Eine Ärztin, die wegen schwerer Depressionen jahrelang keine Steuererklärung einreichte, wird vom Fiskus in den Ruin getrieben: 750'000 Franken soll sie laut amtlichen Einschätzungen jährlich verdient haben, das Dreifache der Summe auf dem Lohnausweis. Ein Hilfsarbeiter aus Dürnten ZH, der als Legastheniker die Steuererklärung nicht ausfüllen konnte, verbraucht sein Erbe, weil ihm die Steuerbehörden das Einkommen eines Regierungsrats zuschrieben.

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Die von Beobachter TV aufgedeckten Fälle aus dem Kanton Zürich zeigen erschreckend: Menschen, die wegen Krankheit oder Schicksalsschlägen ihren administrativen Pflichten nicht mehr nachkommen, werden von den Steuerbehörden zusätzlich bestraft. Der Zürcher Regierungsrat hält es nicht für nötig, die stossende Praxis zu ändern. Die Regierung stellte ihrer Finanzdirektion einen Persilschein aus: Juristisch sei alles sauber gelaufen.

Politiker verschiedener Couleur wollen sich damit nicht abfinden. Sie bereiten politische Vorstösse auf Kantons- und Bundesebene vor, bestätigt die Zürcher SP-Kantonsrätin Monika Wicki: «Es braucht auf beiden Ebenen gesetzliche Anpassungen, damit Leute mit psychischen Defiziten oder kognitiven Einschränkungen eine Revision ihrer Steuereinschätzungen verlangen können – auch wenn sie Einsprachefristen verpasst haben.»

Wie schwierig das heute ist, zeigt der von Beobachter TV publik gemachte Fall von Simone Stöhr, einer Narkoseärztin aus Männedorf ZH. Die unter schweren Depressionen leidende Frau hatte jahrelang keine Steuererklärung eingereicht. Ihre ganze Energie hatte sie in die Arbeit im Spital investiert. Privat war sie völlig vereinsamt, hatte keine Kraft für nichts. Sie öffnete nicht einmal mehr die Post. Immer tiefer geriet sie in den Steuer-Teufelskreis.

Der Fiskus schätzte ihr Einkommen ständig höher ein, bis aufs Dreifache ihres Gehalts. Mit Steuerschulden über 1,8 Millionen Franken steht die 64-jährige Pensionärin jetzt vor dem Ruin. Lohn und Altersrente wurden gepfändet, sie lebt am Existenzminimum.

Einem Vorgesetzten im Spital war aufgefallen, dass mit der Mitarbeiterin etwas nicht stimmte. Nach mehreren Gesprächen war sie bereit, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben.

Doch trotz Gutachten, die bestätigen, dass sie ihren privaten administrativen Aufgaben nicht mehr gewachsen war, sind die Steuerbehörden nicht bereit, die vernichtenden Einschätzungen zu revidieren. Immerhin kann sich der Gemeindepräsident von Männedorf vorstellen, auf die noch ausstehenden Steuerforderungen der Gemeinde – rund 300'000 Franken – zu verzichten. Und die Betreibungen der Bundessteuern sind gestoppt worden. An der Rechtmässigkeit der Einschätzungen hält der Kanton Zürich aber fest.

Steuerexpertin Patrizia Stiegler, die Simone Stöhr vertritt, hat darum im April Klage auf Nichtigkeit der Einschätzungen eingereicht. «Sie wurden völlig willkürlich erhöht, obwohl der Lohn einer Narkoseärztin an einem öffentlichen Spital bekannt ist. Was sie tatsächlich verdiente, war auch aufgrund der Lohnpfändung klar.»

Dem Beobachter liegen weitere Fälle vor, bei denen die zum Teil massiven Erhöhungsschritte selbst von Steuerexperten nicht nachvollzogen werden können. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Tagesform des Steuerkommissärs entscheidender ist als konkrete Hinweise auf die reale Einkommenssituation.

Der Beobachter wollte darum die Chefin des Kantonalzürcher Steueramts zur Einschätzungspraxis befragen. Die Finanzdirektion lehnte ab.

So berichtete Beobachter TV am 10. Mai