Was Eltern tun können, wenn Kinder sie beschwindeln
Warum der Nachwuchs nicht immer die Wahrheit sagt – und wie Eltern sinnvoll reagieren.
aktualisiert am 1. Februar 2018 - 14:40 Uhr
Die vierjährige Melissa stürmt mit dem grünen Stofftier in die Stube. «Lea hat mir das Krokodil geschenkt», jubelt sie. «Ist das so?», fragt ihre Mutter. «Ja, sicher.» – «Wirklich?» – «Nein, nicht ganz», gibt die Kleine zu. «Ich habs mir ausgeliehen.»
Mit vier Jahren können Kinder noch nicht wirklich lügen. Sie sind zwar in der Lage, wahr von unwahr zu unterscheiden, aber sie flunkern nicht gezielt, um sich Vorteile zu ergattern. Vielmehr testen sie ihre Fähigkeiten aus, um zu sehen, ob die Eltern dahinterkommen. Bei Drei- bis Fünfjährigen gehören Schwindeln und Fantasieren zur gesunden Entwicklung. Sie sind im «magischen Alter», da vermengen sich schon mal Wirklichkeit und Fantasie. Sie glauben, die Erwachsenen seien allwissend. Wozu also lügen?
Erst ab etwa sechs Jahren realisieren Kinder, dass ein anderer möglicherweise weniger weiss und man ihn deshalb hinters Licht führen kann. So hat Leon, 8, an der Zimmertür ein Schild montiert: «Bitte nicht stören, mache Ufzgi.» Doch als der Vater ins Zimmer geht, sieht er, dass Leon Musik hört. Auf die Frage, weshalb er gelogen habe, gibt der Filius keine Antwort. Leon mag es nicht, dass die Eltern ihn kontrollieren. Er macht ja seine Aufgaben – aber dann, wann er will. Doch wieso das Schild an der Tür? Leon wollte vertuschen, dass er keine Ufzgi macht, und hatte Angst vor einer Strafe.
Die neunjährige Miriam tickt genauso: Wenn sie die schlechte Mathenote verheimlicht, bekommt sie keinen Ärger, denkt sie. Langfristig ist dieses Verhalten natürlich keine Lösung. Doch den Umgang mit der Wahrheit muss sie erst einmal lernen.
- Eltern sind Vorbilder. Denken Sie nach über Ihr eigenes Verhältnis zu Lüge und Wahrheit. Bemühen Sie sich um Ehrlichkeit und Offenheit im Alltag, lügen Sie das Kind nicht an. Das gilt auch bei peinlichen Fragen und schmerzhaften Themen.
- Helfen Sie dem Kind, Alternativen zu finden. Wie kann es in Zukunft in einer ähnlichen Lage ohne Lüge bestehen?
- Bestehen Sie nicht rigoros auf einem Schuldeingeständnis. Geben Sie dem Kind stets die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren.
- Wenn das Kind einen offenkundigen Vorfall hartnäckig leugnet: Fragen Sie es, wovor es sich fürchtet, falls die Sache ans Licht käme. Diese Furcht können Sie ihm dann durch geeignete Unterstützung nehmen.
- Stellen Sie dem Kind keine Fallen. Es ist immer sinnvoller, das Thema direkt anzusprechen.
- Wenn die Situation für das Kind völlig verfahren ist: Suchen Sie gemeinsam einen Ausweg. Das Kind lernt so Bewältigungsstrategien kennen.
- Blamieren Sie das Kind nicht, indem Sie es vor andern der Lüge überführen. Klären Sie die Sache unter vier Augen.
- Belohnen Sie das Kind häufiger und anerkennen Sie seinen Mut, wenn es auch in schwierigen Situationen die Wahrheit sagt.
Je öfter Kinder positive Reaktionen auf Ehrlichkeit und Offenheit erleben, desto eher lassen sie das Schwindeln. Voraussetzung dafür ist eine Atmosphäre des Vertrauens in der Familie. Kinder sind angewiesen auf das Gefühl, ohne Vorbehalte geliebt zu werden – besonders wenn ihnen etwas misslungen ist oder sie etwas ausgefressen haben. So haben sie keine Veranlassung zu lügen.
Wenn sie es doch mal tun, sollte das nicht überdramatisiert werden. Erst falls ein Kind immer wieder und massiv lügt, ist das ein Anzeichen für ein tiefes Misstrauen in die Umwelt.
Um richtig auf Lügen zu reagieren, ist es wichtig, dass die Eltern den Ursachen auf den Grund gehen. Ein paar typische Muster:
Ein Missgeschick, etwa wenn eine Vase zu Bruch geht, zieht in den meisten Familien keine Strafe nach sich. Dennoch trauen sich viele Kinder nicht, so etwas zuzugeben. Weil sie nicht sicher sind, wie die Eltern reagieren, verheimlichen sie es oder schieben die Schuld auf andere. Die Sache kommt jedoch meist rasch an den Tag, weil sie sich in ein Geflecht der Unwahrheiten verstricken.
Deshalb: Ermuntern Sie das Kind, zu Missgeschicken zu stehen. Zeigen Sie Verständnis und strafen Sie nur wenn unbedingt nötig. Reagieren Sie anders, als das Kind es vielleicht erwartet – so nehmen Sie ihm die Angst, Fehler zuzugeben. Stellen Sie klar, dass mit Lügen das Vertrauen von Freunden, Lehrern und Eltern verspielt werden kann. Im Klartext: Wer ständig lügt, dem glaubt ganz schnell niemand mehr.
Falls es nicht ohne Strafe geht, müssen für Kinder die Konsequenzen nachvollziehbar sein. Behalten Sie etwa für die zerbrochene Vase etwas Sackgeld zurück.
Für Eltern ist es in der Erziehung wichtig, konsequent zu bleiben und ihren Kindern auch die Konsequenzen zu zeigen, wenn diese nicht gehorchen wollen. Wie Sie das am besten tun, erfahren Sie als Beobachter-Mitglied in der Checkliste «So gelingt konsequentes Erziehen» mit praktischen Beispielen aus dem Alltag.
Fantasie bringt Farbe in den Alltag. Wenn Kinder aber ständig die wildesten Märchen erzählen, sollten Erziehungsverantwortliche aufhorchen. Denn häufig steckt hinter dem Übertreiben ein schwaches Selbstbewusstsein. Wenn die Familie angeblich Ferien auf den Malediven plant, Papa einen Maserati fährt und Mami früher Supermodel war: Solche Aufschneidereien sind schnell durchschaut, und das Kind ist umso mehr der Lächerlichkeit preisgegeben.
Deshalb: Loben Sie die Stärken und Talente des Kindes ihm gegenüber häufiger. Und: Erfolgserlebnisse sind wichtig. Da empfiehlt sich etwa ein Hobby, mit dem das Kind seine Fähigkeiten sichtbar machen kann.
Wenn der Alltag oder die Schule ein Kind überfordert, flüchtet es häufig in Traumwelten – und speist die Umwelt mit Ausreden ab. Es behauptet zum Beispiel, es habe die Ufzgi bereits gemacht, das Zimmer aufgeräumt, die Zähne geputzt – obwohl das alles gar nicht wahr ist. Stattdessen spielt es Computergames. Häufig greifen Kinder auch zu Lügen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Das tun sie nicht bewusst oder gar aus Berechnung. Stattdessen wählen sie jenen Weg, der vermeintlich am wenigsten Widerstand bietet.
Deshalb: Fragen Sie das Kind auf einfühlsame Art, wieso es lieber etwas vorlügt, als dass es eine bestimmte Aufgabe erledigt. Braucht es Hilfe von Eltern oder Geschwistern? Oder einfach mehr Zeit für sich? Geben Sie dem Kind den Freiraum, reduzieren Sie die Anforderungen. Mehr Ruhe kann die Entwicklung zur Selbständigkeit fördern.
Schamlügen sind fast schon heldenhaft. Kinder wollen dabei Fehler nicht eingestehen, um so die Eltern zu schützen. Ihr Versagen, etwa in der Schule, ist für sie eine so massive Belastung, dass sie den Eltern diese Scham ersparen wollen.
Darum: Machen Sie dem Kind klar, dass wir alle jeden Tag Fehler machen. Dass niemand perfekt ist. Vielleicht finden Sie ein anschauliches Beispiel, das Sie selbst erlebt haben. Wie sehr es Sie erleichtert hat, als Sie etwas endlich zugeben konnten, nachdem Sie es lange verheimlicht hatten.
2 Kommentare
Wenn Du dann mal selber Kinder hast, liebe Grace4u, kannst Du dann Deinen hohen Standard etwas der Realität anpassen. Viel Glück und Gottes Segen!