Wie spreche ich das Thema richtig an?
Wenn Eltern zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen sind, ist das auch für Töchter und Söhne eine Herausforderung. So schafft man sie gemeinsam.
aktualisiert am 11. April 2021 - 14:08 Uhr
Viele trifft es unvorbereitet, wenn sie bemerken, dass ihre Eltern gebrechlicher werden. Was diese früher locker nebenher erledigten, wird schwieriger oder gar unlösbar: Duschen wird zum Marathon, der Haushalt zur Sisyphusarbeit, jede Treppe zum Hindernis. Und: Jahrelang haben die Eltern die Kinder unterstützt, jetzt ist es umgekehrt.
Das heisst: Die Eltern müssen sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinandersetzen – und die Kinder damit, dass ihre Stützen der Kindheit schwächer werden. Aber wie schon Cicero sagte: «Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu.»
Es ist nicht einfach, sich einzugestehen, dass man auf Unterstützung angewiesen ist. Noch schwieriger ist es, Hilfe auch tatsächlich anzunehmen. Viele akzeptieren sie erst, wenn es wirklich nicht mehr ohne geht.
Es ist ganz natürlich, dass man dafür etwas Zeit braucht. Lassen Sie Ihren Eltern diese Zeit. Sie brauchen sie, um sich auf die Veränderungen einzustellen.
Dennoch sollten Sie die Eltern auf ihre Zukunftspläne und auf mögliche Hilfsangebote ansprechen. Warten Sie damit nicht, bis die Uhr auf fünf vor zwölf steht und Sie notfallmässig einen Pflegeheimplatz organisieren müssen.
Setzen Sie sich mit den folgenden Fragen auseinander, bevor Sie das Gespräch mit den Eltern suchen:
- Wie viel von Ihrer Zeit möchten Sie den Eltern zur Verfügung stellen?
- Wie wollen Sie diese aufgewendete Zeit nutzen? Je mehr davon Sie für Pflege oder Bezahlen von Rechnungen aufwenden, desto weniger bleibt für Gespräche, gemütliches Beisammensein oder kleine Ausflüge.
- Können Sie mit Schuldgefühlen umgehen? Auch wenn Sie viel Zeit mit den Eltern verbringen, kann das Gefühl entstehen, man tue nicht genug für sie.
- Die Eltern sind der Schlüssel zu Ihrer Kindheit und zur Familiengeschichte. Welche Fragen möchten Sie ihnen stellen, welche Unklarheiten aus dem Weg schaffen? Wenn die Eltern dement werden oder sterben, ist die Gelegenheit dazu leider endgültig verloren.
Nicht nur für die Eltern kann die Pflege zur Belastung werden, sondern auch für die Kinder. Beobachter-Mitglieder erhalten in der Checkliste «Pflege im Alter» weitere Infos, wie sich körperliche Alarmzeichen bemerkbar machen und welche Hilfsstellen sie zur Entlastung ansprechen können.
Überlegen Sie, welche Veränderungen im Leben der Eltern zwingend notwendig sind. Der Vater muss zum Beispiel gepflegt werden, wenn er bettlägerig wird, und die Mutter muss sich ausreichend und abwechslungsreich ernähren. Sprechen Sie diese notwendigen Veränderungen zuerst an.
Aber: Zu viele Themen in einem Gespräch können die Eltern überfordern. Gehen Sie daher Schritt für Schritt vor. Nicht alles muss sofort besprochen und organisiert werden.
Falls die Eltern in ein Alters- oder gar ein Pflegeheim eintreten müssen, ist das für sie eine enorme Veränderung – und mit vielen Abschieden verbunden: vom Leben als selbständige Person, vom eigenen Zuhause, von liebgewonnenen Gegenständen, von der gewohnten Umgebung, von den Nachbarn, von der Unabhängigkeit. Verständlich, dass das für die Eltern ein schwieriger Schritt ist.
Gesundheit
- Wie sieht es mit Einkaufen und Essen aus? Brauchen die Eltern jemanden, der für sie einkauft? Oder ist ein Mahlzeitendienst die richtige Lösung?
- Können die Eltern die Körperpflege selber erledigen? Brauchen sie vielleicht einen Spitex-Dienst, der regelmässig vorbeikommt?
- Ist die ärztliche Betreuung sichergestellt? Und bietet der Hausarzt Hausbesuche an?
- Haben die Eltern eine Patientenverfügung ausgefüllt?
- Fahren die Eltern Auto
? Ist das gefahrlos möglich?
Wohnen
- Ist die Wohnung sturzsicher eingerichtet? Gibt es gefährliche Schwellen? Teppichkanten? Ist die Wohnung gut beleuchtet? Sind im Badezimmer Haltegriffe vorhanden?
- Gibt es alternative Wohnformen, die für die Eltern in Frage kommen: Alters-WG, Alterswohnung, Mehrgenerationenhaus oder anderes?
- Wann wird der Eintritt ins Altersheim unumgänglich?
- Wie kann der Altersheimeintritt organisiert werden, dass er für die Eltern so einfach wie möglich abläuft? Welche Möbel, Bilder, Accessoires können mitgenommen werden?
Finanzen
- Können und wollen die Eltern die Finanzen weiter selber regeln?
- Wollen sie jemandem eine Vollmacht ausstellen?
- Haben die Eltern finanzielle Sorgen? Haben sie Anspruch auf Ergänzungsleistungen?
- Ist für den Fall der Urteilsunfähigkeit vorgesorgt?
- Haben die Eltern je einen Vorsorgeauftrag erstellt? Wo befindet er sich?
Tod
- Haben die Eltern je ein Testament erstellt? Wo befindet es sich?
- Was sind ihre Wünsche für die Beerdigung und die Abdankungsfeier?
- Nutzen Sie die Gelegenheit, wenn die Eltern über Bekannte sprechen, die Hilfe brauchen. «Euer Freund Hans hat neu jemanden, der für ihn den Haushalt erledigt. Wie sieht das eigentlich bei euch aus? Habt ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht, etwas kürzerzutreten?»
- Sprechen Sie von sich. «Ich habe gestern einen Vorsorgeauftrag und ein Testament geschrieben. Habt ihr euch darüber schon mal Gedanken gemacht?»
- Vermeiden Sie Vorwürfe. Aussagen wie «Du bist in letzter Zeit immer so ungepflegt» sind verletzend. Sagen Sie besser: «Mama, dein Pullover hat einen Fleck. Möchtest du gern einen anderen anziehen?»
- Bringen Sie den Rollentausch ins Gespräch ein. Wenn die Eltern sagen: «Mach dir doch keine Sorgen», können Sie ihnen antworten: «Ja, das habe ich euch doch früher auch immer gesagt, wenn ich abends allein mit dem Velo nach Hause gefahren bin. Erinnert ihr euch, dass ihr euch trotzdem Sorgen gemacht habt?»
- Versuchen Sie herauszufinden, was die Eltern wirklich umtreibt. Falls sie sich weigern, Hilfe anzunehmen oder einen Umzug ins Altersheim ins Auge zu fassen, kann das auch damit zusammenhängen, dass sie finanzielle Sorgen haben. Oder sie wollen möglichst wenig Geld ausgeben, damit nach dem Tod noch etwas für die Kinder da ist.
- Erwarten Sie nicht beim ersten Gespräch den perfekten Zukunftsplan. Lassen Sie die Dinge ruhen und besprechen Sie sie später erneut.
- Pro Senectute: Beratungen aller Art, breites Freizeitangebot, Haushalts- und Putzhilfen, Mahlzeitendienst; Entlastungsdienst für pflegende Angehörige: www.prosenectute.ch
- Rotes Kreuz: Notrufsysteme für zu Hause und unterwegs, Besuchs- und Begleitdienst, Fahrdienst; Entlastungsdienst für pflegende Angehörige: www.redcross.ch
- Spitex: Lokale Spitex-Dienste helfen bei Pflege und Haushalt. Orientieren Sie sich direkt dort.
Wenn Eltern älter werden, erreichen sie irgendwann den Zeitpunkt, an dem sie ohne Hilfe nicht mehr auskommen. Unterstützung im Alter finden sie aber nicht nur bei Angehörigen, sondern auch bei spezialisierten Organisationen und nicht zuletzt auch in Pflege- und Altersheimen, auch wenn dieser Schritt vielen eher weniger gefällt. Beobachter-Mitglieder erfahren unter anderem, welche Wohnformen im Alter in Frage kommen, wie sich die Finanzen regeln lassen und was getan werden kann, sollte es Probleme im Pflegeheim geben.
Betreuung & Erwerbstätigkeit
Silvan Rüegg