Wie der Bundesrat die «Heiratsstrafe» abschaffen will
Der Bundesrat will, dass Ehepaare künftig zwei getrennte Steuererklärungen ausfüllen. Was heisst das konkret? Wer gewinnt, und wer verliert dabei?
Veröffentlicht am 1. September 2023 - 18:22 Uhr
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Verheiratete müssen je nach ihren konkreten Einkommensverhältnissen unter Umständen mehr Steuern bezahlen als unverheiratete Paare in der gleichen finanziellen Situation. Das wird seit Jahren unter dem Stichwort «Heiratsstrafe» politisch kritisiert. Wenn jeder jeweils sein eigenes Einkommen und Vermögen versteuern muss, könnte diese Ungleichbehandlung abgeschafft werden, so die Überlegung.
Weil es einige Ungerechtigkeiten beseitigt, aber gleichzeitig neue Ungerechtigkeiten schafft. Schon jetzt ist die gemeinsame Besteuerung für einige Ehepaare ein Vorteil, für andere ein Nachteil.
Ein zentraler Grundsatz im Steuerrecht ist, dass alle nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden sollen. Die getrennte Besteuerung heisst: Man zahlt genau gleich viel Steuern, ob man nun mit dem Ehepartner, der Ehepartnerin oder dem Freund, der Freundin zusammenlebt.
Wer in einem gemeinsamen Haushalt lebt – ob verheiratet oder nicht –, hat weniger Ausgaben, ist also wirtschaftlich leistungsfähiger. Folglich müssten diese Personen mehr Steuern bezahlen als jene, die alleine leben. Die getrennte Besteuerung von Ehepaaren führt deshalb zwar im Prinzip zur Gleichbehandlung mit unverheirateten Paaren, dafür werden Zusammenlebende neu gegenüber Alleinlebenden bevorzugt.
Stimmt, und der Bundesrat hat auch über neue Abzüge nachgedacht, darunter einen für Haushalte mit nur einer erwachsenen Person und einen für Ehepaare mit nur einem Einkommen. Aber jeder neue Abzug freut jene, die davon profitieren – und belastet jene, die das Nachsehen haben. Jeder Abzug ist letztlich die Folge von politischem Druck: Wer eine Mehrheit für sich organisieren kann, gewinnt.
In erster Linie Ehepaare, bei denen beide Partner ungefähr gleich viel verdienen. Sie würden durch die individuelle Besteuerung je in eine tiefere Progressionsstufe rutschen. Zudem soll der Kinderabzug von aktuell 6600 Franken auf neu 12’000 Franken erhöht werden, wobei neu jeder Elternteil die Hälfte davon geltend machen kann. Das nützt nur Paaren, bei denen beide verdienen, denn wer kein Einkommen hat, dem bringt auch ein halber Kinderabzug nichts. Auch Rentnerpaare gehören tendenziell zu den Gewinnern, ebenso unverheiratete Personen ohne Kinder.
Ehepaare mit nur einem Einkommen und solche mit einem tiefen Zweiteinkommen müssten mehr bezahlen. Paradoxerweise ist es also genau das traditionelle Familienmodell (mit einem Hauptverdiener und einer gar nicht oder nur wenig verdienenden Partnerin), das durch die Abschaffung der «Heiratsstrafe» bestraft würde. Bei Alleinverdienerhaushalten mit hohem Einkommen könnte allein die Bundessteuer um mehr als 2000 Franken steigen, dazu kämen dann noch die Kantons- und Gemeindesteuern.
Laut Bundesrat sollen zudem die Steuersätze für sehr hohe Einkommen leicht erhöht werden, was bei Spitzenverdienern zu einer Mehrbelastung führen würde. Insgesamt, so der Bundesrat, sei aber die Anzahl Personen, die mehr Steuern bezahlen müssten, deutlich tiefer als die Anzahl Personen, die weniger Steuern bezahlen müssten. Dahinter steckt aber zweifelsohne politisches Kalkül, um die Vorlage überhaupt mehrheitsfähig zu machen. Der Bundesrat rechnet mit rund einer Milliarde Franken weniger Steuereinnahmen pro Jahr.
Eher im Gegenteil. So fürchten 17 Kantone in ihren Stellungnahmen, dass neu nicht nur Unverheiratete, sondern auch Eheleute ihre Steuern «optimieren» können, wenn sie sich untereinander Darlehen gewähren. Bisher waren solche eheinternen Geschäfte steuerlich irrelevant, neu müsste aber der Schuldner das Darlehen abziehen können und könnte auch Schuldzinsen abziehen. Je nach den konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnissen der beiden Partner kann dies im Endeffekt zu einer tieferen Steuerrechnung führen als ohne Darlehen.
Weil die freisinnigen Frauen eine Volksinitiative eingereicht haben, die verlangt, dass Verheiratete separat und nicht mehr als Paar besteuert werden. Der Bundesrat präsentiert nun seine Variante als indirekten Gegenvorschlag. Findet dieser im Parlament eine Mehrheit, würde die Initiative vielleicht zurückgezogen.
Im Moment sieht es nicht danach aus. Einzig die FDP, die Grünliberalen und die Wirtschaft stehen hinter der bundesrätlichen Vorlage. Für die SVP schwächt das Modell die traditionelle Ehe und sie kritisiert, dass neue Ungerechtigkeiten geschaffen würden. Die SP befürchtet, dass die Reichen zu gut wegkommen, für die Grünen sind die prognostizierten Mindereinnahmen untragbar. Und die Mitte ist zwar im Grundsatz dafür, im Detail aber dagegen. Stand heute reicht das nicht für eine Mehrheit. Auch die Kantone sind mehrheitlich dagegen, sie fürchten den Mehraufwand, weil viel mehr Steuererklärungen bearbeitet werden müssten.
Der Bundesrat hat jetzt erst die Grundsätze seines Vorschlags präsentiert. Bis im März 2024 will er einen konkreten Gesetzesvorschlag erarbeiten, dann kommt die Vorlage ins Parlament.
Das dauert noch viele Jahre. Selbst wenn es in den nächsten Jahren beschlossen werden sollte, ist die Einführung noch in weiter Ferne. Die Mehrheit der Kantone fordert eine mindestens zehn Jahre dauernde Vorlaufzeit, weil sie ihrerseits all ihre Steuergesetze revidieren müssen und bei dieser Gelegenheit alle Tarife, Abzüge, Freibeträge und alle Verfahrensabläufe überdenken wollen.
11 Kommentare
Und die andere Heiratsstrafe? Die Heiratsstrafe der Rentner wird die nun endlich auch abgeschafft?
Ja genau. Die traditionelle Familie ist die Verliererin und muss die zum Teil unverständlichen Ausgaben der Gemeinden , Kantone und des Bundes berappen. Die traditionelle Familie, so wie es jahrzehntelang geheissen hat, die kleinste Zelle die für den Erfolg der Gesellschaft nötig ist, wird nun nicht fair behandelt. Die traditionelle Familie, die keine KITA-Kosten verursacht, die auf ein Einkommen verzichtet, die keine Fremdbetreuung der grösseren Kinder in Anspruch nimmt, wird nun noch mehr belastet. Die traditionelle Familie, die dafür sorgt, dass sich die Kinder, die ja nie gefragt werden, sich glücklich fühlen, um die sich die Mutter jederzeit kümmert, die nicht morgens früh geweckt werden, deren Hirn sich besser entwickelt, leistet eine unbezahlbare Arbeit und müssen nun auch noch mehr Steuern bezahlen. Das finde ich einfach nicht gerecht. Aber ich habe das Gefühl, alle wollen die traditionelle Familie beseitigen (eventuell damit sie selbst kein schlechtes Gewissen haben müssen).
Liebe Frau Burgherr
Sie schreiben mir aus dem Herzen! Danke!
Würde ich in der Schweiz lebn, dann würde ich mich scheiden lassen. Wenn der Staat Einkünfte hat, will er diese nicht weitergeben.
Wer soll die ca. 2 Mio zusätzlichen Steuerklärungen verwalten, prüfen und veranlagten? dazu vlt 200,000 Einsprachen erledigen? Profitieren werden die Treuhänder, Steuerberater und Juristen. Ein gigantischer grosser zusätzlicher Verwaltungsaufwand mit dem Ergebnis, dass die neuen Ungerechtigkeiten ausgebügelt und die allfälligen Steuerausfälle sonstwo kompensiert werden müssen. Das ganze Thema wird von linker Seite vor den kommenden Wahlen hochgeschaukelt. Wenn ich bedenke, dass die Steuerverwaltungen mit den 2021er Veranlagungen im Rückstand sind und in 4 Monaten bereits eine neue Steuerperiode, 2023, beginnt, dann graut mir vor einer Umstellung.