Haftet der Kanton für die Schäden?
Die schweren Stürme haben im Wallis zu grossflächigen Überschwemmungen geführt – obwohl die Regierung seit 24 Jahren weiss, dass der Hochwasserschutz ungenügend ist.
900’000 Liter Wasser flossen bei den Unwettern Ende Juni durch Sitten rhoneabwärts – pro Sekunde. Damit könnte etwa in drei Sekunden ein olympisches Schwimmbecken von 50 mal 25 Metern gefüllt werden. Doch mit dem heutigen Zustand der Rhone können nur 650’000 Liter pro Sekunde im Flussbett abfliessen.
Mit anderen Worten: Überschwemmungen sind bei diesen Wassermassen programmiert. Und der Kanton weiss das seit Jahrzehnten. Wie der «Walliser Bote» in einem Artikel aufzeigt, wurde im Nachgang der Hochwasser 1987, 1993 und 2000 bereits im September 2000 ein besserer Hochwasserschutz geplant und auch vom Volk in einer Abstimmung bestätigt. Doch die 2,4 Milliarden teuren Massnahmen wurden bis heute nicht umgesetzt.
Das Gemeinwesen haftet nur in Ausnahmefällen
Ausbaden müssen das Betriebe in Chippis, die wegen der überfluteten Fabrikhallen Kurzarbeit anmelden mussten, und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und auch Hausbesitzerinnen dürften sich fragen: Wer haftet eigentlich, wenn das Zuhause nun schwer beschädigt wurde ? Vor allem, wenn die Schäden vermeidbar gewesen wären, hätte der Kanton die Rhone wie geplant korrigiert. Haftet er also für den Schaden?
Das Stichwort ist die sogenannte Staatshaftung: Grundsätzlich haftet das Gemeinwesen für Schäden, die Angestellte oder Behörden widerrechtlich verursachen, im Rahmen ihrer amtlichen Aufgaben. Die Hürde ist aber sehr hoch, und es müssen viele Voraussetzungen erfüllt sein.
Staat muss Bevölkerung vor Unwettern schützen
Wenn es um Gemeinden oder Kantone und deren Beamte geht, ist das kantonale Recht massgebend – im Wallis das Gesetz über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Gemeinwesen und ihrer Amtsträger. Dort steht: Der Staat und die Gemeinden haften für den Schaden, den ein Amtsträger in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit einem Dritten widerrechtlich zufügt.
Einige Voraussetzungen sind klar. So ist ein bezifferbarer Schaden entstanden an betroffenen Häusern. Es geht um eine amtliche Tätigkeit, schliesslich ist es die Aufgabe des Staates, Massnahmen gegen Naturgefahren zu ergreifen. Auch die Widerrechtlichkeit ist wohl gegeben: Das Eigentum ist ein absolut geschütztes Rechtsgut, wie zum Beispiel auch Leib und Leben, Freiheit oder Persönlichkeit und Eigentum. Es wurde verletzt, und es gibt keinen Rechtfertigungsgrund.
Wer hat den Schaden verursacht?
Aber jetzt wird es schwierig. Man müsste dem Staat, seinen Behörden oder Beamten eine Pflichtverletzung nachweisen, die den Schaden verursacht hat. Man kann zwar sagen, dass das Unglück die Hauseigentümer nicht oder weniger drastisch getroffen hätte, wenn die geplanten Schutzmassnahmen umgesetzt worden wären. Und dass der Staat es unterlassen habe, die Massnahmen zu treffen. Aber hat er damit tatsächlich seine Pflichten verletzt? Schliesslich war es ein jahrelanger Prozess im Wallis mit vielen Beteiligten – da wird es schwierig, dem Gemeinwesen ein Fehlverhalten nachzuweisen.
Und dann der Kausalzusammenhang: Die Pflichtverletzung müsste den Schaden tatsächlich verursacht haben. Doch schuld ist primär die Naturgewalt. Man könnte argumentieren, dass auch Unterlassungen zu Staatshaftung führen können. Aber es ist unklar, was eine Richterin dazu sagen würde. Die Chancen der Hausbesitzer auf eine Entschädigung stehen deshalb schlecht. Das Beobachter-Beratungszentrum empfiehlt, sich von einem Anwalt oder einer Anwältin beraten zu lassen, bevor man selbst etwas unternimmt.