Der Filterkaffee ist zurück
Wenn unsere Grossmütter das wüssten: Gebrühter Kaffee ist wieder chic. Diesmal als Spezialität, die Feinschmecker ins Schwärmen bringt.
Veröffentlicht am 3. Februar 2015 - 10:11 Uhr
Benjamin Hohlmann ist (noch) Schweizer Meister im Brühen von Filterkaffee – und gerade ziemlich im Stress. Denn er will seinen Titel im Februar 2015 in St. Gallen verteidigen. Mehrere Stunden täglich steht er in der Kaffeemacher-Akademie in Basel, übt jeden Handgriff, zeichnet Schrittfolgen auf den Boden und schleift, zusammen mit einem Sensorik-Experten und einem Kaffeeröster, an seinem Auftritt und der Geschichte, die er über «seinen» Kaffee erzählen will. Wenn die Juroren den ersten Schluck kosten, soll es eine perfekte Darbietung gewesen sein. Filterkaffee als Genuss und Erlebnis.
Trotz Stress nimmt sich der 31-Jährige Zeit, mit mir über seine Leidenschaft und über die Zukunft des Filterkaffees zu sprechen. Und natürlich tischt er Kaffee auf. Doch er hat einen schweren Stand: Ich trinke keinen Kaffee. Noch nie, weder Espresso noch Cappuccino. Weder Macchiato noch den in der Schweiz so beliebten Kaffee aus der Kapsel. Und schon gar nicht Filterkaffee, dieses dünne braune Etwas, das beim Grosi aus der Maschine tröpfelte und in der Thermoskanne landete. Alles zu bitter, nur mit sehr viel Milch und noch viel mehr Zucker annähernd erträglich. Kann Hohlmann das heute ändern?
Filterkaffee. 1908 lässt Melitta Bentz den Kaffeefilter patentieren. Die Hausfrau und Mutter will etwas tun gegen den Satz im Kaffee. Mit Löschblättern aus den Schulheften ihrer Söhne soll sie experimentiert haben. Schnell gehört der Kaffeefilter zur Ausstattung jeder Küche, und Frau Bentz’ Methode wird die beliebteste Zubereitungsart. Dann erobern Kaffeehäuser, günstiger werdende Vollautomaten und das Kaffeekapselsystem den Markt und die Herzen der Konsumenten. Der Filterkaffee wirkt im Vergleich für viele plötzlich flach und wässrig. Heute dürfte höchstens noch jede zehnte Kaffeemaschine in Schweizer Haushalten eine Filtermaschine sein.
Doch jetzt, gut 100 Jahre nach seiner Erfindung, meldet sich der Filterkaffee zurück. In neuer Form, als Spezialitätenkaffee: von Hand aufgegossen, mit völlig neuen Aromen.
Schweizer Meister Hohlmann öffnet eine silbrige Packung Kaffee und lässt die Bohnen in die Mahlmaschine gleiten. Er ist Teilhaber zweier Cafés in Basel. Früher war er in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, das entfachte sein Interesse für die Herkunft des Kaffees. Später machte er einen ersten Barista-Kurs, und als ihm ein Kollege handgebrauten Filterkaffee auftischte, war er begeistert. Inzwischen gibt er selbst Kurse, wurde Schweizer Filterkaffee-Meister und an der Weltmeisterschaft letztes Jahr Zwölfter.
Auf der Arbeitsfläche vor sich hat Hohlmann sein «Werkzeug» hergerichtet: eine glänzende Kanne, das Auffangglas mit dem Filteraufsatz und eine Waage. Nur eine von mehreren Möglichkeiten, Filterkaffee zuzubereiten. «Der schlechte Ruf des herkömmlichen Filterkaffees rührt daher, dass die Maschinen lange wenig taugten und die Bohnen von mässiger Qualität und zu dunkel geröstet waren.» Hohlmann setzt lieber auf Handwerk als auf Maschinen, pröbelt mit Wassertemperatur, Mahlgrad, Kaffeemenge und Aufgusstechnik. Er wiegt den gemahlenen Kaffee ab und schüttet die 18 Gramm elegant in den Papierfilter. Inzwischen kocht das Wasser. Der Kaffee-Profi misst die Temperatur. «Bei helleren Röstungen behält die Kaffeebohne ihr ursprüngliches Aroma – und das ist alles andere als bitter.» Keine Bitterkeit? Ich werde hellhörig.
Schweizerinnen und Schweizer trinken gern und viel Kaffee. 2013 waren es laut dem Schweizer Cafetier-Verband im Schnitt 1082 Tassen. Damit liegt das Land im internationalen Vergleich auf Rang 4.
Allerdings gibt es nur eine Handvoll Cafés, die Filterkaffee auftischen, wie ihn Hohlmann gerade zubereitet. Derzeit seien es vor allem Privatpersonen, die sich für die Vielfalt und die überraschenden Aromen des Filterkaffees begeisterten. «Für 100 Franken hat man alles beisammen, um daheim selbst brühen und experimentieren zu können.»
Barbara Held von der Rösterei Blaser Café AG bestätigt Hohlmanns Beobachtung. Die Firma hat letztes Jahr in Bern eine Kaffeebar eröffnet, wo Kunden den Kaffee von der Rösterei nebenan probieren und die Bohnen direkt kaufen können. Im Angebot ist auch Filterkaffee. «Wer ihn einmal probiert hat, kommt wieder und versucht es daheim selbst.» Held ist überzeugt, dass der neue Filterkaffee einem Trend entspricht: «Die Leute wollen sich Genuss gönnen – und zugleich wissen, woher die Produkte stammen. Beim Fleisch, Gemüse und auch beim Kaffee.»
Für den Trend zu hochwertiger Ware steht oft der Begriff «Terroir-Kaffee»: Die Bohnen sind bis ins Herkunftsland, in die Gegend und manchmal bis auf das einzelne Erntefeld zurückverfolgbar. Sie kommen sortenrein und frisch geröstet in den Verkauf respektive in die Spezialitäten-Cafés. Die Röster zahlen pro Kilogramm Rohkaffee schnell einmal zehn Franken und mehr. Den Konsumenten kostet eine grosse Tasse Filterkaffee durchaus Fr. 5.50.
Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Weinkurs, wenn Hohlmann die Vielfalt des Filterkaffees beschreibt. Er wird Kilimanjaro Washed, El Salvador ausschenken – da werden nach dem Entfernen des Fruchtfleisches die Bohnen in offenen Becken fermentiert.
Dutzende von Aromen kann Kaffee entfalten, wenn er von guter Qualität ist, nicht zu lange geröstet und richtig aufgegossen. Lavendel, Kokosnuss, Cassis, weisser Pfirsich, roter Pfeffer oder Tabak gehören dazu und sind beim Filterkaffee besonders gut zu erriechen.
Hohlmann lässt die Kanne mit Wasser über dem Filter kreisen. Mehrmals. Von aussen nach innen. Jetzt stellt er mir die Tasse hin – und empfiehlt, noch etwas zu warten. «Filterkaffee wird nicht schlechter, je länger man ihn stehen lässt. Man kann ihn sogar kalt trinken.» Der Duft scheint sonderlich, jedenfalls nicht wie Kaffee üblicherweise. Eher fruchtig. Hohlmann bereitet einen zweiten Kaffee zu – aus Äthiopien. Wonago Yirgacheffe.
In Kaffee-Mekkas wie Melbourne, Kopenhagen oder in Portland schätzt längst ein breites Publikum frischen Filterkaffee. In der Schweiz wächst das Bewusstsein der Gastronomen langsam. Ein Grund dafür ist der Aufwand. Das Zubereiten dauert mindestens 80 Sekunden. «In der Zeit macht das Café-Personal zwei Latte», sagt Hohlmann. Ausserdem will das Brühen gelernt sein. Die Nachfrage nach Kursen zu Herkunft und Zubereitung von Espresso, Latte oder Filterkaffee steigt.
Auch wenn das Interesse an gutem Kaffee in der Schweiz wächst: Der Filterkaffee wird kaum wieder massentauglich werden, prophezeien Kenner der Szene. «Ein Spezialitäten-Nischenprodukt für Eingeweihte», so umschreibt es Chahan Yeretzian. Der Leiter des Kaffee-Weiterbildungslehrgangs an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften beobachtet die Entwicklung gespannt. «Die Neuinterpretationen des Filterkaffees bieten einen enormen Spielraum für Leute, die gern mit Kaffee experimentieren. Diese vielen Aromen – fantastisch.» Aber Filterkaffee sei für viele zu aufwendig. «Hierzulande kann man sich Kapselmaschinen und Vollautomaten leisten, und die ergeben mit minimalem Aufwand einen guten bis sehr guten Kaffee.»
Hohlmann sieht in zehn Jahren zwar nicht die ganze Schweiz Filterkaffee trinken. Aber das Produkt biete kleinen Cafés die Möglichkeit, sich abzuheben und sich einen Namen zu machen. Auch zu Gault-Millau-Restaurants passe das: «Nach dem Fünfgänger, im Anschluss an die Erdbeer-Dessertvariation, rundet der am Tisch zubereitete Filterkaffee, etwa mit Erdbeernote, das Angebot ideal ab.»
Und noch einen Aspekt gibt er zu bedenken: «Immer mehr Leute haben eine Laktoseintoleranz.» Filterkaffee trinkt der Kenner schwarz. Ich hebe die erste Tasse, den Kilimanjaro, und nehme einen kleinen Schluck. Zucker ist unnötig, weil es keine Bitterkeit zu überdecken gibt.
Hohlmann: «Erinnert der Geschmack an eine Farbe?» – «Grün?» Ich versuche es mit einem zweiten Schluck. Da sind plötzlich viele Aromen. Etwas Säure? Orange? Hohlmann grinst. Auf der Packung steht: rote Traube, Orangenlimonade, Kiwi-, Mandarinen- und Kumquat-Noten. Ich werde die zweite Tasse auch noch probieren – und vielleicht auch noch eine dritte.
Vom 6. bis 8. Februar 2015 massen sich in St. Gallen etwa 60 Profis an den Schweizer Kaffeemeisterschaften, auch im Brühen von Filterkaffee; Resultate, Videoclips und Impressionen: www.swissscae.ch
- Cafe Frühling, Basel; www.cafe-fruehling.ch
- Kaffeehaus, Basel; www.mitte.ch/portfolio/kaffeehaus/
- Rösterei Café Bar, Bern; www.roesterei.be
- Brühnett Café, Wädenswil; www.bruehnett.ch
- Benzin & Koffein, Zürich; www.benzinundkoffein.ch
- Café Henrici, Zürich; www.cafe-henrici.ch
- Milchbar am Bellevue, Zürich; www.milchbar-am-bellevue.ch
Haben wir ein Café vergessen? Schreiben Sie uns Ihre Geheimtipps unten als Kommentar.
Das braucht es dazu:
- Wasserkocher (idealerweise mit Temperaturanzeige) und gut drei Deziliter Wasser
- Kaffeemühle
- Auffangglas
- 18 Gramm Bohnen (für zwei Tassen Filterkaffee)
- Waage
- Filter
- Papierfilter
Bildergalerie: Klicken Sie sich durch einzelnen Schritte
Für Espresso und Filterkaffee lassen sich grundsätzlich die gleichen Bohnen verwenden. Allerdings röstet man sie für den Espresso meist länger, was das starke, nussig-schokoladene Aroma ergibt. Kürzer geröstet, bleiben die fruchtigen und floralen Aromen der Bohnen erhalten, weshalb sie sich besonders für Filterkaffee eignen. Profis experimentieren allerdings auch beim Espresso damit.
Beim Espresso wird das Wasser mit hohem Druck durch sehr fein gemahlenes Kaffeepulver gepresst, was das Schäumchen entstehen lässt. Der Filterkaffee hat keine Crema (cremige Schicht); das Wasser läuft langsam über das gröber gemahlene Pulver.
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