten Urs und Christine Frühauf direkt ab Hof sowie an Messen und Märkten, etwa auf dem Slow-Food-Markt Mitte November in Zürich. Auf den immer zahlreicheren Delikatessmärkten sind ihre Dörrbohnen ebenfalls erhältlich. Dank der Zusammenarbeit mit Slow Food Schweiz werden sie heute auch im Handel angeboten, etwa in Bioläden oder in Reformhäusern.
Der Bio-Manufaktur Grünboden kommt der Trend zu einer bewussteren Ernährung zugute, denn Dörrbohnen sind deutlich eiweisshaltiger als frische Bohnen, da der Trocknungsprozess die Reifung beschleunigt, wodurch der Eiweissanteil steigt. Dörrbohnen enthalten viele Mineralstoffe und einen stattlichen Anteil an Vitamin C.
Kurz vor Mittag trocknet die Hälfte der am Morgen angelieferten Bohnen auf grossen gestapelten Gittern im Dörrofen. Nach dem Mittagessen geht die Arbeit weiter, noch vier Wochen lang.
Dörrbohnen kommen bei den Frühaufs heute nicht auf den Tisch. «Die sparen wir uns für die Zeit auf, wenn es im Garten kein Frischgemüse mehr gibt», sagt Christine Frühauf und eilt Richtung Küche, während ihr Mann die verbleibende Zeit bis zum Essen nutzt, um nochmals einen Schub Bohnen in den Kochkessel zu schaufeln.
Zutaten
- 1 EL Butterschmalz
- 1 Zwiebel, gehackt
- 1 Knoblauchzehe, leicht angedrückt
- 100 g Dörrbohnen (über Nacht einweichen und abgiessen)
- 1 Zweiglein Bohnenkraut
- 3 dl Geflügelbouillon
- 1 Saucisson vaudois
- Salz, Pfeffer aus der Mühle
- 200 g Charlotte-Kartoffeln, geschält und gewürfelt
- 100 g Kürbiswürfel (empfehlenswert: Butternuss)
- 2 Eier
- 2 dl Rahm
- 1 Blätterteigboden
Zubereitung
Zwiebel und Knoblauch in Butter andämpfen, Bohnen und Bohnenkraut mitdämpfen. Bouillon beigeben und die Saucisson drauflegen, zugedeckt bei kleiner Hitze 50–60 Minuten garen. Nach der Hälfte der Garzeit die Kartoffeln beigeben und ebenfalls mitgaren. Zum Schluss die Kürbiswürfel beigeben und alles zugedeckt auskühlen lassen.
Den Saft der Bohnen abgiessen und separat sirupartig einkochen. Mit den Eiern und dem Rahm gut verrühren und abschmecken.
Den Blätterteig in eine Form legen und das Gemüse locker darauf verteilen. Saucisson schälen und in nicht zu dünnen Scheiben drauflegen. Eier-Rahm-Masse über den Kuchen verteilen.
Im Ofen bei 180 Grad etwa 30 Minuten lang goldbraun backen.
Tipp: Dazu passt ein Blattsalat mit einem Knoblauchdressing.
Von Pfaffnau aus erreicht man nach einem rund halbstündigen Spaziergang das Kloster St. Urban. Die ehemalige Abtei aus dem 18. Jahrhundert gehört zu den prächtigsten Sakralbauten aus der Zeit des Barock. Im gemütlichen Klostergasthaus Löwen (Do–Di) wird gutbürgerlich und saisonal gekocht. Unterwegs empfiehlt sich ein Abstecher zum Naturschutzgebiet Trübelbachweiher; die Zisterzienser haben den ehemaligen Karpfenteich im 15. Jahrhundert angelegt. Auf dem Rückweg kann man im Hofladen der Bio-Manufaktur Grünboden vorbeischauen und sich einen Wintervorrat an Dörrbohnen zulegen.