Wenn Rotwein unerträglich wird
Eine Histaminintoleranz kann unangenehm sein. Diäten und Medikamente können sie lindern.
aktualisiert am 21. Juli 2022 - 10:27 Uhr
Wer Rotwein trinkt und dann unter Kopfschmerzen leidet , ein rotes Gesicht bekommt oder plötzlich sehr müde wird, hat nicht unbedingt zu viel getrunken. Es könnte auch am Histamin liegen. Denn Rotwein enthält viel davon – und setzt zugleich körpereigenes Histamin frei.
«Man geht davon aus, dass biogene Amine wie Histamin, Tyramin oder Serotonin an den H3-Rezeptoren der kleinen Hirngefässe andocken. Das kann die Blutgefässe erweitern und so zu migräneartigen Kopfschmerzen führen», sagt Peter Schmid-Grendelmeier von der Allergiestation des Unispitals Zürich. Wenn man obendrein noch weitere histaminreiche Lebensmittel wie Käse (siehe Bildergalerie unten) konsumiert, verstärke das die Beschwerden.
Ohne Histamin geht es nicht. Der Körper braucht den Botenstoff, um den Blutdruck zu regulieren, Magensaft zu produzieren oder Darmbewegungen auszulösen. Histamin entsteht zudem, zusammen mit anderen biogenen Aminen, auch in vielen Lebensmitteln durch Verderb, Reifung oder Gärung.
Normalerweise schafft es der Körper, überschüssige Botenstoffe abzubauen. Bei einer Histaminunverträglichkeit hingegen ist er damit überfordert – typische Symptome sind Kopfschmerzen, Ausschlag und Rötungen, Müdigkeit, Magenkrämpfe, Durchfall, Herzrasen, Übelkeit oder Schwindel.
Eine Histaminunverträglichkeit kann viele Ursachen haben. Die häufigste Vermutung ist eine Intoleranz, bei der durch eine kranke oder geschädigte Darmschleimhaut oder durch einen Gendefekt nicht genügend aktive Diaminoxidase im Dünndarm vorhanden ist – also jenes Enzym, das die biogenen Amine abbaut. «In den allermeisten Fällen aber liegt die Ursache der Unverträglichkeit an krankhaft veränderten Mastzellen, sodass diese gespeichertes Histamin übermässig ausschütten», sagt Heinz Lamprecht von der Schweizerischen Interessengemeinschaft Histamin-Intoleranz.
Stress , Hormone, Störungen im Stoffwechsel, Umwelteinflüsse, Allergien oder eine Kombination aus diesen Faktoren können den Effekt noch verstärken oder zusätzliches Histamin beisteuern. «Es ist also keine reine Nahrungsmittelunverträglichkeit. Aber zusammen mit dem Histamin aus der Nahrung ist dann am Ende einfach zu viel da, woher auch immer», so Lamprecht.
«Am meisten bringt ein Verzicht auf histaminreiche Nahrungsmittel.»
Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter Allergiestation, Unispital Zürich
Weil es viele mögliche Ursachen für einen zu hohen Histaminspiegel gibt, ist eine Diagnose schwierig. «Man kann unmöglich alle in Frage kommenden Ursachen durchtesten. Für manche fehlen gar die Testmethoden», sagt Heinz Lamprecht.
Aufwendig, aber etabliert ist die Eliminationsdiät: Zwei Wochen lang verzichtet man auf histaminreiche und Histamin freisetzende Nahrungsmittel und Alkohol. Wenn beim Wiederhochfahren der normalen Ernährung auch die Symptome wiederkommen, ist es wahrscheinlich eine Histaminunverträglichkeit.
In der Regel lassen sich die Symptome gut kontrollieren. «Am meisten bringt natürlich Verzicht auf histaminreiche Nahrungsmittel», sagt Allergologe Schmid-Grendelmeier. Allerdings sind viele davon besonders schmackhaft, ein vollständiger Verzicht ist kaum realistisch. Die Ernährung sollte sich daher an histaminarmen Lebensmitteln orientieren. Zusätzlich sollte man Auslöser wie Alkohol , bestimmte (nicht notwendige) Medikamente, Lebensmittelzusatzstoffe oder Stress meiden.
Bei akuten Symptomen oder zur Vorbeugung kann eine doppelte Dosis frei verkäuflicher Antihistaminika mit dem Wirkstoff Cetirizin helfen. Sie schwächen die Wirkung des Histamins ab und stabilisieren die Mastzellen. Zudem gibt es Diaminoxidase als Nahrungsergänzungsmittel. «Zwei von drei Betroffenen erreichen mit dieser Strategie eine gute Lebensqualität», sagt Peter Schmid-Grendelmeier.
Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.
Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.