Stellen Sie sich ein unverheiratetes Paar mit einem minderjährigen Sohn vor. Der Mann erwerbstätig, die Frau Vollzeitmutter beziehungsweise in Teilzeit angestellt. Der Lebenspartner stirbt, hat kein Testament verfasst und die Lebenspartnerin – geht beim Erben völlig leer aus.

Ob mit oder ohne Kinder, Konkubinatspaare stehen im Todesfall oft unbewusst vor erheblichen finanziellen Problemen, wenn nichts geregelt wurde . Es ist ein Problem des seit 1912 nur punktuell angepassten Erbrechts, dass moderne Familienmodelle zu wenig bei einer Erbschaft berücksichtigt werden.

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Lösungsvorschlag: Pflichtteil senken

Das Erbrecht, das nun schrittweise ins 21. Jahrhundert gebracht wird, soll diese Crux zumindest teilweise beseitigen. Im Visier steht vor allem der hohe Pflichtteil, der den eigenen Kindern zusteht und der nicht geschmälert werden darf.

Bei unserem Beispielpaar bedeutet dies: Der Sohn hat einen gesetzlichen Erbanspruch auf den ganzen Nachlass des verstorbenen Vaters, wenn dieser kein Testament hinterlässt . Der Vater kann diesen Anspruch jedoch auf den Pflichtteil eingrenzen. Einen grossen Spielraum hat er aber nicht, denn der Sohn bekommt mit dem Pflichtteil immer noch ¾ der Erbschaft. Selbst wenn er vorsorgt, kann der Vater seiner Lebenspartnerin also nur ¼ am Nachlass zuweisen.

Hier will der Bundesrat mit seinem Gesetzesentwurf an den National- und Ständerat für grössere Freiheiten sorgen. Sein Anliegen ist es, den Pflichtteil in einigen Fällen herunterzusetzen. Neu könnte es möglich sein, dass der Sohn im gleichen Beispiel nur noch die Hälfte des Nachlasses als Pflichtteil erhält. So kann der Erblasser etwa seine Lebenspartnerin sowie Dritte stärker begünstigen.

Überblick über die wichtigsten Änderungen

Fall 1: Ehepaar mit Kindern
Stirbt ein Elternteil und hinterlässt einen Ehepartner und die Kinder, besteht ein gesetzlicher Erbanspruch Nachlass Wer erbt was? von je der Hälfte des Nachlasses für Ehegatte und Kinder. Möchte der Verstorbene mittels Testament die Ehegattin erbrechtlich begünstigen, dann kann er die Kinder auf den Pflichtteil setzen. Heute liegt der Pflichtteilsanspruch für die Kinder bei ¾. Das heisst also, dass die Nachkommen drei Viertel von der Hälfte des Nachlasses bekommen, was in diesem Fall noch 3/8 des gesamten Nachlasses sind. Die überlebende Ehepartnerin erhält maximal 5/8.

Neu soll die Pflichtteilsquote für die Nachkommen auf die Hälfte verringert werden. Die Hälfte von der Hälfte des Nachlasses ergäbe nur noch ¼ des gesamten Nachlasses. So kann die überlebende Ehepartnerin mit maximal ¾ des Nachlasses begünstigt werden. Das gleiche Szenario gilt für eingetragene Partnerschaften.

Fall 2: Kinderloses Ehepaar und Eltern
Stirbt die Ehepartnerin und hinterlässt keine Kinder, steht den Eltern heute ¼ des Nachlasses zu. Wenn sie im Testament auf den Pflichtteil gesetzt werden, erhalten die Eltern immerhin noch 1/8 des gesamten Nachlasses.

Neu sollen die Eltern gar keinen Pflichtteilsanspruch mehr haben. Sie würden also nichts mehr vom Nachlass erhalten, wenn die Erblasserin eine andere Person begünstigen will. Diese kann somit alles dem Ehegatten vererben oder diesen auf den Pflichtteil setzen und frei über den Rest verfügen. Das gleiche Szenario gilt für eingetragene Partnerschaften.

 

Welcher Zweck wird damit verfolgt?

Mit der Reduzierung oder dem Wegfall von Pflichtteilen bleibt für den Erblasser mehr Handlungsfreiheit, wie er seinen Nachlass verteilen will. Der Bundesrat trägt so den veränderten Lebensformen Rechnung, wodurch Patchworkfamilien Patchworkfamilien Wer erbt was von wem? , alleinerziehende Mütter und Väter sowie Paare, die im Konkubinat leben, sich besser absichern können. «Erblasser können so flexibler entscheiden, wer wieviel bekommt. Zum Beispiel wenn sie dem lieb gewonnen Stiefkind einen grösseren Anteil zukommen lassen möchten oder die neue Partnerin bereits profitieren soll, wenn man sich beispielsweise noch in einem laufenden Scheidungsverfahren befindet», sagt Helena Ott, Erbrechtsexpertin im Beobachter-Beratungszentrum.

Ebenso soll laut der Botschaft des Bundesrats erreicht werden, dass mit der Reduktion der Pflichtteile die Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen erleichtert wird. Dies würde bewirken, dass kleinere Unternehmen stabilisiert und Arbeitsplätze gesichert werden.

Fall 3: Unterstützungsanspruch für Lebenspartner
Neu ist ebenfalls ein sogenannter Unterstützungsanspruch für Lebenspartnerinnen und Lebenspartner vorgesehen. Dieses Instrument soll den überlebenden Konkubinatspartner besser vor Armut schützen.

Heute haben unverheiratete Paare keinen gesetzlichen Erbanspruch. Stirbt die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner ohne ein Testament oder einen Erbvertrag zu hinterlassen, erben die Überlebenden nichts (siehe weiter unten «Mustertestament für Lebenspartner»). Gerade wenn sich eine Person ausschliesslich um den Haushalt, die Kindererziehung oder die Pflege eines Familienmitglieds gekümmert hat, ist der Gang zum Sozialamt Lebensunterhalt Was bezahlt die Sozialhilfe? häufig programmiert. Der Unterstützungsanspruch soll hier Abhilfe schaffen, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen.

Wie dieser Unterstützungsanspruch konkret aussehen wird, muss erst noch definiert werden. «Das Instrument geht jedoch in eine gute Richtung», findet Expertin Helena Ott, «weil der überlebende Lebenspartner heute sehr schlecht gestellt ist, wenn der Erblasser nicht vorgesorgt hat. Aber durch diese Bestimmung darf das Ziel der Revision, nämlich die Verfügungsfreiheit zu stärken, auch nicht untergraben werden. Die genaue Ausgestaltung wird also sehr wichtig sein».
 

Fall 4: Erbschaft während Scheidungsverfahren
Während eines laufenden Scheidungsverfahrens oder während eines Verfahrens auf Auflösung der eingetragenen Partnerschaft soll der Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten beziehungsweise Partners neu grundsätzlich entfallen. Bisher war es durch taktische Verzögerung Scheidung Wie gehts am schnellsten? solcher Verfahren möglich, trotzdem noch in der Erbfolge berücksichtigt zu werden. Mit der Änderung will der Bundesrat erreichen, dass der Wille, eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft aufzulösen, respektiert wird.

Wann ist mit den Änderungen zu rechnen?

Ob die Vorschläge genau so umgesetzt werden wie sich der Bundesrat das vorstellt, wird voraussichtlich in der kommenden Winter- oder in der Frühlingssession 2019 im Parlament diskutiert, sagt Alexandre Brodard vom Bundesamt für Justiz. Neben dieser Botschaft plant der Bundesrat voraussichtlich im Jahr 2019 noch eine zweite Botschaft an das Parlament. Diese soll separat behandelt werden und enthält eher technische Punkte zum audiovisuellen Testament, zur Unternehmensnachfolge oder zur Erbschleicherei, präzisiert Brodard.

Bis zu einer gesetzlichen Verankerung der Revision kann je nach Verlauf der parlamentarischen Debatte noch einige Zeit vergehen.

Rechtsratgeber
Mustervorlage «Testament für Lebenspartner»

Weil für Konkubinatspaare beim Erben gesetzlich nichts geregelt ist, geht der überlebende Partner leer aus. Beobachter-Mitglieder sehen anhand des Mustertestaments für den Lebenspartner, wie sie für gesicherte Verhältnisse sorgen können.

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