«Das Thema ist völlig Tabu: wenn es sie nicht direkt betrifft, interessiert es die Menschen nicht.» Betreibungsbeamter Bruno Crestani aus Zürich spricht davon, dass überschuldete Privatpersonen teilweise ihr Leben lang Schulden abbezahlen müssen, ohne eine Chance auf einen Neustart zu haben. Zwar gibt es für Privatpersonen die Möglichkeit, einen sogenannten Privatkonkurs anzumelden. Anders als in der Wirtschaft ist es als Privatperson aber bisher nicht möglich, mit Hilfe eines Sanierungsverfahrens wieder aus dem Schuldenloch herauszukommen. Die häufige Folge: Überschuldete Personen zahlen meist ihr Leben lang Schulden ab.

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Die Politik ist sich der Problematik bewusst. Ständeratsmitglied Claude Heche (SP) aus dem Jura reichte bereits 2013 eine Motion ein, welche den Bundesrat aufforderte, zu prüfen, ob das bestehende Sanierungsgesetz für Unternehmen auf Privatpersonen erweitert werden kann. Gemäss Bericht des Bundesrats vom Frühling 2018 soll das Gesetz nun angepasst werden, erste Vorschläge dazu liegen vor. Doch sind diese wirklich geeignet, das Schicksal von Betroffenen zu verbessern?

250'000 Franken Last

Er habe viele Dinge falsch gemacht in seinen jungen Jahren, sagt Adam Hauser*. Was genau das war, möchte er nicht sagen. Nur so viel: Für ihn war es Kunst, für die Gegenseite Vandalismus. «Angefangen habe ich mit 250'000 Franken Schulden», sagt Hauser. Von seiner Familie hatte er zunächst keine Unterstützung. «Es gab Tage, an denen ich mich entscheiden musste zwischen Rechnung oder Essen zahlen», erzählt er. Für seine Mutter seien Schulden «eine Schande». Erst einige Jahre später half ihm sein jüngerer Bruder. Mit dessen Hilfe hat er sich selbstständig gemacht und konnte so seine Situation verbessern. Über den Berg ist er aber noch lange nicht.

Zur Entschuldung von Privatpersonen schlägt der Bericht des Bundesrats zwei Modelle vor:

  1. Modell 1 ist für Personen mit einem geregelten Einkommen gedacht, wie dies bei Hauser der Fall ist. Dabei einigt sich der Schuldner in einem Vergleich mit seinen Gläubigern auf eine Teilsumme der Gesamtschulden. Der Rest der Schulden entfällt.
  2. Modell 2 ist für Personen, die vom Grundbetrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimums oder der Sozialhilfe leben. Diese sollen mit einem gesetzlich geregelten Abschöpfungsverfahren aus der Schuldenfalle kommen. Das heisst, dass die betroffene Person über einen bestimmten Zeitraum alles, was über dem Grundbetrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegt, pfänden muss. Nach Ablauf der befristeten Zeit werden dem Schuldner mittels eines Restschuldenverfahrens seine übrigen Schulden erlassen. Das Grundbetrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimum für eine alleinstehende Person liegt nach Art 93 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) bei 1100 bis 1200 Schweizer Franken pro Monat. Für ein Ehepaar beträgt es 1700 Schweizer Franken, wobei für Kinder je nach Alter 400 oder 600 Schweizer Franken dazu kommen.

Die beiden Modelle hätten auch für Gläubiger grosse Vorteile. Statt lange Zeit auf ihr gesamtes Geld zu warten – oder es im schlimmsten Fall ganz zu verlieren – könnten sie sich sicher sein, dass sie zumindest einen Teil ihres Geldes wiedersehen, schreibt der Bundesrat in seinem Bericht.

Experten sind sich uneinig

Betreibungsbeamter Bruno Crestani findet die vorgeschlagenen Modelle gut: «Es geht vor allem darum, Menschen mit einer sehr hohen Verschuldung einen Neustart zu ermöglichen.» Er ist jedoch der Meinung, dass die Entscheidung darüber, wann welches Modell angewendet wird, nicht von der Ausgangssituation des Betroffenen abhängig sein darf – egal, ob dieser arbeitstätig ist oder Sozialhilfe bezieht. Entscheidend muss sein, in welchem Verhältnis die Schulden zu den Einkünften sind. Konkret, wie lange es dauern würde, wenn mit einer Lohnpfändung Schulden Pfändung – was heisst das? sämtliche Schulden bezahlt werden könnten. Hier müsste wohl eine Formel vorgegeben werden, sagt Crestani.
 

«Es geht vor allem darum, Menschen mit einer sehr hohen Verschuldung einen Neustart zu ermöglichen.»

Bruno Crestani, Betreibungsbeamter


Er versteht aber auch die Kritik, mit Entschuldungsmodellen würde es den Verschuldeten zu einfach gemacht. Doch er stellt klar: «Denjenigen, welche ein solches Gesetz unfair finden, muss klar sein, dass eine solche Lösung rein pragmatisch gedacht ist. Wenn der Schuldner seine Schulden los wird, sitzt er den restlichen Steuerzahlern im Land nicht mehr auf der Tasche. Zudem wäre er aufgrund seines ungekürzten Lohnes auch wieder Konsument und Steuerzahler.»

Nachlassverträge und Flexibilität wären gefährdet

Mario Roncoroni, Co-Leiter der Berner Schuldenberatung, sieht die Ideen des Bundesrates kritischer. Aus seiner Praxiserfahrung weiss er, dass die Mehrheit der Privatpersonen ihre Schulden nie definitiv abschütteln kann. «Da helfen auch die Modelle des Bundesrates nicht.» Ausserdem befürchtet er, dass neue Gesetze die aktuell flexiblen Handlungsmöglichkeiten in der Schuldenberatung einschränken würden.

Warum es diese Flexibilität braucht, erklärt Roncoroni anhand eines Beispiels: «Ein mit 65'000 Franken privat verschuldeter Bundesangestellter geriet in die Überschuldung, als sein Einkommen aufgrund von Outsourcing um 1000 Schweizer Franken pro Monat zurückging. Er wurde in der Folge frühpensioniert . Der Arbeitgeber bezahlte ihm eine Übergangsrente, verwies ihn an unsere Stelle und unterstützte seine Schuldensanierung mit einem Beitrag von 3000 Schweizer Franken. Das Pensionseinkommen des Mannes betrug 4700 Schweizer Franken. Mittels unserer Beratung und Vermittlung konnte er sich aussergerichtlich mit seinen Gläubigern auf die Abzahlung von 21 Prozent ihres Guthabens – 13'650 Franken – in 36 monatlichen Raten einigen.»

Ein neues Gesetz hingegen würde in erster Linie den Gläubigern in die Karten spielen. «Wenn das Gesetz ein Entschuldungsverfahren von Privatpersonen vorsehen würde, wären die aussergerichtlichen und gerichtlichen Nachlassverträge, wie wir sie im Fall des Bundesbeamten abgeschlossen haben, praktisch abgeschafft», gibt Roncoroni zu bedenken.

Licht am Ende des Tunnels

16 Jahre nach Beginn seines Lebens als Schuldner beträgt die Last von Adam Hauser noch 80'000 Schweizer Franken. Was für die Meisten nach einer grossen Zahl klingt, ist für ihn das Licht am Ende des Tunnels. Wenn er seinen Job behält, könnte er in zehn Jahren schuldenfrei sein, sagt er. Auf die Politik verlässt Hauser sich nicht. Er bezweifelt, dass ein Entschuldungs-Gesetz reale Chancen hätte.


*Name geändert

Privatkonkurs

Bei einem Privatkonkurs wird das restliche Vermögen des Schuldners gepfändet und auf alle Gläubiger gleichmässig verteilt. Wenn jemand in einer solchen Situation ist, fünf Gläubiger hat und ein pfändbares Vermögen von 2000 Schweizer Franken, so erhält jeder Gläubiger je 400 Schweizer Franken.

Da das restliche Vermögen zur Tilgung der gesamten Schulden meist nicht reicht, erhalten die Gläubiger sogenannte Verlustscheine. Diese Verlustscheine haben eine Gültigkeit von 20 Jahren.

Der Schuldner kann nach dem Privatkonkurs und der Pfändung seines Vermögens erst wieder betrieben werden, wenn er sich finanziell erholt hat und neues Vermögen hat. Unter «neuem Vermögen» kann Verschiedenes verstanden werden: ein Lottogewinn, eine Erbschaft Nachlass Wer erbt was? , ein neugekauftes teures Auto oder eine Eigentumswohnung aus dem Geld der Pensionskasse. Auch ein neuer, höherer Lohn kann als neues Vermögen angesehen werden, wenn er deutlich höher ist als das definierte Existenzminimum nach Art. 93 SchKG.

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Wenn sich der Schuldenberg anhäuft, nutzen meist dubiose Sanierungsbüros die Unwissenheit der Schuldner. Beobachter-Mitglieder erfahren, wie das Verfahren eines Privatkonkurses aussehen könnte, welche Rechte bei einer Pfändung gelten und erhalten in einer Schuldenberatung weitere Handlungsanweisungen.

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