Drei Monate Arbeit, um Prämien zu bezahlen
Bei den Prämienverbilligungen regiert der Kantönligeist. Bern hat jetzt die Sparschraube so massiv angezogen, dass Leute in Not geraten.
Veröffentlicht am 27. April 2015 - 10:20 Uhr
Samuel Zaugg ist kein Jammeri, sagt er. Aber als er im Radio hört, der Kanton Bern habe bei den Prämienverbilligungen mehr als doppelt so viel gespart wie geplant, setzt er sich hin und schreibt dem Beobachter. Das sei ein ernstgemeinter Hilferuf, hält er fest. Und dafür gibt es einigen Grund: Der 49-jährige Sicherheitsangestellte aus Hasle bei Burgdorf erhält für sich, seine Frau und die drei Töchter – zwei sind in Ausbildung – keine Prämienermässigung mehr. Rund 15'000 Franken muss er nun jährlich hinblättern. «Ich finde es absurd, dass ich drei Monate nur für die Krankenkasse arbeiten muss», sagt Zaugg. Bisher hatte sie ihn nur etwa halb so viel gekostet. Die Folge: Er kann die Prämien nicht mehr pünktlich zahlen und stottert sie in Raten ab.
Zaugg ist ein Opfer des kantonalen Spareifers. Mehrmals senkte Bern die Grenze, bis zu der Anspruch auf Prämienreduktion besteht, erst von 35'000 auf 31'000, dann auf 30'500 Franken steuerbares Einkommen. Wie viele Familien das traf, weiss keiner. Als man das Sparpaket schnürte, sprach man von 42'000 Versicherten. Der Kanton hoffte auf Einsparungen von 24 Millionen Franken – es wurden 52 Millionen. Es dürfte daher weit mehr Bürgern ähnlich gehen wie den Zauggs. Das Sparpaket trifft ausgerechnet jene Mittelstandsfamilien, für die die Vergünstigung eigentlich gedacht war.
Nicht nur in Bern ist man von den Zielen weit entfernt: In allen Kantonen hätten die Prämien das Budget einer Familie mit höchstens zwei bis zehn Prozent des steuerbaren Einkommens belasten sollen. Dafür hätten alle Kantone mindestens halb so viel Geld beisteuern sollen wie der Bund. Doch das Parlament fand, die Kantone sollten selber bestimmen, wer eine Verbilligung erhält und wie viel. So sind heute weder die Einkommensgrenze noch deren Berechnungsgrundlage, noch die effektive Höhe der Verbilligungen einheitlich geregelt. Entsprechend unterschiedlich sind Prämienlast, Kantonsbeiträge und Bezügerquoten.
In Bern, dem Kanton mit der zweithöchsten Prämienlast, liegt diese Quote inzwischen unter den kantonal vorgeschriebenen 25 Prozent. Das Parlament strich deshalb kurzerhand den entsprechenden Gesetzesartikel.
Grüne und SP wollen die Zahl der Prämienverbilligungen wieder auf den Stand von 2013 heben. «Die Prämienverbilligung ist ein wichtiges Instrument, um zu verhindern, dass Familien in die Sozialhilfe abrutschen», sagt Ursula Marti, Präsidentin der Berner SP. «Die Regierung unterschätzt das.»
Der zuständige Regierungsrat Christoph Neuhaus weist darauf hin, dass Bern im Rahmen des Finanzausgleichs massgeblich von anderen Kantonen unterstützt werde. «Wir können nicht auf grossem Fuss leben und gleichzeitig die hohle Hand machen. Wir müssen überall sparen.»
In einem Dutzend weiterer Kantone hat man in den letzten Jahren bei den Prämienverbilligungen gespart oder Streichungen geplant, etwa im Aargau, in Genf, im Tessin, im Wallis oder in St. Gallen. Beim Volk kommt das nicht immer gut an: Im März lehnten die Solothurner eine Kürzung ab. In St. Gallen steht eine Abstimmung bevor.
Auf nationaler Ebene fordert die grüne Nationalrätin Yvonne Gilli jetzt in einer parlamentarischen Initiative, dass der Kantonsbeitrag künftig mindestens so hoch sein muss wie der Bundesbeitrag. Dieser beträgt 7,5 Prozent der Kosten für die Krankenversicherung. So würde die Verbilligung wenigstens mit den Prämien Schritt halten. Die Chancen für das Anliegen stehen allerdings nicht allzu gut. «Der Wind weht in eine andere Richtung, der Föderalismus wird höher gewichtet», befürchtet Initiantin Gilli.