Ganz schön jung
Hohe Absätze, tiefe Ausschnitte und Schminke mit zwölf Jahren: Mädchen wollen immer früher zu jungen Frauen werden. Da sind Verbote nutzlos – aber Bedenken berechtigt.
Veröffentlicht am 2. März 2010 - 09:07 Uhr
Manche wirken noch ungelenk, einige schon recht geübt. Mit konzentrierten Mienen sitzen fünf Teenie-Mädchen vor dem Spiegel in einem Gemeinschaftssaal in Hünenberg ZG und streichen sich Make-up an die Wangen. Sie interessieren sich alle für die gleichen Fragen. Welcher Farbton passt zu meinem Teint? Brauchts nicht noch Puder? Wann wird der Abdeckstift aufgetragen? Und was ist zu tun, damit die Pickel nicht vor lauter Farbe noch mehr zum Vorschein kommen? «Ich will ja nicht aussehen wie ein Dalmatiner», sagt Mayara, und die anderen kichern.
Die Kosmetikerin hilft den 14- bis 15-Jährigen auf die Sprünge. In einem vom lokalen Familienverein organisierten Kurs zeigt sie, worauf es beim Schminken ankommt. «Nicht zu viel, nicht zu dunkel», sagt sie immer wieder, «das wirkt hart und alt, ihr seid noch so jung und frisch, nutzt das!» Als sie an Marina zeigt, wie man den Lidstrich zieht und die Schminke Schritt für Schritt aufträgt, ist es mäuschenstill im Raum. Die Mädchen verfolgen aufmerksam jede Handbewegung des Profis.
Die ersten Schminkversuche haben sie alle längst hinter sich. Die Pubertät beginnt heute früher als noch vor ein paar Jahrzehnten – in biologischer wie auch in sozialer Hinsicht: Bei vielen Mädchen fängt der Körper schon mit zehn oder elf Jahren an, sich zu verändern. Die Mädchen beginnen, sich auch äusserlich neu zu orientieren, die Models und Stars, die sie in den Medien sehen, zu imitieren, sich ähnlich zu kleiden und zurechtzumachen.
Schönheitsideale haben sich gewandelt, und der Druck zur Makellosigkeit macht sich früh bemerkbar. Aus England und den USA hört man von Mädchen, die sich auf den 13. Geburtstag Brustvergrösserungen schenken lassen. Gerade Teenies, die in der Schule nicht so gute Leistungen bringen, legen oft sehr viel Wert auf Äusserlichkeiten. Wenn sie wenigstens in diesem Bereich brillieren, fühlen sie sich selbstbewusster.
Häufig trägt Gruppendruck dazu bei, dass Mädchen früher anfangen, sich wie junge Frauen zu geben. Tiefere Ausschnitte, knappere Röcke, Schuhe mit Absätzen, Wimperntusche, Kajal und Lippenstift werden für viele schon mit dem Eintritt in die Oberstufe ein Thema. Das war auch bei den Kursteilnehmerinnen in Hünenberg nicht anders. «Ich schminke mich seit der sechsten Klasse regelmässig», sagt etwa Marina.
Einige der Mädchen greifen nur bei besonderen Gelegenheiten zur Wimperntusche, andere täglich. Gemeinsam sind ihnen die Diskussionen darüber am Familientisch. «Mein Vater findet es nicht so toll», sagt Alessia und verdreht die Augen. «Meiner reklamiert immer, wenn es zu viel ist», erzählt auch Mayara.
Verwundern mag das kaum. Für Eltern ist der Wandel ihrer kleinen Mädchen zu jungen Frauen bisweilen schwer zu ertragen. Zu erleben, dass das Töchterchen langsam erwachsen wird, ist die eine Seite. Die Angst, dass es mit den neuen Gewohnheiten Männerphantasien weckt und sich in Gefahr bringt, die andere. «Wenn sie sich sexy anzieht und schminkt, sendet sie unbewusst Signale aus», erklärt Mayaras Stiefvater den Grund für seine Vorbehalte. «Männer könnten das falsch interpretieren. Man sollte dafür besser keinen Anlass bieten», meint auch Julias Mutter. Es sei auch schon vorgekommen, dass sie gesagt habe: «So gehst du mir nicht aus dem Haus.» Ungern, wie sie anfügt. Wer gefällt sich schon in der Rolle des Spielverderbers?
Auch mal Spielverderber zu sein ist für Eltern pubertierender Kinder aber unumgänglich: Es ist wichtig, den Kindern die eigene Haltung zu vermitteln, auch wenn das heftige Reaktionen auslösen kann. Solche sind in der Pubertät normal, das muss man hin und wieder in Kauf nehmen. Doch man muss nicht alles tolerieren, bloss weil der Trend es so will. Oft genug haben junge Mädchen auch eine verzerrte Selbstwahrnehmung, glauben, sie seien dezent geschminkt, sehen aber aus, als seien sie in einen Farbtopf gefallen. Verbote brauchen jedoch stets eine Begründung. Eltern sollen sagen, weshalb es ihnen missfällt, wenn der Rock zu kurz oder der Lippenstift zu rot ist. Sie dürfen gegenüber den Jugendlichen ruhig zu ihren Ängsten stehen.
Gleichzeitig müssen sich Eltern bewusst sein, dass sie die Entwicklung nicht aufhalten können. Teenager brauchen genügend Freiraum. Eltern sollten ihren äusserlichen Veränderungen mit Offenheit und Neugierde begegnen und die Mädchen ihren eigenen Stil entdecken lassen. Experimentieren vor dem Spiegel, allein oder mit Freundinnen, gehört dazu.
Dass sich das manchmal schnell ändert, musste auch Julias Mutter erfahren: «Kürzlich gab es bei uns Diskussionen, weil Julia plötzlich keine Skijacke mehr zur Schule anziehen wollte. Sie sagte, das sei jetzt out.» Auch habe Julia sich statt Winterschuhen ein Paar Stiefelchen mit Absätzen gekauft. «Jetzt hat sie dafür ständig nasse Füsse.» Gegen solche Spinnereien aber sei kein Kraut gewachsen, alles verbieten wolle sie als Mutter nicht. Oft erinnere sie sich dann an ihre eigene Jugend und an ihre Auseinandersetzungen mit ihren Eltern. «Es hilft, wenn man sich in die Lage zurückversetzt. Es ist halt einfach eine schwierige Zeit.»
Auch die Knaben sind in der Pubertät unsicher über die eigene Identität. Bei Jungs dreht sich Identität öfter um eine abstrakte Idee von Stärke und Unempfindlichkeit gegenüber Schmerz. Sie versuchen, Männer zu werden, indem sie diese Aspekte betonen. Buben tauschen sich selten aus über ihre Unsicherheit, betäubten diese stattdessen oft mit Alkohol oder Computerspielen. Zur Demonstration von Stärke gehören viel eher als früher auch äusserliche Merkmale wie Körperbau oder Kleidung.